Interview Kärcher-Chef zu Energiewende: "Wir haben die Handwerker nicht"

Hartmut Jenner warnt vor einer Überforderung der Unternehmen und kritisiert die praxisferne Energiepolitik der Ampel-Koalition. Mit Erfindungen speziell fürs Handwerk will er Betriebe unterstützen, den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen.

Hartmut Jenner ist seit 2001 Chef des Reinigungsgeräteherstellers Kärcher aus Winnenden. - © KD Busch

Zum Handwerk gehören einige Gewerke, die häufig mit Ihren Produkten arbeiten, Gebäudereiniger zum Beispiel. Wie wichtig sind Handwerker für Sie als Kundengruppe?

Hartmut Jenner: Wir stimmen tatsächlich bestimmte Geräte speziell aufs Handwerk ab. Bei uns gibt es zum Beispiel einen speziellen Sauger, den wir nur für die Schornsteinfeger herstellen. Der muss leicht sein und sich gut transportieren lassen. Auch mit den Bedürfnissen der Gebäudereiniger beschäftigen wir uns intensiv, das ist für uns eine Top-Zielgruppe. Das Handwerk spielt für uns insgesamt eine große Rolle. Ich möchte als Beispiele auch Schreinereien oder Bäckereien erwähnen. In deren Betrieben ist heutzutage alles in der Staubklasse vorgeschrieben. Es gibt so viele Stäube, da müssen sie für alle spezielle Sauger produzieren. Wir haben kürzlich einen Backofensauger neu entwickelt für die Bäckereien. Da müssen der Schlauch und das Zubehör wärmegeschützt sein.

Wie entwickeln Sie für diese Zielgruppe solche Produkte? Gehen Sie zu den Kunden, gehen Sie in die Fabriken, Werke oder Hallen?

Das läuft ganz genauso. Das heißt, bei uns gehen die Kollegen vom Produktmanagement oder vom Versuch wirklich zu den Handwerkern raus und fragen nach deren Problemen und  Bedürfnissen.

Was kriegen Sie vom Handwerk draußen dann zurückgespiegelt?

Die Kritik fällt immer sehr ehrlich aus. Denn Handwerker sind ehrliche Menschen, die sagen was gut ist und was nicht. Und zwar in einer sehr deutlichen Sprache, was ich sehr erfreulich finde. Und deshalb will ich auch deutlich sein…

 … schießen Sie los …

Manche Handwerker glauben leider, Consumer-Produkte gewerblich einsetzen zu können. Sie machen das vielleicht wegen des vermeintlich niedrigeren Preises oder weil sie im Baumarkt ein scheinbar passendes Produkt entdeckt haben. Aber ich empfehle wirklich, unsere Professional-Produkte zu verwenden. Denn am Ende sind zwei, drei Consumer-Produkte eben dann doch teurer als ein gewerbliches.

Was spricht denn für Ihre teureren Profi-Produkte?

Langlebigkeit, Robustheit und Reparaturfähigkeit. Reparaturfähigkeit ist ein Argument, auf das wir größten Wert legen. Ich nenne ihnen ein Beispiel: Es gibt einen Sauger, der wird speziell in Hotelbetrieben eingesetzt. Dabei haben wir festgestellt, dass Kabel immer wieder angescheuert werden. Das lässt sich kaum vermeiden, wenn der Sauger durch die Tür gezogen wird, um die Ecke rum und so weiter. Wir haben jetzt dafür gesorgt, dass man die Kabel tauschen kann. Die waren früher fest mit dem Gerät verbunden und der Austausch     war ein Riesenaufwand. Jetzt haben wir die Kabel abschraubbar gemacht. Das erhöht zwar die Herstellungskosten, aber jetzt lässt sich das Kabel bei Bedarf austauschen. Das bietet ein Produkt aus Asien nicht.

"Reparaturfähigkeit ist ein Argument, auf das wir größten Wert legen."

Hartmut Jenner

Welche Trends sehen Sie derzeit im Handwerk?

In der Gebäudereinigung sehen wir eine deutliche Tendenz zum Fachkräftemangel. Das heißt, unsere Produkte müssen Produktivität erzeugen. Fachkräfte, die nicht da sind, müssen zu einem gewissen Grad kompensiert werden. Die Spitze des Ganzen bildet die Robotik. Unseren voll autonom arbeitenden Scheuersaugroboter „KIRA“ haben wir beispielsweise im vergangenen Jahr auf den Markt gebracht. Und wir entwickeln aktuell eine digitale Plattform, die die Produktivität deutlich erhöhen wird. Das heißt, wir wollen die Gebäudereiniger unterstützen ihre Kapazitäten zielgerecht und nach Bedarf einzusetzen.

Wie funktioniert das?

Wenn Sie ein  Gebäude haben und der Regensensor Regen anzeigt, dann wissen Sie, dass Sie sich auf Wasserverschleppung vorbereiten müssen, den Eingangsbereich also öfters reinigen müssen. Oder die Tiefgarage hat tausend Stellplätze und an dem Tag sind 950 belegt, dann ist die Frequenz der Sanitärräume höher. Das alles wird systematisch der Plattform mitgeteilt. Und so lassen sich Arbeitskräfte viel besser und zielgerichtet einsetzen. Wir haben jetzt nach einem Jahr die ersten Erfahrungswerte. Ergebnis: Man kann 20 bis 25 Prozent Kapazitäten einsparen bei gleicher Reinigungsleistung. Solche Themen helfen Handwerkern und deren Kunden, besser zu werden.

Also Sie versuchen, die Handwerker bei der Effizienz zu packen…

Absolut. Und das zweite Thema ist neben der Effizienz die Ergonomie, also Arbeit zu erleichtern. Da gibt es viel zu tun. Nehmen wir die Bohrstaubabsaugungen. Kennen Sie die Luftumkehr, die wir entwickelt haben? Eine wichtige Aufgabe am Bau ist das Schlitzfräsen. Dabei fallen Feinstäube an und die werden dann abgesaugt. Das Problem bei Feinstaub ist, dass der Filter eines Saugers sofort zusetzt. Weil der Staub eben so fein ist. Und da müsste ein Mitarbeiter sich immer umdrehen und abrütteln. Oder er hat einen Kollegen, der das für ihn macht. Das ist alles andere als effizient. Wir haben ein System entwickelt, bei dem sich der Luftstrom jede Minute kurz umkehrt und so automatisch geregelt von oben durchbläst. Der Filter wird frei und saugt dann wieder. Das heißt, der Mitarbeiter muss nicht mehr zum Sauger gehen. Außer wenn er voll ist. Solche Systeme erleichtern die Arbeit enorm.

Wo sehen Sie noch Möglichkeiten, das Handwerk zu unterstützen?

Ich bin überzeugt, dass man noch mehr im Bereich Gesundheit tun kann, wie etwa bei den Rückensaugern – wenn im Kino gesaugt wird oder in Flugzeugen. Deren Gewicht haben wir auf ein Fünftel reduziert. Nicht um ein Fünftel, sondern auf ein Fünftel. Für die Person, die das Gerät den ganzen Tag trägt, bedeutet das eine riesige Erleichterung. Oder nehmen wir alles, was mit Lautstärke zu tun hat. Ein Akkusauger hat heute eine Leistung von 750 Watt. Vor fünf oder acht Jahren wollte niemand ein Gerät unter 2.500 Watt haben. Dieser 2.500 Watt Sauger hatte in der Bodendüse damals 750 Watt geleistet. Unser 750 Watt Sauger leistet heute 700 Watt in der Bodendüse. Das heißt, er verliert lediglich  zehn Prozent bei substanziell weniger Energieaufnahme. Lautstärke, Geräusche und Wärme fallen weg. Der Wirkungsgrad ist viel höher und die Betriebskosten niedriger.

"Zu Corona, Inflation und Lieferkette kamen noch die Sorgen seit dem Krieg."

Hartmut Jenner

Werfen wir einen Blick auf Kärcher als Unternehmen. Sie haben gerade Bilanz gezogen und sind mit einem blauen Auge davongekommen, oder?

Ja, es war nicht so einfach. Wir hatten 2020 und 2021 ein starkes Wachstum. Und dieses Wachstum noch einmal zu toppen, das war angesichts der Umstände 2022 nicht trivial. Zu Corona, Inflation und Lieferkette kamen noch die Sorgen seit dem Krieg. Insofern war ich am Ende des Tages mit den Zahlen zufrieden, auch wenn ich nicht euphorisch bin.

Sie haben die Lieferkettenprobleme angesprochen. Wo haben Sie die im Unternehmen selber gespürt?

Überall. Wir hatten 2021 wirklich in fast allen Feldern des B2B-Geschäftes große Probleme. Die größte Engpasssituation bis heute besteht vor allem bei Elektronik, Elektronikplatinen und den Chips auf den Platinen. Das ist bei Weitem noch nicht behoben, auch wenn jetzt überall in Europa Halbleiterfabriken entstehen.

Unser Industriestandort verändert sich rasant. Wie bewerten Sie die Politik der Bundesregierung?

Ich vertrete hier eine klare Meinung: Die Politik muss aufpassen, dass sie die Unternehmen nicht überfordert. Denn Veränderungsprozesse und Transformation brauchen eine gewisse Zeit, gerade in diesem Umfeld. Schauen wir auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, der Begriff sagt schon alles. Das wurde jetzt um ein Jahr verschoben. Weil die Politik selbst erkannt hat, dass das derzeit nicht abbildbar ist.

"Mich stört dieser Anspruch, alles regeln zu müssen."

Hartmut Jenner

Als deutsches Unternehmen ab einer gewissen Größe soll ich Verantwortung tragen, dass sich meine Lieferanten im Ausland an Gesetze halten und zum Beispiel keine Kinderarbeit dulden oder Umweltverschmutzungen begehen. Der Ansatz ist doch nachvollziehbar…

Mich stört dieser Anspruch, alles regeln zu müssen. Wir als Unternehmen haben schon immer unsere Lieferanten auditiert. Es ist doch undenkbar, dass wir uns als Weltmarktführer und bekannter Markenhersteller irgendwelcher schweren Verfehlungen schuldig machen würden.

Heftiger als die Sorgfalt um die Lieferkette wird im Handwerk gerade die Energiewende diskutiert, vor allem der schnelle Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen und der Einbau von Wärmepumpen. Wie bewerten Sie die Energiewende?

Wir müssten jeden Tag ein Windrad errichten und schaffen zehn im Jahr. Wir haben die Handwerker nicht, wir haben die Fachkräfte nicht. Davor die Augen zu verschließen, das zeugt von einem geringen Praxisbezug in der Politik.

Finden Sie bei Kärcher noch genügend Arbeitskräfte?

Ja, aber es ist nicht immer leicht. Was auch am starren Arbeitsmarkt in Deutschland liegt. Sie können nicht gut reagieren oder kompensieren. Wir haben zum Glück einen Haustarifvertrag, der uns eine gewisse Flexibilität ermöglicht. Aber auch hier stoßen wir an Grenzen. Ich glaube, das spüren alle Unternehmen. Und das führt dazu, dass wir bei bestimmten Fachkräften und Tätigkeiten auf das Ausland ausweichen müssen. Es gab ja vorher schon kaum genug Fachleute für IT, Robotik, Akkutechnologie, Elektroingenieure. Und wegen der Mobilitäts- und Energiewende ist es noch schwieriger geworden. Deshalb müssen wir woanders rekrutieren.

Die Jugendlichen sind recht anspruchsvoll geworden, doch viele Betriebe klagen über den Bildungsstand und Arbeitsmotivation. Wie erleben Sie die Auszubildenden und die Nachwuchskräfte in Ihrem Unternehmen?

Ich habe da eine andere Einstellung als viele meiner Kollegen. Jede Generation hat sich doch über die vorherige beklagt. Aber jede Generation hat auch ihre eigenen Stärken. Und die muss man versuchen zu nutzen. Was mich tatsächlich nachdenklich stimmt: Wie schaffen wir es, dass die verschiedenen Generationen gut zusammenarbeiten? Wir haben es in unseren Unternehmen bald mit fünf Generationen zu tun. Wir werden also Menschen haben im Alter über 60 und Menschen der Generation Alpha. Und diese zu führen, und zwar nicht jeden einzeln, sondern miteinander, das halte ich für nicht ganz so einfach. Das ist eine herausfordernde Aufgabe.