Kommentar Kampf um jede Stimme

Bei der Wahl könnten Handwerkerinnen und Handwerker zum Zünglein an der Waage werden. Der Mittelstand wünscht sich vor allem einen Abbau von Bürokratie.

Frank Hüpers ist stellvertretender Chefredakteur der Deutschen Handwerks Zeitung. - © HWK München

Noch nie war der Ausgang einer Bundestagswahl so ungewiss wie in diesem Jahr. Bis feststeht, wer Angela Merkel an der Spitze der Bundesregierung beerben wird, prägen viele Unwägbarkeiten die letzten Tage vor dem Urnengang: Bei der Briefwahl wird ein neuer Rekordwert erwartet. Ebenso könnten die Unentschlossenen am Ende die Wahl entscheiden. Spannend wird auf alle Fälle sein, für wen sich die Handwerkerinnen und Handwerker mehrheitlich entscheiden: Zieht mit ihrer Unterstützung der künftige Regierungschef ins Kanzleramt?

Politik muss für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum sorgen

Abhängen wird dies auch davon, wie gut die Wahlprogramme mit den Wünschen des Handwerks matchen. Damit die Betriebe die Pandemie auch wirtschaftlich überwinden und wettbewerbsfähig bleiben, müssen gezielt Wachstumsimpulse gesetzt und bürokratische Hürden abgebaut werden. Gesetze sollten vor Inkrafttreten auf Probleme für das Handwerk abgeklopft und einer Art "Praxis­check" unterzogen werden. Ein entscheidender Punkt für personal­intensive Wirtschaftsbereiche wie das Handwerk sind die Lohnzusatzkosten: Hier muss ein drohender Anstieg auf 50 Prozent bis 2040 unbedingt verhindert werden. Stattdessen gilt es, die Beiträge zur Sozialversicherung bei unter 40 Prozent zu deckeln – und zwar dauerhaft.

Das Rentensystem muss, wie auch die Kranken- und Pflegeversicherung angesichts einer alternden Gesellschaft zukunftssicher umgebaut werden. Um die Betriebe finanziell zu entlasten, sollten die Sozialversicherungsbeiträge erst wieder im Folgemonat fällig gestellt werden. Mit Blick auf flexiblere Arbeitszeiten wäre es denkbar, von der Tages- zur Wochenhöchstarbeitszeit überzugehen – ohne dabei den Schutz der Beschäftigten zu vernachlässigen.

Steuerliche Belastungen für Betriebe müssen gesenkt werden

Die steuerliche Belastung für Unternehmen sollte auf international konkurrenzfähige 25 Prozent sinken. Die Thesaurierungsrücklage muss gestärkt, die Grenze für die Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter auf mindestens 1.000 Euro erhöht werden. Zusätzliche Abgaben lehnt das Handwerk ebenso ab wie ein Comeback der Vermögenssteuer. Zum Vermögen selbstständiger Handwerkerinnen und Handwerker zählen im Regelfall nämlich keine Aktienpakete, sondern betrieblich genutzte Immobilien, Geräte oder Maschinen. Eine Vermögenssteuer würde daher nicht nur wohlhabende Privatpersonen, sondern insbesondere auch kleine und mittlere Betriebe treffen. Außerdem muss der Solidaritätszuschlag endgültig weg – und zwar für alle.

Berufliche Aus- und Weiterbildung muss gestärkt werden

Die berufliche Bildung braucht weiterhin die Unterstützung des Staats. Dies funktioniert über finanzielle Entlastung, beispielsweise in Form eines bundesweiten Azubi-Tickets oder durch mehr Wohnangebote für Lehrlinge. Aber auch gesetzgeberische Hilfe ist nötig, um die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung rechtsverbindlich zu regeln.

Eine Karriere im Handwerk muss als adäquate Alternative zum Studium noch besser sichtbar werden. Damit die Aus- und Weiterbildung ihr hohes Niveau behält und der Wissens­transfer in die Betriebe reibungslos funktioniert, muss verstärkt in Berufsbildungsstätten des Handwerks investiert werden. Zur Sicherung des Fachkräftebedarfs braucht Deutschland eine gesteuerte Zuwanderung beruflich Qualifizierter aus dem Ausland. Hierfür müssen die Potenziale des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes noch besser genutzt werden.

Digitalisierung und Energiewende dürfen nicht vergessen werden

Ebenso muss die neue Bundesregierung an die digitale Infrastruktur ran: Gerade im ländlichen Raum lässt der Breitbandausbau noch zu wünschen übrig. Auch die Kosten für die Energiewende müssen gerechter verteilt werden. Die EEG-Umlage muss weiter deutlich abgesenkt und mittelfristig ganz abgeschafft werden. Handwerk und Mittelstand dürfen von einer CO2-Bepreisung nicht stärker betroffen sein als Großunternehmen. Um Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten, ist ein Ausbau der Netze und die Entwicklung von Speichertechnologien erforderlich.  Viel Arbeit wartet also für die neue Bundesregierung.