Ein einfacher Strategiewechsel bei der Personalsuche könnte Handwerksbetriebe von ihren Nachwuchssorgen erlösen, doch kaum einer zieht ihn richtig durch. Wie es Ausbildungsbetrieben garantiert gelingt, potenzielle Kandidaten auf offene Lehrstellen aufmerksam zu machen, erklärt Marketing-Experte Mathias Eigl.
Max Frehner

"Der Fachkräftemangel ist eigentlich ein Informationsmangel", sagt Mathias Eigl. Viele potenzielle Kandidaten wüssten gar nicht von freien Lehrstellen oder hätten falsche Vorbehalte gegenüber dem Beruf oder Betrieb. Mit seiner Agentur für digitale Kommunikation "ULM ME" hilft Eigl kleinen und mittelständischen Betrieben dabei, das zu ändern. Er vertraut dabei auf eine Kommunikationsstrategie, die zwar den meisten bekannt sei, jedoch von den wenigsten konsequent umgesetzt würde: Social-Media-Recruiting.
Inhalt produzieren, der auch voreingenommene Menschen erreicht
"Es reicht nicht, die Stellenausschreibung aus Print abzufotografieren und auf Facebook zu posten", sagt der Social-Media-Experte. Viele Schüler hätten keine oder falsche Vorstellungen von den Aufgaben in dem jeweiligen Ausbildungsberuf. Zudem sei den meisten gar nicht bewusst, dass ein Handwerker mitunter genauso viel, wenn nicht sogar mehr verdienen kann als ein Bachelor. "Das führt dazu, dass viele junge Menschen Stellenanzeigen von Handwerksbetrieben von vornherein ausschließen", sagt Eigl.
Dieses oftmals falsche Bild gerade zu rücken, sei Aufgabe der Arbeitgeber. Eigls Geheimrezept, so sagt er selbst, bestehe dabei aus zwei Zutaten. "Zunächst brauchen wir richtigen guten Content, der den Beruf erklärt." Der müsse nicht immer teuer produziert werden. Viel wichtiger sei, dass er Neugierde weckt. Ein Bäckerbetrieb könne beispielsweise einen kurzen Clip drehen, derfünf Vorurteile über das Bäckerhandwerk nennt, die dann im Video entkräftet werden.
Gezielt Werbeanzeigen in Facebook und Instagram schalten
Seine zweite Zutat: den Inhalt zielgenau bewerben. "Da niemand nach diesem Clip sucht, muss er geliefert werden", sagt Eigl. Junge Menschen erreiche man am besten über Instagram, Eltern über Facebook. "Über den Werbeanzeigenmanager von Facebook kann man sehr fein festlegen, wer welchen Inhalt auf welchem Netzwerk angezeigt bekommt", erklärt der Social-Media-Experte. Betriebe könnten das Video so beispielsweise allen 14- bis 17-jährigen Schulabgängern der Region im Instagram-Feed anzeigen lassen. Personen, die über eine gängige Printanzeige womöglich nie auf den Betrieb aufmerksam geworden wären. Mindestens 100 Euro pro Monat sollten Arbeitgeber seiner Erfahrung nach in entsprechende Werbemaßnahmen investieren.
"Im Idealfall bietet der Content zusätzlich einen Anreiz, auf die Landingpage zu klicken", sagt Eigl. Im Bäckerbeispiel könnten dort etwa die vorgestellten Vorurteile widerlegt und ein Bewerberformular hinterlegt werden. Ob dieses tatsächlich ausgefüllt wurde, könne durch einen vorab implementierten Facebook-Pixel nachvollzogen werden – ein kostenloses Analysetool, das sämtliche Besucher und deren Handlungen auf der Seite registriert. "Hat ein Besucher das Formular nicht ausgefüllt, kann er später gezielt mit weiteren Werbeanzeigen angesprochen werden", erklärt Eigl.
Facebook-Pixel und Datenschutz
Ein Facebook-Pixel ist ein kostenfreier Code-Schnipsel, der umfassende Möglichkeiten bietet, Werbeanzeigen zielgenau in Facebook und Instagram zu platzieren. Besucht ein Nutzer etwa eine Homepage, auf der ein solches Pixel integriert ist, kann er später in den sozialen Netzwerken identifiziert werden. Betriebe können so gezielt Werbeanzeigen an Personen ausspielen, die mit ihrem Website-Besuch bereits Interesse an den Inhalten der Seite bekundet haben.
Ebenso ist es möglich, mit dem Facebook-Pixel sogenannte Lookalike Audiences zu erstellen. Damit können Werbetreibende auch solche Nutzer auf Facebook und Instagram identifizieren, die ähnliche Merkmale wie ihre Website-Besucher besitzen. Je nachdem, welche Handlung ein Besucher auf der Seite vorgenommen hat, kann er später mit gezieltem Inhalt angesprochen werden. Durch den Facebook-Pixel kann der Seitenbetreiber nachverfolgen, ob beispielsweise ein Kauf abgeschlossen oder ein Kontaktformular ausgefüllt wurde.
Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist laut Eigl zu beachten, dass bevor der Facebook-Pixel aktiv wird, eine Zustimmung von den Besuchern eingeholt werden muss. Diese kann beispielsweise im Cookie-Hinweis abgefragt werden. Erst wenn die Nutzer eingewilligt haben, darf das Facebook-Pixel in die Website eingebunden werden. Zusätzlich müssten Seitenbetreiber in der Datenschutzerklärung über die Funktionsweise des Pixels informieren und eine Opt-Out-Lösung anbieten.
Betriebe müssen sich ihrer Vorteile bewusst werden
Mit einem einfachen Video und etwas Werbebudget ist es allerdings nicht getan, warnt Eigl. "Es passiert Folgendes: Die Person sieht das Video und informiert sich danach direkt in Facebook oder Instagram über das Unternehmen." Findet der potenzielle Bewerber dort eine lieblos geführte Seite vor, waren die Bemühungen umsonst. Social Media müsse vielmehr langfristig gedacht werden. Handwerkbetriebe sollten sich dabei zunächst ihrer Vorteile bewusst werden. "Ein Obstkorb und kostenfreies Wasser sind im War for Talents keine Munition", meint Eigl. Eine mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur sei zwar ein Pluspunkt, doch diese müsse erst einmal glaubhaft kommuniziert werden. "Sie nur hinzuschreiben, reicht nicht."
"Es geht um den Aufbau einer Beziehung zu der Zielgruppe"
Handwerksbetriebe sollten sich daher transparent zeigen. "Mit den Kollegen verbringt man teils mehr Zeit als mit der eigenen Familie", sagt Eigl. Da sei es verständlich, dass sich Bewerber Infos über das Team und Einblicke in das Miteinander wünschen. Mitarbeiterporträts, Eindrücke von Betriebsveranstaltungen oder dem Arbeitsalltag seien hierfür ein gutes Mittel. "Optimal wäre ein Kanal, in dem ein bis zweimal pro Woche etwas veröffentlicht wird."
Wurde das Thema Social Media bislang verschlafen, sei jetzt der beste Zeitpunkt, es konsequent anzupacken. "Es geht um den Aufbau einer Beziehung zu der Zielgruppe", sagt Eigl. Seine Strategie sieht vor, Jugendliche schon zwei Jahre vor ihrem Schulabschluss erstmals in den sozialen Medien anzusprechen – und sie dann mit regelmäßigen Inhalten von einer Ausbildung zu überzeugen. "Im Idealfall ist der Betrieb zum Zeitpunkt der Stellenausschreibung schon längst in den Köpfen der Menschen."
Social-Media-Recruiting: Zeitintensiv aber lohnenswert
Was sich nach viel Arbeit anhört, ist in der Tat sehr zeitintensiv. Eigl schätzt den wöchentlichen Aufwand auf zehn bis 15 Stunden. Konfrontiert er seine Kunden mit dieser Zahl, bekommt er meist dieselbe Antwort zu hören: "Woher soll ich die Zeit nehmen?" Eigl weiß um die Probleme kleiner Betriebe. Dennoch rät er dazu, sich Gedanken über den möglichen Ertrag zu machen. "Wenn am Ende des Jahres gute Bewerber rausspringen und Aufträge wieder schneller abgearbeitet werden können, dann hat es sich schon gelohnt."