SPD gewinnt mit Scholz Nach der Bundestagswahl: Worauf das Handwerk jetzt hofft

Deutschland hat gewählt. Die Union erlebte bei der Bundestagswahl 2021 ein Debakel, die SPD wurde stärkste Kraft. Auch mehrere Handwerksmeister sitzen im neuen Parlament. Welche Koaltionen jetzt möglich und wahrscheinlich sind – und wie das Handwerk auf die Ergebnisse reagiert.

Nach der Bundestagswahl 2021 steht Deutschland vor einer schwierigen Regierungsbildung. - © Bernd Kröger - stock.adobe.com

Es war der erwartete Wahl-Krimi. Die Union musste herbe Verluste hinnehmen und verlor schließlich gegen die SPD. Die Grünen liegen auf Platz drei. Die Linke hat es nur über drei Direktmandate in den Deutschen Bundestag geschafft.

Das vorläufige Wahlergebnis der Bundestagswahl 2021

(27.September 2021, 7:30 Uhr; Bundeswahlleiter):

  • CDU/CSU: 24,1 Prozent (-8,9)
  • SPD: 25,7 Prozent (+5,2)
  • Grüne: 14,8 Prozent (+5,8)
  • FDP: 11,5 Prozent (+0,7)
  • Linke: 4,9 Prozent (-4,3)
  • AfD: 10,3 Prozent (-2,3)
  • Sonstige: 8,6 Prozent (+3,5)

Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ändern sich damit deutlich.

>>> DHZ-Kommentar zu den Wahlergebnissen: Abrechnung mit der Ära Merkel

Sitzverteilung nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis

  • SPD: 206
  • CDU/CSU: 196
  • Grüne: 118
  • FDP: 92
  • AfD: 83
  • Linke: 39
  • SSW: 1

Welche Koalitionen sind nach der Bundestagswahl möglich und wahrscheinlich?

Damit sind mehrere Koalitionen denkbar. Unwahrscheinlich, aber möglich ist eine abermalige große Koalition zwischen Union und SPD. Voraussichtlich wird eine künftige Regierungskoalition jedoch aus mindestens drei Parteien bestehen. Infrage kommen vor allem eine Ampel- und eine Jamaica-Koalition.

Da die SPD stärkste Partei ist, gilt es als wahrscheinlich, dass Scholz ein Ampel-Bündnis mit Grünen und FDP bilden will, wie es in Rheinland-Pfalz bereits seit 2016 regiert. FDP-Chef Christian Lindner hat aber wiederholt Vorbehalte gegen eine solche Koalition im Bund angemeldet, er zieht klar die Union als Partner vor.

Auch Laschet will versuchen, mit seiner Union eine Regierung mit Grünen und FDP zu bilden. Ein solches Jamaika-Bündnis, wie es in Schleswig-Holstein regiert, war 2017 im Bund an der FDP gescheitert. Diesmal dürften eher die Grünen bremsen. Vor allem in der Finanz- und der Klimapolitik sind die Differenzen zwischen Grünen und FDP groß. Als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen regiert Laschet bereits mit der FDP.

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Zweitplatzierter versucht, die Regierung zu bilden: Willy Brandt wurde 1969 Kanzler einer sozialliberalen Koalition, obwohl die SPD nur auf Platz zwei gelandet war. Genauso war es bei Helmut Schmidt 1976 und 1980. Nachdem die CSU einen solchen Schritt zunächst abgelehnt hatte, warb Parteichef Markus Söder nach der Wahl für ein Bündnis mit Grünen und FDP.

Der von der Union befürchtete Linksrutsch fand indes nicht statt. Eine rot-rot-grüne Koalition hätte keine Mehrheit, zudem scheiterte die Linke an der Fünfprozenthürde und schaffte den Einzug in den Bundestag nur über drei Direktmandate. Damit darf sie laut Grundmandatsklausel entsprechend ihres Zweitstimmenergebnisses ins Parlament einziehen.

Rechnerisch möglich, aber sehr unwahrscheinlich sind ein Bündnis von SPD, Union und FDP, wie es nun in Sachsen-Anhalt unter Führung der CDU regiert (Deutschland-Koalition), oder eine Koalition von SPD, Union und Grünen nach dem Vorbild von Brandenburg (Kenia-Koalition).

Kandidaten mit Handwerksbezug im neuen Bundestag

54 Personen mit Handwerksbezug kandidierten bei der aktuellen Bundestagswahl für ein Mandat. Das geht aus einer umfangreichen DHZ-Analyse hervor. Über ein Direktmandat ziehen - unter anderem - gesichert in den neuen Bundestag ein: Müllermeister Peter Ramsauer (CSU, Wahlkreis Traunstein), Fleischermeister Alois Rainer (CSU, Straubing), Müller Alexander Engelhard (CSU, Neu-Ulm), Kfz-Mechaniker Hannes Walter (SPD, Wahlkreis Elbe-Elster – Oberspreewald-Lausitz II) sowie AfD-Spitzenkandidat und Malermeister Tino Chrupalla in Sachsen (Wahlkreis Görlitz).

Einige Kandidaten haben ihr Mandat aufgrund einer hohen Listenplatzierung ebenfalls sicher. So etwa der Maurer- und Betonbauermeister Hagen Reinhold (FDP, Listenplatz 1 in Mecklenburg-Vorpommern). Auch FDP-Handwerksexperte Manfred Todtenhausen schaffte in Nordrhein-Westfalen den Einzug über die Liste (Listenplatz 19).

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Handwerkspräsident Wollseifer: "Vereinfachen statt verkomplizieren"

In einer ersten Reaktion auf die Ergebnisse der Bundestagswahl erneuerte der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) seine Forderungen an eine künftige Koalition und unterstrich die Bedeutung der kleinen und mittleren Betriebe. Die Verhandelnden sollten im Hinterkopf behalten, "dass es der Mittelstand und seine Betriebe und Beschäftigten sind, die das Geld für Steuern und Sozialabgaben erwirtschaften, das die Politik so gerne verteilt", sagt Präsident Hans Peter Wollseifer. Zukunftsaufgaben wie Klimaschutz, Energie- und Mobilitätswende oder an die Demografie angepasster Wohnungsbau seien nur mithilfe des Handwerks zu lösen.

Alle Parteien einer künftigen Regierung seien aufgefordert, sich auf ein Zukunftsprogramm zu verständigen, das dem Anspruch und der Notwendigkeit einer Zukunfts-Gestaltung auch gerecht wird. Wer wolle, dass das Handwerk mit Tempo an die Arbeit geht, der müsse alles vermeiden, was die Substanz der Betriebe schwächt, sagte Wollseifer. Von einer künftigen Regierung erwartet er deshalb, dass diese vereinfacht statt verkompliziert und bei Steuern und Sozialabgaben entlastet statt belastet. Turbo und Tempo seien gefragt, nicht Limits und Begrenzungen.

Elektroindustrie: "Mehr Vertrauen in die Marktkräfte geben"

Mehr Tempo und Mut fordern auch Wirtschaftsverbände aus der Industrie. "Die Welt um uns herum steht nicht still", sagte Wolfgang Weber, Vorsitzender der Geschäftsführung des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). Deutschland brauche Aufbruchsstimmung –  vor allem bei Klimaschutz und Innovationen durch Elektrifizierung und Digitalisierung. Um diese Herausforderungen meistern zu können, müsse die künftige Regierung mehr Vertrauen in die Marktkräfte geben, die Unternehmen von bürokratischen und finanziellen Belastungen befreien und Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen.

Bäckerverband fordert Bürokratieabbau und vernünftige Wirtschaftspolitik

Die Themen "Bürokratieabbau" und "vernünftige Wirtschaftspolitik", sieht der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks weit oben auf der Agenda. Zum Wohle des Landes müssten die Parteien einen Koalitionsvertrag für den Mittelstand und den Erhalt des Wohlstandes auf den Weg bringen, forderte Hauptgeschäftsführer Daniel Schneider. "Ohne zusätzliche Belastungen für das Handwerk."

Gebäudereiniger: Absage an Rot-Grün-Rotes-Bündnis "eine gute Nachricht"

Als eine erste gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort Deutschland wertet Thomas Dietrich, Bundesinnungsmeister des Gebäudereiniger-Handwerks, die Absage der Wähler an ein Rot-Grün-Rotes-Bündnis. Eine künftige Koalition will er inhaltlich an den Prioritäten seiner Branche messen: "Dazu gehört, die Unternehmen nicht mit neuen Kostenbelastungen zu überziehen, Entbürokratisierung, Digitalisierung und Flexibilisierung in den Fokus zu rücken, die Tarifautonomie zu stärken und den Minijob-Stillstand mit einer seit 2013 starren 450-Euro-Grenze endlich zu beenden."

Handwerk in Baden-Württemberg: "Konzepte sind wichtiger als Köpfe"

Die Parteien dürften sich jetzt nicht in taktischen Spielereien verlieren, mahnt Rainer Reichhold, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstags (BWHT). Für die anstehende Koalitionssuche wünscht er sich, dass es mehr um Inhalte und konkrete Pläne für die Zukunft des Landes geht als um Gewinner und Verlierer. Konzepte seien wichtiger als Köpfe. "Es ist höchste Zeit für mehr Strom aus erneuerbaren Energien, höchste Zeit für mehr digitale Netze, höchste Zeit für mehr Entlastung im Mittelstand", sagte er.

Der Soli gehöre für alle abgeschafft, Bürokratieabbau müsse endlich spürbar werden und die Investitionen im Bildungsbereich müssten massiv ansteigen. "Das alles liegt nicht nur im Interesse des Handwerks, der Wirtschaft, sondern bildet die Basis für eine neue Zukunftszuversicht und gesicherten, sozial gerechten Wohlstand."

Bayerischer Handwerkstag: "Lohnzusatzkosten dauerhaft deckeln"

Pragmatische Lösungen und gezielte Wachstumsimpulse fordert Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Bayerischen Handwerkstags (BHT). Als entscheidenden Punkt für das personalintensive Handwerk sieht er die Lohnzusatzkosten: "Es gilt, die Beiträge zur Sozialversicherung bei unter 40 Prozent zu deckeln – und zwar dauerhaft. Ein drohender Anstieg muss verhindert werden", fordert er.

Das Rentensystem sowie die Kranken- und Pflegeversicherung müssten angesichts einer alternden Gesellschaft zukunftssicher umgebaut werden. Um die Unternehmen finanziell zu entlasten, sollte die steuerliche Belastung auf international konkurrenzfähige 25 Prozent gesenkt werden. Peteranderl: "Zusätzliche Abgaben wie etwa die Vermögenssteuer lehnt das Handwerk ab. Außerdem muss der Solidaritätszuschlag endgültig weg – und zwar für alle."

Handwerk in Ostsachsen erwartet Planungssicherheit bei der Energiewende

"Die Attraktivität des Unternehmertums muss gestärkt werden", sagte Jörg Dittrich, Präsident der Handwerkskammer Dresden. Das ostsächsische Handwerk erwarte zudem Planungssicherheit bei der Energiewende und eine Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland.

Georg Haber, Präsident der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz, wünscht sich einen positiven Entwurf für die Zukunft. "Einen Gestaltungsplan für unser Land, mit dem Ziel, Wohlstand und Beschäftigung langfristig zu sichern. Natürlich auf der Grundlage unserer Sozialen Markwirtschaft."

AG Mittelstand fordert Mittelstandsplan 2025

"Nötig ist ein Mittelstandsplan 2025", so die zehn Verbände der Arbeitsgemeinschaft Mittelstand (AG Mittelstand). Drei Ziele müssten dabei im Zentrum stehen: Selbstständigkeit zu stärken, Gründung zu fördern, Subsidiarität zu leben. Zudem sollte Mittelstandspolitik zukünftig als Querschnittsaufgabe verstanden werden. Hierfür müssten bei der Gesetzgebung die Anliegen des Mittelstands in allen Bundesministerien berücksichtigt werden. "Und mehr noch, zwingend sind die den Mittelstand repräsentierenden Verbände einzubinden, um praxistaugliche Reformen zu identifizieren und die Wachstums- und Stabilisierungspotenziale des Mittelstands ausschöpfen zu können."

Branche mahnt zu zügiger Regierungsbildung: "Hängepartie das Letzte, was Betriebe gebrauchen können"

Einig sind sich Verbände und Organisationen, dass sich lange Koalitionsverhandlungen wie 2017 nicht wiederholen dürfen. "Eine Hängepartie in diesen ungewissen Zeiten ist das Letzte, was unsere Betriebe und Unternehmen gebrauchen können", warnte Handwerkspräsident Wollseifer. Dass die künftige Bundesregierung voraussichtlich erstmals aus drei Parteien bestehen wird, erfordere von den beteiligten Parteien viel Kompromissbereitschaft, sagte Schneider vom Bäckerverband. "Aber auch Kraft und den Willen, die eigenen Überzeugungen nicht vorschnell über Bord zu werfen."

Blitzumfrage: Mittelstand bevorzugt Jamaika-Koalition

In einem Jamaika-Bündnis würden die Unternehmer aus dem Mittelstand ihre Interessen am besten vertreten sehen. In einer nicht repräsentativen Blitzumfrage des Deutschen Mittelstand-Bundes (DMB) kurz nach der Wahl nannten 38 Prozent der 618 Befragten diese Koalition als beste Option. Für eine Deutschlandkoalition stimmten 34 Prozent. Die "Ampel" schnitt mit elf Prozent verhältnismäßig schlecht ab.

Die beiden Volksparteien hätten es nun in der Hand, das Vertrauen kleiner und mittelständischer Unternehmen für sich zurückzugewinnen, sagte Marc Tenbieg, Geschäftsführender Vorstand des DMB. "Im Wahlkampf und insbesondere in den drei TV-Triellen wurde viel zu häufig rückwärtsgewandt argumentiert und viel zu wenig über die Zukunft gestritten", kritisiert er. Der Mittelstand wurde höchstens als Randnotiz behandelt.

Dass die FDP eine zentrale Rolle bei der Regierungsbildung einnehmen könnte, sieht er positiv. "Wenn am Schluss die FDP das Zünglein an der Waage ist, das den Mittelstand im Zentrum eines Regierungsprogramms verankert, wäre das gut für Deutschland." 

Mit Inhalten von dpa