In wenigen Wochen beginnt das neue Ausbildungsjahr. Doch viele Lehrstellen im Handwerk sind noch unbesetzt. Um junge Leute zu erreichen, wird es immer wichtiger dort präsent zu sein, wo sie sich aufhalten: In den sozialen Netzwerken.

Noch hat Annemarie Heckel, zuständig für Marketing und Personal bei der Zimmerei Heckel im bayerischen Herretshofen, keinen einzigen unterschriebenen Lehrvertrag für das neue Ausbildungsjahr auf ihrem Schreibtisch liegen. "Das gab es noch nie", sagt Heckel. Der Betrieb bilde aktuell noch fünf Lehrlinge aus, aber die Situation sei zunehmend angespannt. In der Corona-Pandemie habe sich die Lage weiter verschärft und über "klassische" Kanäle ließe sich kaum jemand finden. "Wir haben bisher vorwiegend über die Homepage, Zeitungsinserate, das Gemeindeblatt, die Arbeitsagentur und Ausbildungsmessen gesucht. Doch jetzt müssen wir uns stärker auf die sozialen Netzwerke fokussieren", meint Heckel.
Betrieb hofft auf 2 bis 3 Bewerbungen pro Woche
Deshalb hat der Betrieb zusätzlich eine Agentur beauftragt, die mit einer gezielten Kampagne in verschiedenen digitalen Kanälen wie Instagram, Facebook und Tik Tok für eine Ausbildung in dem Handwerksbetrieb aus dem Unterallgäu werben soll.
Einige tausend Euro investiert die Zimmerei über mehrere Monate in die Aktion, die erst vor wenigen Tagen gestartet ist. Heckel hofft auf mehrere Bewerbungen pro Woche, denn insgesamt will sie bis zum Beginn des Ausbildungsjahres bis zu fünf Lehrstellen besetzen.
Nicht perfekte Videos sind besser als keine
Parallel dazu betreibt Heckel viel persönliches Engagement, um eine bessere Sichtbarkeit des Unternehmens in den sozialen Netzwerken zu erreichen. "Ich veröffentliche regelmäßig neue Beiträge zu unseren Betrieb auf Facebook und Instagram", sagt sie. Die Arbeit im Handwerk sei so abwechslungsreich und vielseitig, man müsse es nur nach außen an die jungen Leuten herantragen.
Neben Texten und Fotos fertigt die Marketingleiterin kurze und unterhaltsame Videos, so genannte Reels, an. "Die Clips sind zwar nicht professionell gemacht, aber das reicht für den Hausgebrauch. Ein nicht perfektes Video zu veröffentlichen ist immer besser als gar keines. Neue Imagefilme und Teamfotos lassen wir dagegen professionell mit Hilfe einer Marketingagentur erstellen", sagt sie.
Nach ihren Erfahrungen sei es nicht besonders teuer die sozialen Kanäle zu bespielen, aber sehr zeitaufwendig. Ob sich die Mühen wirklich lohnen, stellt sie nicht infrage. Denn Annemarie Heckel weiß, dass Unternehmen heute viel mehr Zeit und Aufwand investieren müssen als früher, um noch Mitarbeiter zu finden.
Bewerbermarkt wird zum Markt der Umworbenen
"Das Blatt hat sich gewendet. Bewerber werden heute zu Umworbenen und die Betriebe müssen sich um sie bemühen“, sagt Andreas Keller, Bereichsleiter Beratung bei der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz. Keller hält die digitalen Kanäle dabei für ein sehr wichtiges Instrument, besonders, wenn man Auszubildende oder junge Fachkräfte erreichen möchte. Allerdings sei nicht jeder Kanal gleichermaßen gut für jede Zielgruppe geeignet. "Für den Azubi-Markt sind nach unseren Erfahrungen Instagram und Tik Tok erfolgversprechender als Facebook oder Business-Netzwerke wie Xing und LinkedIn, wo sich mehr ältere Nutzer finden", sagt Keller.
Um in den sozialen Netzwerken als attraktiver Arbeitgeber aufzutreten, sei es sinnvoll, sich beraten zu lassen und sich von anderen Kampagnen Ideen zu holen. Ein Betrieb sollte dabei aber nicht die eigene Identität aus den Augen verlieren und keine Versprechen machen, die er in der Realität nicht einhalten könne.
Sinn des Jobs herausstellen
Zudem sei es wichtig, persönliche Bedürfnisse anzusprechen und sich von starren Stellenanzeigen zu verabschieden. "Viele junge Bewerber wollen etwas Sinnstiftendes tun und schauen nicht nur aufs Geld, das natürlich auch nicht zu vernachlässigen ist", sagt Keller. Gerade im Handwerk gäbe es viele dieser sinnstiftenden Tätigkeiten, die Betriebe nur richtig herausstellen müssen. Als Beispiel nennt Keller die Energiewende.
"Das Thema kann ein SHK-Betrieb perfekt in der Azubisuche aufgreifen und den jungen Leuten vermitteln, dass sie aktiv dabei helfen können, die Klimaziele zu erreichen.“ Besonders überzeugend sei eine solche Kampagne dann, wenn nicht nur der Chef zu Wort kommt, sondern Mitarbeiter aus dem Team Bewerber auf Augenhöhe ansprechen.
Wie das Employer Branding über digitale Kanäle im besten Fall funktionieren kann, zeigt das Beispiel des Meisterbetriebs MK Color aus Augsburg. Erst vor fünf Jahren wurde die auf den Innenausbau spezialisierte Firma gegründet und erzielt bereits einen Jahresumsatz von mehr als sieben Millionen Euro. Personalsorgen hat Geschäftsführer Nico Meitinger nicht. Aktuell sind neun Auszubildende im Unternehmen beschäftigt und aufgrund der Nachfrage mussten für einzelne Stellen schon mehrere Bewerberrunden geführt werden.
Digitale Kanäle allein können Fachkräfteproblem nicht lösen
Meitinger beschäftigt eine eigene Social Media Managerin und investiert über eine Agentur in die Kreation von Inhalten. Die sozialen Netzwerken allein seien aber auch kein Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel, ist der Chef überzeugt. "Es braucht einen stimmigen Gesamtauftritt. Das fängt bei der professionellen Homepage an, wo wir über Designsprache und lebendige Fotos der Mitarbeiter Interesse wecken, reicht über besondere Leistungen wie zum Beispiel das Sponsoring eines Leasingfahrrades bis hin zu flexiblen Arbeitszeiten mit Freiräumen", sagt Meitinger. Denn zufriedene Mitarbeiter, die einen weiterempfehlen, seien trotz aller Vorzüge der digitalen Kanäle immer noch das beste Mittel gegen Personalmangel.