Jedes fünfte Brot landet in Deutschland im Müll. Zu groß ist das Angebot an Backwaren, leere Regale zum Ladenschluss gibt es kaum mehr. Handwerksbäcker stehen angesichts der Konkurrenz von Backshops und Discountern unter Druck. Ernährungswissenschaftler haben alarmierende Zahlen vorgelegt – und zeigen, wie man den Backwaren-Abfall vermeiden kann.
Jana Tashina Wörrle
Kaum ein anderes Lebensmittel gilt so schnell als nicht mehr frisch wie Backwaren. Zwar kann man fast alles an Brot, Brötchen, Kuchen und Gebäck am nächsten Tag noch essen, ohne dass es nicht mehr schmeckt. Dennoch landen Tonnen an Backwaren jeden Tag im Müll. Verbraucher bevorzugen frisch Gebackenes und Bäcker haben sich darauf eingestellt. Das Sortiment ist groß und die Regale immer gut gefüllt – bis zum Ladenschluss.
"Der Druck auf die Handwerksbäcker ist groß und er kommt aus dem Handel", sagt Ernährungswissenschaftler Guido Ritter von der Fachhochschule Münster. Die sogenannten Vorkassenbäcker, die ihre Waren im Eingangsbereich der Supermärkte anbieten, müssen immer volle Regale haben. Das verlangen die Supermarktbetreiber. Genauso wie die immer zahlreicher werdenden Backshops bieten sie ein so breites Sortiment an Backwaren an, bei dem kaum ein Handwerksbäcker mithalten kann. Backmischungen und fertige Teiglinge, die nur noch aufgebacken werden müssen, machen es möglich.
Pseudovielfalt statt Qualität
Guido Ritter nennt dieses Angebot "Pseudovielfalt", da es nichts mit richtigem, handwerklichem Backen zu tun habe. Doch trotzdem steige der Druck auf die Handwerksbäcker, der ein solches Sortiment nur bieten kann, wenn er selbst zu Backmischungen greift oder am Ende des Tages noch eine große Menge an Backwaren übrig hat. Vieles kann er einen Tag später nur noch schlecht verkaufen, da sich die Verbraucher daran gewöhnt haben, immer frische, günstige Backwaren zu kaufen.
Zwischen sieben und 17 Prozent der Brote, Brötchen oder süßen Teilchen werden deshalb jeden Tag zu viel hergestellt. Rund eine Million Tonnen an Backwaren produzieren die deutschen Handwerksbäcker pro Jahr. Jedes fünfte Brot wird im Schnitt weggeworfen. Guido Ritter hat das mit seinen Kollegen ganz genau untersucht. Er ist Forschungsleiter einer Studie, die zeigt, dass die Bäckereien dadurch einen wöchentlichen U msatzverlust von rund 15.700 Euro einkalkulieren müssen.
Doch noch viel größer ist der Verlust an wertvollen Lebensmitteln. So wollen die Forscher aus Münster mit der Untersuchung vor allem die Wertschätzung des Lebensmittels Brot wieder steigern und damit auch das dahinterstehende Bäckerhandwerk. "Als im Jahr 2010 durch den Kinofilm ‚taste the waste‘ die Diskussion um die Lebensmitteverschwendung losging, haben wir eine breitangelegte Studie erstellt, die über viele Branchen ging. Danach wollten wir dem Lebensmittel nochmals genauer widmen, das vermeintlich am schnellsten verdirbt", sagt Ritter. Im Auftrag des Verbraucherschutzministeriums NRW haben sie dann exemplarisch sechs mittelgroße Bäckereien unter die Lupe genommen. Der durchschnittliche Verlust an Brot und Backwaren pro Bäckerei betrug dabei 2,7 Tonnen in einer Woche.
Reste vermeiden
Dabei haben die Forscher aber nicht nur die Mengen an Backwaren ermittelt, die Tag für Tag in Abfalltonnen landen, sondern auch Strategien, die Reste zu vermeiden. Zwar können Backwaren vom Vortag einerseits problemlos auch am nächsten Tag verkauft werden und Ideen wie eine Happy Hour kurz vor Ladenschluss oder Rabatte auf vermeintlich nicht ganz frische Waren können helfen, die Regale zu leeren. Noch besser und für die Bäckereien lukrativer sei es jedoch, so zu wirtschaften, dass keine Reste entstehen.
Erreichen können das die Handwerksbetriebe, indem sie ihr Angebot besser auf die tatsächliche Nachfrage abstimmen und die Prozesse im Betrieb besser kontrollieren. "Bäcker können backen. Im Backprozess selbst gehen kaum Rohstoffe verloren", sagt Ritter. Der Knackpunkt sei die Planung des Angebots – und dabei sollten die Bäcker besser ein kleines Sortiment mit den Spezialitäten anbieten, die viel und gerne gekauft werden statt auf ein breites Angebot mit vielen Ladenhütern.
"Die Backwaren müssen gut sein und sich von denen der Konkurrenten in der Qualität und bei den Sorten unterscheiden", rät auch Bäckereiberater Markus Messemer, damit Kunden auch dann in den Laden kommen, wenn sie nicht davon ausgehen können, ihr Lieblingsbrot zu bekommen. Messemer hilft Bäckereien Prozesse zu optimieren und Kosten einzusparen. In seiner täglichen Praxis erlebt er immer wieder, dass sehr viel Brot und Brötchen unverkauft bleibt, weil das Sortiment falsch geplant wurde.
Seiner Meinung nach sollte eine Bäckerei A-, B- und C-Produkte im Angebot haben. Bei den A-Produkten sollten sie sich sicher sein, dass sie gerne und viel gekauft werden und dementsprechend sollte davon die größte Menge vorhanden sein. B-Produkte können beispielsweise Brötchen sein, die nur ganz frisch schmecken und die nur morgens gekauft werden. Wenn sie ausverkauft sind, können die Kunden immer noch auf die A-Produkte ausweichen. C-Produkte sind die ganz besonderen Backwaren wie besondere Brötchen für Allergiker. Davon darf die Auswahl sehr gering sein. "Kunden, die genau das suchen, kommen morgens, wenn sie wissen, dass sie die Brötchen nur dann bekommen", sagt Messemer.
Alternative zum Lieblingsbrot
Im Vordergrund jeder Strategie muss die Qualität der Backwaren stehen – das überzeugendste Argument für jeden Kunden. So sollten die Bäcker den Unterschied zwischen Bäckereien und Backshops laut der Studie aus Münster unbedingt betonen und darauf hinweisen, dass handwerkliches Backen Zeit braucht und aufwendig ist. "Sie müssen die Rezepturhoheit zurückgewinnen", nennt es Ritter, der schon eine leichte Tendenz bei den Verbrauchern spürt, sich wieder mehr auf die Qualität der Lebensmittel zu besinnen. "Nur der 0815-Bäcker braucht ein breites Sortiment", sagt Markus Messemer.
Den Qualitätsunterschied müssen die Verkäufer- und Verkäuferinnen in den Bäckereien auch den Kunden erklären. Die Kommunikation ist laut der Studie eine Schlüsselstelle, um dem Kunden zu vermitteln, dass volle Regale bis zum Ladenschluss Folgen haben. Zudem sollten Verkäufer den Kunden Alternativen empfehlen, wenn das Lieblingsbrot gerade ausverkauft ist und erklären können, welche Brotsorten besonders lange frisch halten. Auch Tipps zur Lagerung oder der Hinweis darauf, dass man bestimmte Produkte vorbestellen kann, sind hilfreich.
Es sei auch ein Irrtum, dass Kunden unbedingt erwarten, dass immer alles verfügbar ist. "Das hat sich verselbstständigt", sagt Ritter. Das zeigte auch eine Befragung von Bäckereikunden im Rahmen der Untersuchung. Mehr als 90 Prozent würden auch ein alternatives Brot nehmen, wenn das Wunschgebäck gerade aus ist.
Genau deshalb ist Markus Messemer auch der Ansicht, dass Handwerksbäcker bei der Planung mutiger sein sollten. Sie sind schließlich die Fachleute in Sachen Backen. "Die Planung geht vom Bäcker aus und nicht vom Kunden allein", sagt der Berater. So könnte ein Bäcker auch gezielt steuern, was er im Sortiment hat und wie viel davon übrig bleibt. Wenn die Qualität stimmt, würden die Kunden gerne kaufen und auch auf eine Empfehlung ausweichen.
Für die genaue Planung im Betrieb ist nach Ansicht von Guido Ritter aber auch eine tagesaktuelle Abstimmung mit dem lokalen Wetterbericht, der Jahreszeit und eventuellen Veranstaltungen im Ort nötig. "Wenn Sonnenschein angekündigt ist, kommen sicher mehr Kunden und es lohnt sich einen Kuchen extra zu backen und wenn die Picknick-Saison beginnt, sollte man mehr Baguettes backen als im Winter", nennt Ritter als Beispiel.
Jeden Tag neu planen
Um Umsatzverluste zu vermeiden, reicht der Blick auf den Wetterbericht allerdings nicht aus. Dazu braucht man erst einmal eine genaue Analyse der eigenen Betriebsabläufe. Markus Messemer rät den Verkauf auch über den Tag und die Woche hinweg zu steuern.
Das Sortiment kann einerseits am Wochenende anders aussehen als in der Woche – vor allem bei den Brötchen. Gleichzeitig muss man über den Tag hinweg planen. "Am Nachmittag muss ich keine Mohnbrötchen mehr vom Morgen im Angebot haben, wenn die dann sowieso trocken sind", sagt Messemer. Mit Saatkernbrötchen, die lange frisch bleiben, könne man dagegen auch am Abend überzeugen.