Der Fachkräftemarkt ist leergefegt, die Suche nach Personal bleibt oft vergeblich. Umso wichtiger ist es, sein Team optimal einzusetzen. Hier geht noch viel, hat ein Elektromeister erfahren.

Die Webseite der Svistec GmbH lässt keinen Zweifel offen. Der Elektrobetrieb im Großraum München sucht Personal. "Ich kann auf jedem Qualifikationsniveau weitere Mitarbeiter brauchen, vom Azubi bis zum Projektleiter", sagt Geschäftsführer Florian Dlask. "Trotzdem läuft es gerade gut."
Der Elektrotechnikmeister aus Karlsfeld begegnet dem Fachkräftemangel neuerdings durch bessere Organisation. Mindestens sechs Wochen in die Zukunft reicht seine Planung. Er und seine Projektleiter wissen auf den Tag genau, welche Mitarbeiter wann wo sein werden, welches Fahrzeug sie verwenden und welche Maschinen sei dabei haben werden. "Das ganze Planungschaos ist weg. Dadurch kann ich mehr Aufträge annehmen", freut sich der 28-Jährige.
Wochenarbeitszeit reduziert
Der Anstoß zum effizienteren Personaleinsatz kam durch eine Info-Broschüre. Unternehmer könnten durch bessere Prozesse ihre Wochenarbeitszeit von 70, 80 Stunden auf maximial 30 bis 40 Stunden reduzieren, hieß es dort.
Dlask war skeptisch. "Aber ich wusste, so wie jetzt geht es nicht weiter. Und allein bin ich nicht auf die Idee gekommen, wie man die Planung in den Griff bekommt."
Also nahm er Kontakt auf zu Florian Volkelt. Der Sparringspartner und Coach – wie er sich selber nennt – kommt als gelernter Maschinenbaumechaniker aus dem Handwerk. Seine These: Der Fachkräftemangel werde oft nur über die Personalsuche bekämpft. Die eigenen Ressourcen würden übersehen. "Viele Unternehmer haben überhaupt nicht im Blick, wo die Stärken ihres Betriebs und die Stärken jedes einzelnen Mitarbeiters liegen und ob sie die Mitarbeiter gemäß dieser Stärken einsetzen."
Stärken der Mitarbeiter einplanen
Für Florian Dlask bedeutete diese Frage zunächst einmal Arbeit. Mitarbeiter für Mitarbeiter befragte er sein 23-köpfiges Team. "Ich habe gerade drei Auszubildende im dritten Lehrjahr, die hoffentlich alle bei mir bleiben werden. Aber mit der typischen Elektrikerarbeit kann ich die nicht locken. Die wollen mit intelligenter Gebäudetechnik arbeiten", ist eine Erkenntnis aus diesen Befragungen. Andere Mitarbeiter bevorzugen die klassischen Arbeiten. Jetzt könne er jeden entsprechend einplanen.
Dass Mitarbeiter gemäß ihrer Stärken eingesetzt werden, ist ein zentraler Punkt in Volkelts System. "Motivation kann nur dann entstehen, wenn jemand gerne tut, was er tut." Wer motiviert arbeite, liefere in der Regel auch bessere Ergebnisse ab und arbeite zügiger. Durch die bessere Planung entfielen außerdem unnötige Anfahrten zu Baustellen. "Alle wissen, welches Material sie mitnehmen müssen und kümmern sich selbst darum, es aufzuladen", so Volkelt.
Aufgaben an Mitarbeiter delegiert
Dass seine Teams jetzt selber mehr Verantwortung übernehmen, ist ein Punkt, der Dlask besonders freut. "Die Mitarbeiter haben das Planungstool direkt angenommen. Sie verabreden sich beispielsweise heute schon für die Fahrgemeinschaften zur Baustelle in vier Wochen. Ich habe damit überhaupt keine Arbeit mehr."
Die Zeitplanung im Tool ist auf jeden einzelnen Mitarbeiter gemünzt, erklärt Volkelt: "Wenn der Chef die Fähigkeiten von jedem genau einschätzen kann, weiß er auch, wie viel Zeit dieser Mitarbeiter für seine Aufgabe brauchen wird." Kleine Zeitpuffer sorgten für Flexibilität. Wenn diese nicht gebraucht würden, könnten die Teams kleinere Aufträge zwischenschieben oder Aufräum- und Instandhaltungsarbeiten erledigen.
Eine gute Mischung an Aufträgen sei deswegen wichtig. "Wer nur Großaufträge annimmt, dem droht Leerlauf, wenn Unvorhergesehenes passiert. Kleinere Aufträge von privaten wie gewerblichen Auftraggebern können dann flexibel eingeschoben werden."
Aufträge breit streuen
Die Auftragsannahme selbst sollte einem System folgen. Volkelt empfiehlt ein Formular mit Pflichtfeldern, die gleich beim ersten Kontakt ausgefüllt werden. Bei kleineren Aufträgen könne da auch gleich abgefragt werden, ob der Kunde kurzfristig eingeschoben werden dürfe.
Florian Dlask sieht der Zukunft optimistisch entgegen. Er habe natürlich Geld und in Summe etwa eine Arbeitswoche in die Verbesserung seiner Abläufe gesteckt, nie jedoch mehr als ein bis zwei Stunden pro Woche. Im Ergebnis habe er zwar noch keine zusätzlichen Mitarbeiter gewonnen. Aber der bessere Überblick über seine Kapazitäten wirke, als hätte er ein bis zwei Kräfte mehr. Und er habe jetzt mehr Zeit. "Ich kann mich in Ruhe darum kümmern, neue Mitarbeiter zu finden und darum, dass unsere Auszubildenden keine Mitläufer werden, sondern echte Fachkräfte."
Hunderttausende fehlen am Arbeitsmarkt
Wie gravierend der Fachkräftemangel in Deutschland inzwischen ist, hat die Boston Consulting Group jüngst in einer Berechnung ermittelt. Jedes Jahr verliere das Land 86 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung, allein wegen des Personalmangels.
Die Zahl der offenen Stellen in Deutschland hat im August mit 887.000 den höchsten Stand seit 30 Jahren erreicht. Eine schlechtere konjunkturelle Lage werde allenfalls vorübergehend den Fachkräftebedarf verringern, urteilt die KfW Research.
Mindestens jedes zweite Unternehmen ist aktuell vom Fachkräftemangel betroffen. 52 Prozent aller Handwerksbetriebe, die einen Meister suchen, gehen leer aus. Auf Fachkraftebene ist das Verhältnis kaum besser. Für vier von zehn offenen Stellen hat die Arbeitsagentur deutschlandweit keinen passenden Kandidaten, zeigen die Zahlen der Studie "Fachkräftemangel und Ausbildung im Handwerk" des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (Kofa).
Allein im Handwerk fehlen 250.000 Fachkräfte
Mit aktuell über 100.000 Fachkräften, die im Handwerk fehlen, kalkuliert das Kofa noch konservativ. Die Zahlen beruhen auf der rechnerischen Differenz zwischen allen der Arbeitsagentur gemeldeten offenen Stellen und den dazu passend qualifizierten Arbeitslosen. Der Zentralverband des deutschen Handwerks geht von wesentlich höheren Zahlen aus: 250.000 Handwerker fehlen demnach, Tendenz steigend.
Unter den ersten zehn am stärksten betroffenen Berufen auf Fachkraftniveau sind laut Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit sieben Handwerksberufe, vom Pflasterer bis zum Kältetechniker. Die anderen Berufe stammen allesamt aus dem Gesundheits- und Sozialbereich, was eine Kettenreaktion auslöst. Gibt es nicht genügend Personal in Kitas oder in Pflegeheimen, dann müssen die Kinder und Pflegebedürftigen zu Hause betreut werden – von Menschen, die deswegen wiederum dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen.
Ein besonders eklatanter Mangel besteht an Handwerksmeistern, auch dies Resultat einer Kettenreaktion. Durch die Akademisierung entschieden sich in den vergangenen Jahren immer weniger Leistungsstarke für eine duale Ausbildung. Das Handwerk verlor damit rein zahlenmäßig an Nachwuchs und jetzt fehlen die klugen Köpfe als Meisteranwärter. Dabei müssen laut Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) allein in den kommenden fünf Jahren 125.000 Betriebe einen Nachfolger finden.
Ausbildungszahlen im Handwerk gesteigert
Zwar hat das Handwerk, anders als die Gesamtwirtschaft, zuletzt seine Ausbildungszahlen leicht gesteigert. Dennoch waren Ende September noch 26.232 Lehrstellen nicht besetzt, 9,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Der positive Trend bei den Ausbildungszahlen wird nicht genügen, um die auf den Ruhestand zusteuernden Babyboomer zu ersetzen und gleichzeitig die Anforderungen der Zeit zu stemmen.
Klimaschutzmaßnahmen an Gebäuden und der Ausbau der Erneuerbaren Energien werden den Fachkräftebedarf im Handwerk massiv erhöhen. Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung gehen von 400.000 Fachkräften aus, die zusätzlich gebraucht werden. Ein Großteil davon wird dem Bauhaupt- und -nebengewerbe angehören, das in den kommenden zehn Jahren rund 190.000 Arbeitskräfte aus Altersgründen verliert, wie die Soka Bau ermittelt hat.
Im Bemühen um neue Kräfte wird der einzelne Handwerksbetrieb seine Personalsuche ändern müssen. Zeitungsannoncen und eine Meldung bei der Arbeitsagentur sprechen zu wenige an. Mehr Erfolg versprechen Aktivitäten in den Sozialen Medien.
>>> Lesen Sie hier mehr über digitales Recruiting in sozialen Netzwerken
Personalmangel auch wegen Geschlechterklischees
Da die größten Fachkräftelücken in typischen Männer- und Frauenbranchen bestehen, nämlich in den sozialen und in handwerklichen Berufen, zeigt das einen weiteren Weg auf. Chefs sollten versuchen, weiter Geschlechterklischees bei der Arbeit abzubauen und prüfen, wie sie die Arbeitszeiten noch flexibler gestalten können, um Beruf und Familie vereinbar zu machen, empfiehlt das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.
Auch der Blick auf die Arbeitsbedingungen ist vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels unverzichtbar. Bei dünnerer Personaldecke steigt der Druck auf den Einzelnen. Das erhöht die Gefahr für Fehler und Arbeitsunfälle, warnt die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung. Fachfremde und Ungelernte seien besonders gefährdet. Umgekehrt sorgen gute Arbeitsbedingungen nicht nur für weniger Fehltage, sondern auch für mehr Leistungsfähigkeit und Motivation. Das zeigt der aktuelle Fehlzeiten-Report 2022 der AOK.