EU-Kommission EU-Arbeitsprogramm 2023: Viele Grausamkeiten, ­wenig ­Lichtblicke

Mehr Kosten und Bürokratie: Kleine Unternehmen und Handwerk sind enttäuscht vom Arbeitsprogramm der EU-Kommission für 2023. Brüssel handele nicht dem Ernst der Lage angemessen, so ZDH-Generalsekretär Schwannecke. Rufe nach einem Belastungsmoratorium werden schlicht ignoriert.

Das Arbeitsprogramm der EU-Kommission umfasst 43 neue Initiativen und 116 als vorrangig eingestufte Gesetzgebungsverfahren. - © artjazz - stock.adobe.com

Was in diesem Jahr von Brüssel auf das Handwerk zukommt, das dürfte eher das Etikett Grausamkeiten verdienen als unter die Kategorie Lichtblicke oder gar Wohltaten fallen. Darauf lässt jedenfalls das kürzlich unter dem Titel "Eine entschlossene und geeint vorgehende Union" vorgelegte Arbeitsprogramm der EU-Behörde für dieses Jahr schließen. Es umfasst 43 neue Initiativen und 116 als vorrangig eingestufte Gesetzgebungsverfahren.

Viele Initiativen verfolgen das Ziel des sogenannten "Green Deal", also Europa als ersten Kontinent "klimaneutral" zu machen. Die von der Kommission geplanten Initiativen zur Digitalisierung sowie zur Stärkung des digitalen Binnenmarktes und der Arbeitnehmermobilität werden von der deutschen Industrie befürwortet. Doch die Mehrzahl der Brüsseler Vorhaben dürfte eher mit mehr Kosten und Bürokratie verbunden sein, heißt es etwa im Blick auf das geplante EU-Lieferkettengesetz, das zum Beispiel die Sorgfaltspflichten der Betriebe im Rahmen der Lieferkette ausweiten soll.

Mehr Verwaltungslasten für Betriebe

Lang ist die Liste der voraussichtlichen zusätzlichen Belastungen für Unternehmen und Verbraucher. So sollen etwa Betriebe bei Bau und Erweiterung von Anlagen verpflichtet werden, "Bodengesundheitszeugnisse" vorzulegen. Überzogene Forderungen im Rahmen des "Fit-für 55"-Pakets, etwa bei der geplanten EU-Richtlinie für die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, drohen laut ZDH dazu zu führen, dass Sanierungsvorhaben wegen ausufernder Kosten zurückgestellt werden. Bei der anstehenden Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie gelte es – laut ZDH – unverhältnismäßige Haftungsrisiken zu vermeiden.

Statt Vereinfachungen bei der Rechnungsstellung etwa im Blick auf elektronische Rechnungstellung, wie von der Wirtschaft gefordert, dürfte die geplante Revision der Richtlinie gegen den Zahlungsverzug im Wirtschaftsleben eher zu mehr Verwaltungslasten führen. Einen neuen Versuch will die Kommission auch bei der Digitalisierung der Systeme der sozialen Sicherheit unternehmen. So soll etwa ein "ESSPASS" (European Social Security Pass) die Mobilität der Arbeitskräfte stärken.

2023 ist "Europäisches Jahr der Aus- und Weiterbildung"

Die EU-Behörde hat 2023 zum "Europäischen Jahr der Aus- und Weiterbildung" erklärt. Zur Bekämpfung des für Wachstum und Wohlstand in der EU bedrohlichen Fachkräftemangels will die Kommission Vereinfachungen bei der Anerkennung von Qualifikationen von Personen aus Nicht-EU-Ländern vorschlagen. Voraussichtlich mit einem Aktionsprogramm sollen auch Unternehmen gefördert werden, um den Anteil von jungen Menschen zu erhöhen, eine Ausbildung oder ein Praktikum im Ausland zu absolvieren.

Selbst für die Brüsseler Interessensvertreter des deutschen Mittelstands ist kaum überschaubar, was in naher und ferner Zukunft aus Brüssel allein bei den Umweltauflagen auf die Betriebe zukommt. Allen gemeinsam ist, dass sie auf dem ersten Blick sinnvoll erscheinen mögen. Doch in der korrekten Umsetzung in die betriebliche Praxis zeigt sich häufig der berühmte im Detail steckende Teufel. Hinzu kommt, dass deutsche Behörden bei der Umsetzung von EU-Vorschriften noch draufsatteln.

Auf dem Weg zu Schaffung einer Kreislaufwirtschaft will sich die Kommission von den EU-Gesetzgebern einen Freibrief ausstellen lassen, so genannte Ökodesign-Kriterien festzulegen. Und damit Hersteller zu umfassenden Informationen über ihre Produkte zu liefern. Hier kämpft der ZDH dafür, dass handwerklich gefertigte Produkte, also oftmals Einzelanfertigungen, nicht den gleichen Anforderungen unterliegen, wie industrielle Massenprodukte.

Kein Belastungsstopp in Sicht

Mit harten Bandagen muss das Handwerk auch ringen, um in den EU-Gremien vertreten zu sein, die für die Produktgruppen die Ökodesign-Anforderungen erarbeiten. In diesem Zusammenhang soll auch ein "digitaler Produktpass" eingeführt werden. Angenommen werden dürfte in diesem Jahr auch neue Vorschriften zur energetischen Gebäudesanierung. So soll es künftig verpflichtend etwa "Gebäuderenovierungspässe" sowie mehr Kennzahlen für die Energieeffizienz geben.

Die Forderung der deutschen Wirtschaft und von CDU/CSU-Mittelstandpolitikern – auch angesichts der Rezessionsgefahr – nach einem Belastungsmoratorium für die Wirtschaft würden von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) und den ihr unterstellten Kommissaren und Beamten schlicht ignoriert, heißt es. Statt einem Belastungsstopp sei "Business as usual" angesagt.

Das Arbeitsprogramm für das letzte vollständige Jahr ihrer Amtszeit – vor den Europawahlen Mitte 2024 – sei enttäuschend und verkenne den Ernst der aktuellen Lage zahlreicher Betriebe und Unternehmen, sagte Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Diese bräuchten all ihre Kräfte, um die externen Krisenschocks und -folgen zu bewältigen. "In dieser Lage muss alles getan werden, um die Betriebe nicht durch kräftezehrende zusätzliche Belastungen zu schwächen", so ZDH-Generalsekretär Schwannecke.

Kommentar

"Behaupten gegenüber Brüssel"

Hajo Friedrich: Brüssel-Korrespondent - © hajo

Es gehört zur deutschen Staatsräson, EU und Binnenmarkt zu loben und zu verteidigen. Zumal anlässlich eines Jubiläums. Doch die 30 Jahre Binnenmarkt waren für das Handwerk auch mit Mühen und gelegentlich heftigem Ärger verbunden. Die Abwehrkämpfe der deutschen Handwerksorganisation gegen Brüsseler Marktradikalismus und Harmonierungswahn haben dem Ruf der EU-Binnenmarktabteilung nachhaltigen Schaden zugefügt. Hinzu kommt, dass es vielen Betrieben schwer gemacht wird, von den vielbeschworenen Segnungen des Binnenmarkts zu profitieren. Häufig wird ihr ausländischer Marktauftritt durch Regelwerke verleidet, die nur als Schikane wahrgenommen werden konnten.

Ärgerlich ist auch, wie Forderungen aus Wirtschaft und Politik nach einem "Belastungsmoratorium" an der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen (CDU) abprallen. Große Abneigung herrscht in Brüssel traditionell auch gegenüber Forderungen der Wirtschaft, den Mitgliedstaaten mehr Freiräume bei der Umsetzung der Gemeinschaftspolitiken einzuräumen. Ohne Brüsseler Oberaufsicht würden die gemeinsam beschlossenen Gesetze verwässert und dem einzelstaatlichen Gutdünken überlassen, heißt es dann lapidar.

Dennoch. Gut läuft es für das deutsche Handwerk in Brüssel offensichtlich, wenn es aktiv und mit Herzblut seine Mitgestaltungsmöglichkeiten nutzt. So sei es in einer konzertierten Aktion gelungen, das Format für eine einheitliche elektronische Entsendeerklärung zu entwickeln, heißt es im ZDH. Mehr davon, weiter so, nur Mut. Der EU-Maschinenraum besteht auch nur aus Menschen, mit denen man immer reden und auch mal mit guten Argumenten überzeugen kann.