Am Rande der Internationalen Handwerksmesse in München trifft der Bundeskanzler traditionsgemäß Vertreter der Wirtschaft zum ehrlichen Austausch. Diesmal zeigten sich die Wirtschaftsleute besorgt, während der Kanzler eine "Phase großen Wachstums" prophezeit. Scholz vertraut vor allem aufs Handwerk.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht das Handwerk in einer Schlüsselrolle bei der Bewältigung der anstehenden Herausforderungen. "Wir wollen nicht nur über Energiewende und Digitalisierung reden. Irgendjemand muss das auch machen. Und das ist das deutsche Handwerk", sagte Scholz nach dem Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft in München.
Der Bundeskanzler zeigte sich optimistisch, dass das Land vom Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft bis 2045 profitieren werde. "Ich gehe davon aus, dass Deutschland vor einer Phase großen Wachstums steht – in einem Ausmaß, wie wir das über Jahrzehnte nicht mehr gewohnt waren."
Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Jörg Dittrich, sicherte dem Kanzler die Unterstützung des Handwerks zu. Allerdings müssten sich dafür die Rahmenbedingungen verbessern. Sorgen bereitet dem Handwerk vor allem der Mangel an Auszubildenden und Fachkräften. Dittrich mahnte eine "Bildungswende" an: "Keine Wende ohne Hände." Jahrzehntelang sei die berufliche Bildung gegenüber der akademischen Bildung vernachlässigt worden. Ausbildungsbetriebe müssten entlastet werden. Bundeskanzler Scholz warb für eine Ausbildung im Handwerk. Gleichzeitig müsse die Durchlässigkeit zwischen beruflichen und akademischen Ausbildungswegen weiter verbessert werden.
Lob für den Meisterbrief
Handwerkspräsident Dittrich und Bundeskanzler Scholz betonten zudem die Bedeutung des Meisterbriefs im Handwerk. "Die Welt beneidet uns nicht um unsere Steuergesetze, sondern um unsere berufliche Bildung", sagte Dittrich. Scholz bezeichnete den Meister als Garant für Qualität.
Unterschiedliche Ansichten vertraten der Bundeskanzler und die Vertreter der Wirtschaft über den Zustand des Standorts Deutschland. Nach Ansicht von Scholz hätten die vergangenen Monate eindrucksvoll gezeigt, "wie widerstandsfähig unsere Volkswirtschaft ist". "Wir sind gut durch den Winter gekommen. Das hatte niemand so vorhergesagt. Wir haben allen Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken", sagte der Kanzler. Gleichwohl hätten die vergangenen Monate der Wirtschaft und Gesellschaft viel abverlangt. "Wir haben uns untergehakt und haben das Miteinander hinbekommen."
Verlust an Wettbewerbsfähigkeit
Peter Adrian bewertete die Lage weit weniger zuversichtlich. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) sprach im Namen der Spitzenverbände der Wirtschaft. Zwar sei ein nachhaltiger Einbruch der Konjunktur verhindert worden. Dennoch stünden Deutschland schwierige Zeiten bevor. "Da spielen die Energiepreise eine große Rolle." Auch müsse das Land seine bürokratischen Prozesse entschlacken und an Tempo zulegen.
Adrian spielt auf das Ziel der Bundesregierung an, pro Woche vier bis fünf neue Windkraftanlagen ans Netz zu bringen, 1600 Wärmepumpen pro Tag zu verbauen und Hunderttausende Wohnungen jährlich neu zu errichten oder energetisch zu ertüchtigen. Hier fällt dem Handwerk eine zentrale Rolle zu, wie auch der Bundeskanzler betonte. "Wir brauchen das Handwerk für unsere Zukunft." Zuletzt hatte eine Studie Aufsehen erregt, nachdem die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) angepeilte Einbauverbot von Gas- und Ölheizungen 1000 Milliarden Euro kosten könnte.
Die Wirtschaftsverbände mahnten im Gespräch mit dem Bundeskanzler eine Energie- und Wirtschaftspolitik an, "mit der Rahmenbedingungen strukturell verbessert werden". Deutschland gerate immer mehr ins Hintertreffen. "Die Bundesregierung sollte daher auf kleinteilige Vorgaben wie beim Effizienzgesetz verzichten."
Abwanderung von Unternehmen
Die Wirtschaftsvertreter machen sich Sorgen, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland schwindet, dem Land stünden "tiefgreifende Konsequenzen" bevor. "Der Verlust industrieller Wertschöpfung ist keine theoretische Gefahr mehr. Er findet bereits statt", schrieben sie in ihrer gemeinsamen Erklärung. Energiewende, Digitalisierung und die Alterung der Gesellschaft erforderten eine Neuausrichtung der Wirtschaft. "In kürzester Zeit müssen die Unternehmen Anlagen ersetzen oder modernisieren du zum Teil ganze Infrastrukturen und Logistikketten neu aufbauen." Scholz äußerte sich positiv über die Globalisierung der Wirtschaft. Die internationale Verflechtung habe dem Land großen Wohlstand beschert. Die Bundesregierung verfolge kein Konzept der De-Globalisierung.
Das Münchener Spitzengespräch fand am Rande der Internationalen Handwerksmesse und des neuen Kongressformats "Zukunft Handwerk" statt. Scholz sprach von einer "schönen Tradition" und kündigte an, die Handwerksmesse im kommenden Jahr wieder zu besuchen.