Tausende Unternehmer sind verärgert. Mit einer Betriebsschließungsversicherung sicherten sie sich gegen Seuchenfälle und den drohenden Umsatzverlust daraus ab. Doch in der Corona-Pandemie zahlten viele Versicherer nur einen Bruchteil des versicherten Schadens, in manchen Fällen auch gar nichts. Immer mehr Betriebe ziehen deshalb jetzt vor Gericht.
Markus Rieksmeier

Wegen der Corona-Pandemie mussten im Frühjahr in Deutschland praktisch alle Dienstleister des Handwerks ihre Betriebe von Amts wegen schließen. Nur Geschäfte, die als systemrelevant eingestuft wurden - wie Arztpraxen, Apotheken und Bäckereien sowie Lebensmittelläden - waren für ihre Kunden weiter geöffnet. Geschlossen blieben von Mitte März an neben Friseurbetrieben auch allergrößte Teile der Gastronomie.
Anfang März dieses Jahres, als Corona sich zunächst anscheinend lediglich regional ausbreitete, etwa in Norditalien, erhielten viele Versicherungen Anfragen von Kunden und ihren Versicherungsmaklern zu ihren Verträgen. Daraufhin bestätigten viele Versicherer, Covid-19-bedingte Infektionen seien versichert; so zum Beispiel auch die Haftpflichtkasse VVaG, die in ihrer entsprechenden E-Mail Anfang März zudem betonte, dass das Virus Covid-19 (formal "Zoonotische Influenza") seit 1. Februar im Infektionsschutzgesetz benannt sei – und damit versichert.
Die Betriebsschließungsversicherung, die bei Betriebsschließung kaum zahlt
Versicherungsmakler Ralf Schollmeyer vom RS-Finanzservice in Aufhausen bei Regensburg berichtet der Deutschen Handwerks Zeitung (DHZ) von einem Fall, bei dem die Haftpflichtkasse Darmstadt nach vorheriger Anfrage des Maklers bei einem Gastronomen noch am 4. März dessen Vertrag zur Betriebsschließungsversicherung geändert hat. Auf Wunsch des versicherten Restaurantbetreibers wurde zum einen der Tagegeldsatz erhöht und zum zweiten die Haftzeit des Versicherers verlängert: ab dem 3. April 2020 von bisher 30 auf jetzt 60 Tage.
Nach Angaben des Dehoga-Verbands, der die Interessen der Hotel- und Gastwirte vertritt, seien im Frühjahr mehr als 160.000 Gastrobetriebe aufgrund amtlicher Verfügungen geschlossen worden. Lediglich etwa 25.000 bis 40.000 Gastwirte, Kantinen- oder Hotelbetreiber, meldete "Der Spiegel" im April mit Bezug auf den Dehoga-Verband, hätten eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen. Bei einem solchen Vertrag handelt es sich um eine Police, die das Seuchenrisiko der Betriebe absichert.
Verfügt das Gesundheitsamt, dass der Betrieb wegen eines Seuchenfalls etwa bei einem Mitarbeiter geschlossen werden muss, dann bezahlt die Versicherung dem Inhaber des Betriebs ein Tagegeld. Meistens haben die Betriebe dieses Tagegeld für 30 Tage versichert – und dafür jahrelang auch ihre Beiträge an den Versicherer bezahlt.
"Bayerische Lösung" sieht freiwillige Zahlung von 15 Prozent vor
Tatsächlich bezahlen viele Versicherer lediglich 15 Prozent des versicherten Tagegeldesund bezeichnen dies als Kulanz, wie die DHZ am 9. Juni berichtete. Zum einen sehen viel Versicherer die vorsorgliche Allgemeinverfügung (so der offizielle Begriff) zur Schließung der Betriebe als nicht versichert. Zum anderen entwickelten in Bayern der Dehoga-Verband, Versicherer wie Allianz und Versicherungskammer Bayern und die Landesregierung die so bezeichnete "Bayerische Lösung". Eben diese sieht als Richtwert die freiwillige Zahlung von 15 Prozent des versicherten Schließungsschadens an die (vor allem) betroffenen und versicherten Gastronomen vor.
Im Falle des Restaurants in Regensburg, dessen Versicherungsschutz Makler Schollmeyer noch im März von 30 auf 60 Tage Leistungsdauer verlängert hatte, streitet der Gastronom nun mit dem Versicherer. Und zwar nicht nur wegen der 15-Prozent Pauschalzahlung, sondern auch um die Leistungsdauer: 60 Tage laut Vertrag? Oder nur für 30 Tage (angelehnt an die "Bayerischen Lösung")? Makler Schollmeyer ist Mitglied der branchenweit hoch anerkannten VEMA Versicherungsmakler-Genossenschaft.
Er sagt, es ist "nicht einzusehen, warum sich der Versicherte nach vorheriger Zusage des Versicherers nur mit einer abgespeckten Entschädigung abspeisen lassen soll, zumal sich aus dem Bedingungswerk Versicherungsschutz ableiten lässt und auch die Prämie für den höheren Versicherungsschutz entrichtet worden ist".
Diese Versicherer zahlen am meisten
Die meisten Versicherer versuchen nach Recherchen der DHZ, mit den Inhabern der versicherten Betriebe die "Bayerische Lösung" zu finden und 15 Prozent des eigentlich versicherten Schadens zu erstatten. Mit viel mehr Erstattung können die meisten Gastronomen, deren Betrieb von Amts wegen schließen musste, nicht rechnen. Ausnahmen recherchierte die DHZ aus Aufzeichnungen mehrerer Versicherungsmakler mit insgesamt etwa 300 Schadenfällen.Die folgenden Zahlen sind zwar nicht repräsentativ; zeigen aber durchaus unterschiedliche Handhabungen der Versicherer.
Demnach zahlt die LVM-Versicherung (Münster) an die versicherten Betriebe 60 bis 80 Prozent des versicherten Tagegeldes. Bei HDI bis zu 80 Prozent und der klassische Handwerksversicherer Münchener Verein sogar bis zu 100 Prozent.
Gerichte entscheiden: Stehen Versicherten mehr als 15 Prozent zu?
Ob den versicherten Betriebsinhabern mehr als 15 Prozent "freiwillige" Erstattung ihres Schadens wegen der vom Amt geschlossenen Betriebe zusteht, das prüfen nun immer mehr Gerichte. "Wie viel ist ein Biergarten wert?", fragte Ende Juli die "Süddeutsche Zeitung".Die Zeitung berichtete von Klagen mehrerer Gastronomen vor dem Landgericht München I. Unter den Klägern an dem Gericht befindet sich dem Bericht zufolge auch der Betreiber des Ausflugslokals "Tatzlwurm" in den bayerischen Alpen. Dessen Inhaber Karl Kiesl fordere von der Allianz -Versicherung 236.000 Euro als Ersatz für den versicherten Schließungsschaden.
"Würde da stehen: Wir haften nicht für Pandemien, super easy, das versteht jeder."
Am Beispiel eines Vertrags zur Betriebsschließungsversicherung bei der Allianz, zu dem am Landgericht gestritten wird, habe die zuständige Richterin Susanne Laufenberg am Landgericht München erklärt, die Allianz-Vertragsbedingungen seien "intransparent". So berichtete es am 31. Juli zu dem Münchener Prozess "Legal Tribune Online", ein Fachportal für Juristen. Weiter habe Richterin Laufenberg demnach gesagt: "Würde da stehen: Wir haften nicht für Pandemien, super easy, das versteht jeder." Insgesamt seien allein beim Landgericht München I Stand Ende Juli rund 40 Klagen gegen Versicherungen anhängig, mit denen vor allem Gastrobetriebe höhere Entschädigungen wegen geschlossener Betriebe einklagen. In München werden die Klagen am 17. September weiterverhandelt.
Schließungspolicen "nicht für den Pandemiefall gedacht"
Die "Neue Osnabrücker Zeitung" (NOZ) berichtete Anfang Juli bereits von mehr als 80 ähnlichen Klagen gegen die Versicherer. Dies habe eine Umfrage der Zeitung bei rund 15 Landgerichten ergeben, die schrieb: "Nahezu alle betroffenen Kammern gehen davon aus, dass es in den kommenden Wochen zu weiteren Klagen kommen wird".Die Gerichte und die Streitparteien seien noch in einem frühen Stadium; es könne noch "einige Wochen oder Monate dauern", bis die Zahl der Klagen gegen die Versicherer genauer bekannt sei.
Tatsächlich kommt es auf das Kleingedruckte im Vertrag an, ob eine Versicherung einen wegen Corona geschlossenen versicherten Betrieb entschädigt. Im Mai sagte der Chef der Signal Iduna der DHZ (6. Mai 2020) : "Man muss fairerweise sagen:Die Betriebsschließungsversicherung ist nicht für einen Pandemiefall gedacht". Solche Policen seien eher gedacht für Ereignisse wie etwa Salmonellen. Gemeint sind so verstanden also konkrete Einzelfälle, in denen sich einzelne Mitarbeiter mit einer ansteckenden Krankheit infizierten – nicht aber Pandemien.
Beiträge in Höhe von 25 Millionen Euro stehen Schäden in Höhe von 2,5 Milliarden Euro gegenüber
Im Vergleich zu den gezahlten Jahresbeiträgen für die Schließungspolicen für die Betriebe seien die Schäden wegen Corona Hundert Mal so hoch. 25 Millionen Euro Beiträgen der Versicherten stünden 2,5 Milliarden Euro Schäden der Corona-bedingt geschlossenen Betriebe gegenüber. Diese Zahlen aus der Versicherungsbranche meldete unter anderem der Deutschlandfunk im August, der außerdem von enttäuschten Gastronomen berichtet, die sich von ihrer Versicherung ungerecht behandelt fühlen.
Der Sender zitiert Dirk Bechthold, Chef vom Hotel "Schöne Aussicht" im Raum Gießen: "Wenn jetzt die Versicherung natürlich hergeht und sagt, na ja‚ so haben wir das nicht gemeint, ist das schon mehr als befremdlich". Nach den Recherchen des Deutschlandfunks hätten "nur ein paar Hundert" vor allem Gastwirte den Rechtsweg eingeschlagen. Diese Zahl sei noch einmal in den Vergleich mit den laut Dehoga-Verband bis zu 40.000 versicherten Betrieben gestellt.
Neue Versicherungen enthalten meist Pandemieausschluss
Inzwischen bieten viele Versicherungen wieder Policen an, die die Betriebe gegen seuchenbedingte Erkrankungen von Mitarbeitern im Betrieb versichern. Allerdings enthalten die meisten erneuerten Verträge inzwischen einen Pandemieausschluss beziehungsweise leisten diese Versicherungen nicht, wenn die Behörden künftig wie geschehen wieder per Allgemeinverfügung und vorsorglich ganze Branchen schließen sollten.