Die Auftragsbücher sind voll, doch viele Arbeiten bleiben liegen. Während das Infektionsgeschehen die Geschäfte im Frühjahr kaum noch belastete, litten die Unternehmen unter einer Versorgungskrise, fehlenden Fachkräften und einem Kostenschock.

Die wirtschaftliche Dynamik des deutschen Handwerks hat im Laufe des 2. Quartals 2022 zugenommen. Dahinter verbergen sich starke, entgegengesetzte Kräfte. Auf der Habenseite steht die robuste Nachfrage. In den vergangenen beiden Jahren haben die Verbraucher auf Konsum verzichtet, der nun nachgeholt werden kann. Auch die Industrie muss verschobene Investitionen dringend umsetzen, Digitalisierung und Elektrifizierung schreiten mit hohem Tempo voran. Und der gewaltige Nachholbedarf im Bereich der öffentlichen Infrastruktur ist hinlänglich bekannt.
Umsätze im Handwerk gestiegen
Gemäß den von der Deutschen Handwerks Zeitung (DHZ) ausgewerteten Umfragen stieg die Kapazitätsauslastung gegenüber dem 1. Quartal um zwei Punkte auf 81 Prozent. Sie blieb damit auch über dem Vorjahreswert von 80 Prozent. An das Vorkrisenniveau von 2019 (83 Prozent) reichte sie nicht heran.
Dass die Aufwärtskräfte im Berichtszeitraum überwogen, zeigen weitere Ergebnisse der Umfragen. Beispielsweise wurde die Entwicklung der Einnahmen vergleichsweise gut bewertet. Der Saldo aus Betrieben mit steigenden und sinkenden Umsätzen (31 zu 17 Prozent) driftete wieder deutlich in den Plusbereich. Im 1. Quartal 2022, für das bereits amtliche Zahlen vorliegen, hatte das Handwerk seine Umsätze nominal um 16 Prozent gegenüber 2021 ausgeweitet.
Die Reichweite der Bestellungen nahm von hohem Niveau aus nur geringfügig auf 2,7 Monate ab. In der langfristigen Betrachtung aller Frühjahrswerte ist der gegenwärtige Auftragsstau unübertroffen. Er spiegelt nicht nur die enorme Nachfrage nach Produkten und Leistungen des deutschen Handwerks wider, sondern auch die Schwierigkeiten, bestehende Aufträge aufgrund der Verknappung von Fachkräften, Rohölprodukten, Stahl oder auch Halbleitern zeitnah abzuarbeiten.
Fachkräftemangel: Branche unter Druck
Stichwort Fachkräftemangel: Im Frühling 2022 schafften es nur elf Prozent der Handwerksfirmen, ihre Belegschaft aufzustocken, während 14 Prozent ein Minus protokollierten.
Das Wachstumspotenzial ist durch die demografische Entwicklung – immer mehr Rentner, immer weniger Menschen im Erwerbsalter, immer mehr Konkurrenz durch Gesundheits- und Pflegeberufe – unter Druck geraten. Im Winter war die Zahl tätiger Personen im zulassungspflichtigen Handwerk um 0,7 Prozent unter das Vorjahresniveau gefallen. Allein für die Gebäudesanierung fehlen hierzulande 190.000 qualifizierte Arbeitskräfte, beklagen die Verbände der betroffenen Handwerke. Probleme haben aber beispielsweise auch Lebensmittelgewerbe. Für das nach Corona wiederauflebende Catering oder den Café-Betrieb fehlt Personal.
Großteil der Betriebe mit Geschäftsverlauf zufrieden
Das Gesamturteil zur aktuellen Lage zeigt: Die Stimmung unter Deutschlands Handwerkern hat sich in den vergangenen Monaten leicht aufgehellt. 87 Prozent aller Betriebe waren Ende Juni mit ihrem Geschäftsverlauf mindestens zufrieden, darunter 48 Prozent, die ihre Lage sogar mit "gut" beurteilten. Vor einem Jahr fiel die Summe der günstigen Bewertungen um zwei Punkte niedriger aus.
Angesichts der massiven Verwerfungen, mit denen das Handwerk seit Beginn des Ukraine-Krieges zurechtkommen muss, war die positive Entwicklung kein Selbstläufer. Verunsicherung, Lieferengpässe und schnell steigende Energiepreise hingen wie Bremsklötze am konjunkturellen Auftrieb. Allerdings konnte das Handwerk bislang den enormen Kostendruck durch die Teuerung im Einkauf zumindest teilweise an die Kunden weiterreichen. Im Frühling 2022 hoben insgesamt 60 Prozent der Umfrageteilnehmer ihre Absatzpreise an. Besonders häufig taten dies Lebensmittelbetriebe (75 Prozent), die im Allgemeinen sehr energieintensiv produzieren.
Tendenzen in den einzelnen Branchen
Im Bauhauptgewerbe fiel die Lageeinschätzung erneut günstig aus. 57 Prozent entschieden sich für den Wert "gut", 34 Prozent für "befriedigend". Auch die Umsätze dürften deutlich gestiegen sein. Aber die Probleme wachsen: Material ist knapp und ebenso wie Energie teuer, auch weil Lieferketten unterbrochen sind. Nun steigen darüber hinaus die Zinsen. Marktbeobachter melden, dass Bauherren vorsichtiger werden. Laut einer ifo-Umfrage vom Juni 2022 waren bereits 11,5 Prozent der Hochbauunternehmen von Stornierungen betroffen.
Autohersteller mussten im bisherigen Jahresverlauf wegen anhaltender Lieferschwierigkeiten die Produktion drosseln. Die dadurch entstandenen Angebotseinschränkungen beherrschen auch das Tagesgeschäft der Kfz-Händler. Vor dem Hintergrund der hohen Nachfrage bleiben die Nachlässe auf den Listenpreis unter dem üblichen Niveau. Außerdem werden Tageszulassungen und Lagerfahrzeuge wegen ihrer raschen Verfügbarkeit zum Teil teurer verkauft als konfigurierbare Neuwagen. Die hohe Inflation schmälert die Kaufkraft der Haushalte. Konsumnahe Handwerke bekamen dies zu spüren. Vergleichsweise viele private Dienstleister (z.B. Friseure, Fotografen, Maßschneider) meldeten sinkende Umsätze (27 Prozent). Von Bäckern und Metzgern war zu hören, dass die Verbraucher etwas weniger und günstiger einkaufen.
Ausblick: Konjunktur auf der Kippe
Das Geschäftsklima hat sich zwischen April und Juni leicht abgekühlt, zumindest legt das die Veränderung des Indikators um minus 2,8 Punkte nahe. Einer besseren aktuellen Lageeinschätzung stand eine spürbar gewachsene Skepsis in den Erwartungen entgegen. Nur acht Prozent der Betriebe gehen von einer Verbesserung ihrer Lage im Sommer aus, jeder Fünfte erwartet eine Abschwächung. Neue Aufträge kommen vergleichsweise schleppend herein. Vor allem das Bauhauptgewerbe sendet Alarmsignale. 31 Prozent der Befragten aus dieser Gruppe rechnen mit weniger Bestellungen im Sommer. Im Gesamthandwerk sind es 21 Prozent. Mit ihrer bröckelnden Zuversicht tragen die Handwerker der Vielzahl kaum kalkulierbarer Risiken Rechnung. Ein Ende des Krieges in der Ukraine ist ebenso wenig in Sicht wie eine rasche Abhilfe gegen die drohende Gasknappheit. Mit der Aufwertung des US-Dollars werden Ölprodukte automatisch teurer für deutsche Importeure. Die Energiepreise dürften unter diesen Umständen weiter steigen. Generell lagen die Erzeugerpreise in Deutschland zuletzt um ein Drittel höher als 2021. Damit ist eine Fortsetzung der kräftigen inflationären Tendenzen bereits angelegt. Es wird immer wahrscheinlicher, dass sich weder die Teuerung noch die Versorgungkrise in diesem Jahr spürbar zurückbilden, zumal ein Ende der Staus in der Containerschifffahrt derzeit nicht in Sicht ist. Unterm Strich nimmt die Gefahr zu, dass Handwerkskunden häufiger Aufträge stornieren.