Gastkommentar Deutschland und die Ampel: Mehr Handwerk wagen

Als Reaktion auf den Koalitionsvertrag bietet der Zentralverband des Deutschen Handwerks den Ampelparteien eine konstruktive Partnerschaft an. Wo das Handwerk Verantwortung übernehmen möchte und was es von der Politik fordert.

Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, versteht den Koalitonsvertrag als Auftrag für das Handwerk, sich an den Erneuerungen zu beteiligen. - © ZDH/Boris Trenkel

Die Ampel hat eine große Stimme aus der Vergangenheit beschworen, um den Weg in die Zukunft zu weisen. In Anlehnung an Willy Brandt soll Deutschland künftig "mehr Fortschritt wagen". Und tatsächlich muss man anerkennen, dass der Koalitionsvertrag eine durchaus ambitionierte Aufbruchsperspektive enthält. Doch auch SPD, Grüne und FDP wissen: Wer sich große Ziele setzt, braucht starke Partner, um sie umzusetzen. Nur so kann aus einem politischen Papier eine neue gesellschaftliche und wirtschaftliche Realität werden.

Das Handwerk will an der Erneuerung mitwirken

Das deutsche Handwerk, als großer Wirtschafts- und Gesellschaftsbereich, versteht den Koalitionsvertrag als Aufruf, sich mit ganzer Kraft an der Erneuerung zu beteiligen. Das tun wir gerne. Wir scheuen den Wandel nicht. Im Gegenteil. Es ist eine zwingende Notwendigkeit, dass wir uns den hochdynamischen Umbrüchen unserer Zeit stellen – und gleichzeitig eine gewaltige wirtschaftliche Chance, die wir nicht vergeben dürfen. Unsere standorttreuen Betriebe mit ihren über 5,6 Millionen Beschäftigten haben ein enormes Interesse daran, dass es Deutschland weiter gut geht. Und zwar in allen Regionen.  Unsere Betriebe und Beschäftigten sind bereit, weiter ihren Teil dafür zu leisten, dass die Transformation gelingt. Egal ob es dabei um Klimaschutz, Energiewende, Nachhaltigkeit, Digitalisierung oder um die Folgen des demografischen Wandels geht. Ladesäulen für Elektrofahrzeuge, Solarpanels auf den Dächern, altersgerechte Bäder – all das kommt nicht von allein. Das geht nur mit dem Handwerk und mit den Menschen, die es ausmachen.

Rahmenbedingungen müssen stimmen

Insofern ist es gut, dass die Ampelparteien in ihrem Vertrag auch ein Angebot für Handwerk und Mittelstand unterbreiten. Bei hehren Absichtserklärungen darf es dabei allerdings nicht bleiben. Unsere Betriebe und Beschäftigten sind mehr denn je auf mittelstandsfreundlichere Rahmenbedingungen und konkrete Verbesserungen und Entlastungen angewiesen, etwa durch schnellere Genehmigungsverfahren und entschlossenen Bürokratieabbau. Die vielen Probleme, die einen Aufbruch in unserem Land behindern, müssen endlich angepackt werden. Übrigens auch diejenigen Punkte, die der Ampel-Koalitionsvertrag ausklammert oder wo er hinter den Erwartungen zurückbleibt. Vor allem die dringend notwendigen Reformen der Sozialsysteme dürfen nicht immer weiter in die Zukunft aufgeschoben werden. Sonst droht die akute Gefahr, dass unsere Betriebe und Beschäftigten die Lasten nicht mehr schultern können. Hier muss die Ampel im Regierungshandeln nachschärfen.

Aufbruch und Fortschritt können wir in unserem Land nur gemeinsam gestalten. Was unsere Betriebe und Beschäftigten dafür mitbringen, sind Expertise, Leistungsbereitschaft, Zukunftsorientierung und Optimismus. Was sie hingegen brauchen, ist die Unterstützung der Politik. Das gilt ganz besonders bei der Fachkräftesicherung. Die Politik sollte sich dabei nicht auf Nebenschauplätzen aufhalten. Denn es fehlt nicht am Ausbildungswillen der Betriebe, die händeringend Nachwuchs suchen, sondern schlichtweg an Bewerbungen. Entscheidend ist es also, dass wir Ausbildungsbetriebe stärken und die Attraktivität für potenzielle Azubis erhöhen. Dazu gehört vor allem eine echte Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung, und zwar gesetzlich festgeschrieben.

Das Handwerk möchte eingebunden werden

Der Koalitionsvertrag gibt einen ersten Einblick, wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen soll. Wohin sie tatsächlich geht, wird sich erst im Regierungsalltag erweisen. Nicht zuletzt, weil wegen der Corona-Pandemie viele Fragezeichen bleiben. Das deutsche Handwerk wird auf diesem Weg nicht nur stiller Beifahrer sein. Sondern auch ein konstruktiver Dialogpartner. Und vor allem: Ein Zukunftsmacher, der Pläne in die Praxis umsetzt. "Mehr Handwerk wagen" – auch diese Stimme sollte die Ampel also für die nächsten Jahren beschwören.