TV-Kritik: Hessischer Rundfunk - Reportage über innovative Metzgerin Wursthimmel statt New York: Über eine, die ihr Handwerk retten möchte

Metzgereien-Sterben? Gibt es, auf jeden Fall. Aber es gibt auch Metzger, die in diesen Zeiten mit neuen Ideen durchstarten. Weil der Lebenslauf von Katharina Koch daneben hochinteressant ist, hat sich der Hessische Rundfunk ihrer angenommen. Und eine Reportage produziert, die auch in schweren Zeiten für die Branche Hoffnung macht.

Szene aus HR-Reportage: Katharina und ihr Wursthimmel.
Katharina Koch steht inmitten von Würsten im Lager ihrer Metzgerei. Der Hessische Rundfunk hat eine Reportage über die innovative junge Metzgerin gedreht. - © Screenshot/Hessischer Rundfunk/Katharina und ihr Wursthimmel

Hinter Katharina Koch hängen Tausende Würste. Genauer: Ahle Würste, eine hessische Spezialität. Die Interviewszenen mit der Metzgerin aus dem nordhessischen Calden in der Reportage "Katharina und ihr Wursthimmel" sind inmitten der Lagerräume der Metzgerei aufgenommen. Wenn sie über ihre Passion redet, die Fleischerei, entspricht die 35-Jährige keinem gängigen Klischee über Metzger.

Selbstbewusst: "Ich bin Fleischer, und was machst du so?"

Gleich zu Beginn der Reportage des Hessischen Rundfunks gibt Katharina Koch ihr Motto zum Besten. "Das Handwerk muss einfach wieder cool werden, irgendwie erstrebenswert, dass die Leute damit wieder angeben können und sagen können: Hey, ich bin Fleischer, und was machst du so?", sagt sie in die Kamera mit einem herausfordernden Grinsen auf den Lippen. Und es stimmt durchaus, dass Fleischer nicht gerade der Beruf ist, mit dem junge Leute als Lebensziel hausieren gehen. Das liegt einerseits am Zeitgeist, der romantisierten Sicht auf Tierhaltung und sich ändernden Ernährungsgewohnheiten. Aber auch am Ruf des Metzger-Handwerks generell. Und genau diesem Ruf entspricht Koch nicht.

Nach dem Abitur studierte sie Politikwissenschaften und arbeitete bei den Vereinten Nationen. Ihr Vater, der im Nachhinein sehr erleichtert über Katharinas Entscheidung ist, rief sie in New York an. Er fragte sinngemäß, "ob sie denn auch wieder mal nach Hause kommen will." In aller Kürze: sie kam nach Hause und leitet seit 2018 den Metzgerei-Betrieb.

Kundenorientiert: "Metzgerei meines Vertrauens"

Neben dem Online-Vertrieb ihrer Waren schlachtet Koch auch für regionale Bauern aus den umliegenden Orten. Die Fleischindustrie stehe in Sachen Nachhaltigkeit teils zurecht in der Kritik, sagt sie. "Wir wollen im Handwerk zeigen, dass es eben auch noch einen anderen Weg gibt, dass man eben auch auf nachhaltige Art und Weise Fleisch produzieren kann." Eine Kundin goutiert das direkt beim Kauf an der Auslage. "Es schmeckt auch ganz anders", sagt sie. "Metzgerei meines Vertrauens."

Mit den Bauern aus der Region steht Koch in engem Kontakt. Sie fährt schon mal vor Ort vorbei, um sich die Schweineställe anzusehen. Sie sagt zum Thema Bio gegen Konventionell: "Mir ist es viel wichtiger, dass ich den Bauern kenne und weiß, wie die Schweine gehalten werden, als dass die da irgendein Siegel draufhaben." Ein wahrer Satz, der zeigt, dass die Kenntnis regionaler Erzeugerstrukturen wichtiger ist als das Schielen auf Bio-Siegel im Supermarkt.

Die Reportage zeichnet das Bild einer fleißigen, kreativen Frau, die für ihr Gewerk brennt. "Ich find‘ es schade, wenn ich Menschen höre, die immer nur auf den Feierabend oder auf die Rente warten", sagt Koch. "Ich freue mich jeden Tag, hierher zu fahren und hier zu arbeiten." Und man nimmt ihr dieses Engagement für ihren Beruf absolut ab. Der Hessische Rundfunk hat die Dokumentation mit moderner, aber nicht aufdringlicher Musik garniert, die genau den Stil unterstreicht, den Koch selbst in den verschiedenen Szenen pflegt. Menschlich nahbar und locker, aber mit Ernst bei der Sache. Es passt alles stimmig zusammen. Und nicht zuletzt erscheint auch das Handwerk dadurch in einem positiven Licht.

Akademisierung: "Keiner will mehr ins Handwerk" 

Dennoch ist nicht alles Gold, was glänzt. Die Reportage behandelt auch das Nachwuchsproblem. Als in einer Szene ein Maler in Kochs Betrieb die Wände streicht, unterhalten sich beide über die Azubi-Situation. "Keiner will mehr ins Handwerk", sagt der Maler. "Dabei sind wir die Spitze der Wirtschaft." Koch bestätigt das. "Vielen wird zu einem Studium geraten, die meisten denken, dass sie damit einen besseren Job finden und mehr verdienen. Was nicht zwangsläufig so ist, aber das ist das Vorurteil." Viele junge Leute würden die Berufe im Handwerk nicht mehr kennen, weshalb sie auch in die Schulen vor Ort und zu Berufsinformationstagen gehe, sagt Koch.

Auch das ist eine fortschrittliche Denkweise, die noch nicht überall angekommen zu sein scheint. Für Azubis bietet Koch ein E-Mobil an, mit dem sie zur Schule fahren können. Flexible Arbeitszeiten, ein Zuschuss zum Führerschein und andere Benefits gibt es obendrauf. Es gehe dabei um ein "entspanntes Arbeitsklima, die strenge Unterscheidung zwischen Arbeit und privat gibt es vielleicht gar nicht mehr." Zwei Schülerpraktikanten, die gerade aushelfen, kommen vielleicht als Azubis wieder zurück. Koch bekämpft auf diese Art das "Imageproblem", das sie dem Handwerk attestiert. "Früher hat man die Azubis vielleicht auch nicht so gut behandelt, heute muss man zeigen, dass das moderne Berufe sind, die sich weiterentwickelt haben."

Blick nach vorne: "Auf diesem Weg hat Handwerk Zukunft" 

Bei ihren Produkten bemüht sich die Metzgerin ebenfalls um Innovation und Marketing. So macht sie auch vegane Produkte, etwa für die Kunstausstellung Documenta in Kassel, die auch ihr Logo auf Geschirrtücher druckt. Ein großer Erfolg für das kleine Unternehmen. "Ich denke, auf diesem Weg hat Handwerk Zukunft, dass man etwas Besonderes herstellt, das man nirgendwo anders bekommen kann", sagt Koch. Und betont im klassischen Marketing-Sprech, man müsse sich dafür "spitz positionieren". Also sagen, "wir machen hier etwas mit viel Leidenschaft und Fachwissen". Dann könne man auch als Handwerksbetrieb sehr gut bestehen.

Man kann zu dieser Herangehensweise stehen, wie man will. Ob vegane Wurst in eine Metzgerei-Auslage gehört, auch darüber lässt sich streiten. Zudem haben viele junge Azubis Marotten, denen man nicht nur auf die Art, wie sie Koch praktiziert, begegnen kann. Und es ist alles am Ende eine Frage des Preises. Doch die Metzgermeisterin hat mit ihrem Weg Erfolg. Und auch die Gespräche mit ihren zufriedenen Mitarbeitern wirkten in der Sendung nicht so, als ob da jemand vor der Kamera erzählt, was die Chefin hören möchte. Den Kunden scheint es zudem zu schmecken. Und wie der Betrieb von Katharina Koch in der gelungenen Reportage gezeigt wurde – ohne viele einordnende Worte, sondern schlicht dokumentierend –, das gehörte zu den deutlich besseren Momenten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Gerade wenn es um das Handwerk geht.