CO2-Fußabdruck und Klimazertifikate Klimaneutrale Handwerksbetriebe: Zukunft oder nur eine Mode?

Immer mehr Produkte tragen das Label "klimaneutral". Von ganzen Betrieben hört man, dass sie ihren eigenen CO2-Fußabdruck kompensieren. Was steckt dahinter? Eine Fleischerei zeigt ihren Weg zum klimaneutralen Handwerksbetrieb.

klimaneutrale Fleischerei
Für das Jahr 2021 hat die Fleischerei Kohl-Kramer ihre Klimabilanz ausgeglichen. Die Betriebsinhaber Gabriele und Fritz Kästel setzen sich dafür ein, dass ihr CO2-Fußabdruck so klein wie möglich ausfällt. - © Manuel Klemm Zero Blues

Klimaneutral sind heute von der Zahnbürste bis zum Smartphone immer mehr Produkte unseres Alltags. Der Begriff "klimaneutral" prangt auf immer mehr Verpackungen und klingt in Werbebotschaften an. Doch er ist weder geschützt noch über Normen definiert – weder auf deutscher noch europäischer Ebene. Konkret geht es darum, dass bei der Herstellung eines Produkts die Entstehung von CO2 soweit wie möglich eingeschränkt und das entstandene CO2 kompensiert wird. Dabei wird die vermeintlich schlechte Klimabilanz mit der eines Produkts mit einer sehr positiven Bilanz ausgeglichen. Und was bei Produkten funktioniert, kann auch auf ganze Betriebe angewendet werden. So nimmt auch die Zahl der Unternehmen zu, die sich als Ganzes "klimaneutral" nennen. Aber was steckt dahinter und wie seriös ist das?

2023 soll es eine Norm für den Begriff "klimaneutral" geben

"Die fehlende verbindliche Definition führt häufig zu einer sehr weiten Auslegung, was überhaupt klimaneutral bedeutet", sagt dazu Florian Himmelstein von der GUTcert. Die GUTcert ist eine Zertifizierungsgesellschaft, durch die Unternehmen ihre Berechnung der Treibhausgasemissionen oder ihre Klimaneutralität überprüfen lassen können. Trotz der vermeintlich kritischen Annahme, dass der Begriff "klimaneutral" nicht einheitlich festgelegt ist, wird er aber immer wichtiger – politisch, gesellschaftlich, und dafür, dass Unternehmen zeigen, dass sie sich mit dem eigenen Energieverbrauch und dem, was dieser für Folgen auslöst, auseinandersetzen. So wird derzeit auch an einer Norm gearbeitet, um das Etikett der Klimaneutralität zu vereinheitlichen. Florian Himmelstein erklärt, dass dies eine internationale ISO Norm (ISO 14068) sein wird. Sie soll einen einheitlichen Standard für eine Zertifizierung zum klimaneutralen Unternehmen bieten. "Erscheinen wird die Norm voraussichtlich 2023."

Doch auch außerhalb der Normenwelt gibt es schon Wege für die Zertifizierung. Sich damit auseinanderzusetzen, wird in Zukunft immer wichtiger. Darauf weist aktuell auch die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF) hin. Sie hat gemeinsam mit GUTcert und Ökotec einen Leitfaden für Unternehmen erstellt, die sich auf den Weg zur Klimaneutralität machen wollen – oder sogar vielleicht machen müssen. "Über den europäischen und nationalen Emissionshandel gibt es bereits heute für einige Branchen die Pflicht, sich dezidiert mit ihrem Treibhausgas-Ausstoß zu befassen, wenn auch nicht mit dem Ziel der vollständigen Klimaneutralität. Diese Regeln gelten – unabhängig von der jeweiligen Unternehmensgröße", erklärt Tatjana Ruhl von der DENEFF. Sie hat an dem Leitfaden mitgearbeitet, der nun online verfügbar ist.

Klimabilanz von Unternehmen bekommt mehr Bedeutung

Konkret meint sie Branchen wie die Papier- und Chemieindustrie. Handwerksbetriebe dürften bisher nur im Einzelfall direkt betroffen sein. Dennoch stehen in Zukunft Veränderungen an. Laut Ruhl werden mittelfristig weder die Branche noch die Größe eines Betriebs eine Rolle spielen, wenn es um die Klimabilanz geht. Auf EU-Ebene wird derzeit das so genannte Fit-for-55-Paket verhandelt, das grundsätzlich auf vielen Ebenen Verschärfungen und zusätzliche Pflichten bringen wird. Die Planungen in Deutschland sind nach Angaben von Tatjana Ruhl ähnlich. "Es ist abzusehen, dass sich Regelungen zur Klimaneutralität eher am tatsächlichen Energieverbrauch oder dem Treibhausgasausstoß orientieren werden, als an der Unternehmensgröße." Auch verpflichtende Nachhaltigkeits-Reporting werden voraussichtlich immer mehr Unternehmen betreffen. 

Kurz gesagt: Auch kleine und mittlere Unternehmen werden es über kurz oder lang nicht vermeiden können, sich mit ihrer Klimabilanz auseinander zu setzen. Deutschlands Wirtschaftssektor soll – wie die anderen Sektoren auch – bis 2045 klimaneutral sein. "Im Umkehrschluss bedeutet dies: Jedes einzelne Unternehmen muss klimaneutral werden", sagt Ruhl. Aber nicht nur auf politischer Ebene bekommt dies an Bedeutung. Auch betriebswirtschaftlich rückt die Klimabilanz zunehmend ins Rampenlicht – für kleine wie für große Unternehmen.

Und das ist aus Sicht der DENEFF-Mitarbeiterin auch wichtig. "Die Frage nach der Klimaneutralität hat erst in jüngster Vergangenheit den Stellenwert erhalten, den sie verdient. Schließlich geht es bei der Begrenzung der Folgen des Klimawandels um nichts weniger als den Erhalt von Frieden, Gesundheit und Wohlstand auf unserem Planeten." So sei es wichtig, dass sich auch Unternehmen nun konsequent auf den Weg machen und ihren Beitrag leisten. Eine verbindliche Definition, was ein klimaneutrales Produkt oder Unternehmen ist, sei sinnvoll, um den Verdacht einer reinen Mode auszuräumen.

Klimaneutral werden und Energiesparen gehören zusammen

Ganz konkret geht sie aber auch davon aus, dass es künftig für Unternehmen eine wichtige Rolle spielt, dass sie Anforderungen zu klimaneutralen Produkten erfüllen und auch innerhalb von Lieferketten belegen können. "Sie werden zunehmend Voraussetzung für Auftragsvergaben. Daneben bringen eingesparte Treibhausgase in der Regel auch einen gesenkten Energie- und Ressourcenverbrauch. Und das wirkt sich direkt auf den Geldbeutel aus", sagt Tatjana Ruhl.

So ist es oftmals auch eine Energieberatung im klassischen Sinn, die Handwerksbetriebe dazu führt, zum klimaneutralen Unternehmen zu werden. Das Zertifizieren von einzelnen Produkten macht dabei auch Sicht von Axel Nolden vom Deutschen Fleischer-Verband (DFV) oftmals wenig Sinn. Seiner Meinung nach bringt es wenig Glaubwürdigkeit, wenn etwa eine Wurstsorte oder ein bestimmtes Fleischereiprodukt das Label "klimaneutral" trägt und ein anderes nicht. Axel Nolden hilft schon seit einigen Jahren Handwerksfleischereien bei einer derartigen Betriebszertifizierung bzw. als Energieberater vor allem dabei, dass Fleischereien ihre Energiekosten senken und mehr Energieeffizienz erreichen können. Mit dem Weniger an Energieverbrauch geht auch ein Einsparen der eigenen CO2-Emissionen einher. "Wenn der eigene CO2-Fußabdruck erstellt ist, ist es nicht mehr weit auch das Kompensieren durch Zertifikate anzugehen". So beschreibt Nolden den Prozess, der startet, wenn er sich mit einer Fleischerei auf den Weg macht zur Klimaneutralität.

Klimaneutraler Handwerksbetrieb: So läuft die Zertifizierung ab

Und dabei haben es Fleischereien besonders schwer, da sie mit dem Vorwurf umgehen müssen, dass das Produkt "Fleisch" eben gerade einen besonders großen CO2-Fußabdruck hinterlässt. So wäre laut Nolden auch eine Art "Greenwashing", wenn man nun versuche, Fleischprodukte als einzelne zu zertifizieren. Besser sei es als ganzer Betrieb zu zeigen, dass man klimaschonend wirtschafte und dass die hergestellten Produkte grundsätzlich regional erzeugt sind und wenig klimaschädliche Spuren hinterlassen. Zwar bietet der DFV Unterstützung bei der Zertifizierung schon seit einigen Jahren an. An Fahrt nimmt die Nachfrage aber erst jetzt so richtig auf.

Dabei läuft der Prozess in mehreren Schritten ab. Erst erfassen die Betriebe konkret ihre gesamten Energieverbräuche und legen auch offen, welche Emissionen durch die verwendeten Energieträger entstehen. Dabei wird jeder Betriebsbereich analysiert – von der Produktion, über die Verwaltung bis hin zu den Lieferungen und die eigene sowie die berufliche Mobilität der Mitarbeiter. Im Rahmen der Energieberatung erfolgt dann auch das Erstellen des CO2-Fußabdruck des Betriebes ermittelt bzw. der CO2-Bilanz. Der DFV nutzt dabei als Grundlage die international vorgegebenen Greenhouse Gas Protocol Corporate Standards (Treibhausgasprotokoll Unternehmensstandards) und kann dann als Ergebnis die noch restlichen durch betriebliche Ressourcen- und Rohstoffverbräuche entstehenden Emissionen CO2-äquvialent berechnen.

Diese Bilanz braucht dann einen Ausgleich. Er erfolgt über den Kauf von Klimazertifikaten. Das sind sozusagen positive CO2-Bilanzen anderer, die gehandelt werden. Man unterstützt beispielsweise Klimaschutzprojekte finanziell und gleicht damit den eigenen CO2-Fußabdruck aus. Beginnt man mit dem Prozess, steht natürlich mehr zum Kompensieren an, als wenn man sich schon eine längere Zeit mit den eigenen Verbräuchen auseinandergesetzt hat. Denn nicht das bloße "Freikaufen" ist das Ziel.

Klimabilanz immer nur für ein Jahr: Updates nötig

Im Mittelpunkt steht das Erkennen, wo Energieeinsparungen im Betrieb möglich sind und kurz-, mittel- oder langfristig angestoßen werden können. Die Energieeffizienz soll verbessert und der CO2-Fußabdruck verringert werden. Dazu gehören auch Maßnahmen wie der Umstieg auf Ökostrom oder das Überprüfen und Umstellen von Verpackungsmaterialien. So ist das Erstellen einer betrieblichen Klimabilanz zwar immer für ein konkretes Jahr gedacht. Wirklich lohnenswert ist es aber erst dann, wenn die Betriebe dabeibleiben, die Verbräuche zu kontrollieren und zu senken. Axel Nolden rät dazu, etwa alle zwei Jahre den Fußabdruck zu aktualisieren, denn dann würden sich umgesetzte Einsparmaßnahmen am besten abbilden lassen. Möchte man dann weiter als klimaneutrales Unternehmen gelten, kann man aber auch damit rechnen, dass die Kosten für das Kompensieren mit den Jahren immer weniger werden. Außerdem sinkt der Aufwand.

"Hat man einmal die Grundlagen geschaffen – auch in der eigenen Buchhaltung, sinkt der Aufwand erheblich und man muss ja quasi nur Verbrauchsdaten ergänzen", sagt Nolden. In Fleischereien stehen als konkrete Maßnahmen dann meist Investitionen in neue Technik an, die den Stromverbrauch senken – kleine wie die Umstellung auf eine LED-Beleuchtung oder auch mal große wie das Installieren einer PV-Anlage zur Eigenstromversorgung. Die Wärmeversorgung sei in Fleischereien dagegen kein großes Thema, da die großen Kühlanlagen meist Abwärme erzeugen. Diese kann genutzt werden. "Es geht eher darum, wie man – vor allem im Sommer – Wärme loswerden kann", sagt Nolden. Das kostet auch wiederum Strom.

Klimaneutral werden: Eine Fleischerei zeigt ihren Weg

Dass der Weg zum klimaneutralen Unternehmen sich ganz konkret auf den Betriebsalltag auswirkt, hat auch die Fleischer Kohl-Kramer aus dem nordhessischen Borken gespürt. Zwar waren Energieeinsparungen und dafür nötige Investitionen schon in den Jahren davor ein großes Thema für den Handwerksbetrieb. Das alles abzubilden und eine wirkliche Bilanz zu erstellen, empfand Christine Kästel doch auch als Aufwand – aber "gerechtfertigt". Sie ist die Tochter der Betriebsinhaber Gabriele und Fritz Kästel, die im vergangenen Jahr mit ins Unternehmen eingestiegen ist.

"Der Aufwand war nicht mit einem Fingerschnips erledigt, aber das sollte er auch nicht sein. Die Auseinandersetzung mit dem Thema und den eigenen Verbräuchen ist wichtig. Wenn man eine sehr aufgeräumte Buchführung hat, hat man die notwendigen Daten ja schnell zur Hand. Wenn nicht, hat man nachhaltig etwas davon", beschreibt sie den Ablauf. Kästel möchte ihn dann im nächsten Jahr von Neuem angehen. Hat das erste Klimabilanzieren etwa zwei Monate gedauert, rechnet sie dann mit weniger Zeit, die sie dafür benötigt.

Die Beratung durch den DFV ist dabei für Mitgliedsbetriebe kostenlos. Unterstützung hat Christine Kästel auch durch den Zertifikate-Anbieter Fokus Zukunft bekommen bzw. sich durch immer wieder Nachfragen geholt. So konnte sie auch Projekte finden, von denen die Fleischerei Zertifikate erworben hat, die ihr zu 100 Prozent zusagen. Die Fleischerei Kohl-Kramer unterstützt den Betrieb einer Wasserkraftanlage in Chile, nachhaltige Waldbewirtschaftung in Brasilien und ein Kochofen-Projekt in Nigeria. Ausgewählt hat diese drei Projekte Fleischermeister Fritz Kästel da es ihm nach eigenen Angaben wichtig war, drei Schwerpunkte zu setzen: "Schutz natürlicher Ressourcen, Förderung effizienter Energiegewinnung und Unterstützung eines sozialen Projekts."

Klimazertifikate kaufen zum Ausgleich des eigenen Fußabdrucks

Auszugleichen hatte der Betrieb einen Fußabdruck von 146,1 Tonnen äquivalentem CO2 für das Berichtsjahr 2021. Da schon vor dem Beginn der Zertifizierung die betriebseigene PV-Anlage für 100 Prozent Ökostrom sorgt, eine Pelletheizung Wärme bringt und nachhaltige Verpackungsmaterialien genutzt sind, gab es nur einen Aspekt, der die CO2-Bilanz etwas belastete: ein Leck an einer Kühlanlage sorgt dafür, dass der Verbrauch an Kühlmittel anstieg. "Das haben wir sofort repariert und nun wissen wir auch sicher, dass wir hier bei der nächsten Überprüfung viel besser abschneiden", sagt Christine Kästel.

Durch den Zertifikate-Kauf gilt die Fleischerei Kohl-Kramer heute aber dennoch als klimaneutral. Damit wollte Christine Kästel auch ein Statement setzen, dass "eine Fleischerei nicht immer einen großen CO2-Fußabdruck hinterlässt". Sie empfindet den Umgang mit dem Thema als schwierig, aber dennoch händelbar. Man müsse eben viel mit den Kunden sprechen und den Unterschied zwischen Handwerk und industrieller Produktion darlegen. "Die Leute sollen und wollen Bescheid wissen, wo unser Fleisch herkommt und das ist ein Umkreis von höchstens zehn Kilometern. Wir haben kurze Lieferketten und die Tiere werden artgerecht gehalten und erleben keinen Stress vor dem Schlachten", berichtet Christine Kästel. Ihr geht es um ehrlichen Umgang mit diesen Themen und um Transparenz – und das auch in Bezug auf die eigene Klimabilanz.

So erstellen Handwerksbetriebe den eigenen CO2-Fußabdruck

So sind derzeit Betriebe aller Branchen dabei, sich dafür einzusetzen, Energieverbräuche zu senken, mehr Energieeffizienz zu erreichen und damit auch den eigenen CO2-Fußabdruck zu verkleinern. Unterstützung können Handwerksbetriebe dabei ganz konkret auch durch die Mittelstandsinitiative Energiewende und Klimaschutz bekommen. Dahinter stehen die Umweltzentren der Handwerkskammern. Sie bieten Beratungen und passende Instrumente an, um Energieverbräuche zu ermitteln und zu senken – außerdem zeigt ein CO2-Rechner und die Möglichkeit mit dem sogenannten E-Tool und mit nur ein paar Klicks den eigenen CO2-Fußabdruck zu ermitteln. Infos dazu gibt es hier.>>>

Tipp: Kosten für die Erstellung und Zertifizierung einer CO2-Bilanz sind aktuell auch vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gefördert. Infos dazu gibt es hier.>>>