Die Ampel-Regierung möchte die Position von kleinen und mittleren Betrieben bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen stärken. Doch bisher ist nicht viel passiert. Handwerker und Handwerksvertreter fordern schon lange Verbesserungen. Von unnötiger Bürokratie bis zu komplexen Regelungen: Es gibt nicht wenig Kritikpunkte.

Malermeister Jochen Renfordt aus Iserlohn hat sich in der Vergangenheit schon oft über die bürokratischen Hürden bei der Vergabe öffentlicher Aufträge geärgert. Erst im letzten Jahr gab es erneut Anlass zur Aufregung. Eine Kommune hatte Malerarbeiten an einer Musikschule ausgeschrieben und forderte in einem nachträglichen Schreiben allerhand Unterlagen vom Unternehmer. Darunter Nachweise der beruflichen Qualifikation und mehrere Referenzen über vergleichbare Arbeiten aus den letzten fünf Jahren. "In dem Auftrag ging es um das Kleben von Raufasertapete und einen weißen Anstrich. Das sind einfachste Malerarbeiten. Trotzdem werden Nachweise und Referenzen verlangt von einem Meisterbetrieb, der drei Malermeister beschäftigt und über 20 Facharbeiterinnen und Facharbeiter. Was soll denn so ein Quatsch?", ärgert sich der Präsident der Handwerkskammer (HWK) Südwestfalen.
Bundesregierung will Vergaberecht vereinfachen
Renfordt steht mit seinem Unmut nicht allein da. Schon lange fordern Handwerker und Handwerksvertreter Vereinfachungen bei öffentlichen Ausschreibungen. Die Bürokratie ist nur einer der vielen Punkte, die es für kleine und mittlere Handwerksbetriebe unattraktiv macht, an Vergabeverfahren teilzunehmen. Nun hat die neue Bundesregierung sich vorgenommen, ihre Beteiligungsmöglichkeiten bei den Vergabeverfahren zu stärken. Festgehalten haben das SPD, Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag. Darin kündigen sie auch an, "die öffentliche Beschaffung und Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ" auszurichten.
Gibt es damit Hoffnung auf baldige Verbesserungen? Knapp ein halbes Jahr Regierungszeit ist mittlerweile vorbei. Stefan Zirngibl glaubt, dass sich auch künftig nicht viel ändern wird. Der Schlossermeister, der gemeinsam mit seiner Tochter einen Fünf-Mann-Betrieb führt, ist auch Stadtrat in Weilheim in Oberbayern. Er setze sich schon seit vielen Jahren dafür ein, dass die Vergabeverfahren für Handwerker vereinfacht werden, sagt er. In erster Linie stört auch ihn die überbordende Bürokratie.
Er führt dafür ein Beispiel an: Die öffentliche Hand schreibt einen Auftrag aus, bei dem 20 Meter Brüstungsgeländer und ein paar Handläufe installiert werden sollen. Dafür bekommt ein Handwerksmeister ein umfangreiches Leistungsverzeichnis zugeschickt, das zuvor ein Architekt angefertigt hat. Von 40 Seiten beziehen sich drei Seiten auf die eigentliche Leistung, die restlichen 37 Seiten sind Vorbemerkungen, mit allerlei Vorgaben, an die sich der Handwerker zu halten hat. "Der Handwerker muss also nicht nur seitenlange Vorbemerkungen lesen, sondern sich auch an alle Vorgaben halten. Denn wenn er das nicht tut, kann er später in Schwierigkeiten kommen. Für einen überschaubaren Auftrag wie diesen sind die Risiken und der zeitliche Aufwand viel zu groß", kritisiert Zirngibl.
Handwerker müssen immer mehr Nachweise vorlegen
Auch René Rimpler, Referatsleiter Öffentliches Auftragswesen beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), kritisiert den unnötig hohen administrativen Aufwand bei öffentlichen Ausschreibungen. Mittelständler müssten seit einigen Jahren deutlich mehr Nachweise führen, die sie teils sogar davon abhalten würden, an Bieterverfahren teilzunehmen. Dazu gehörten Nachweise darüber, ob bestimmte Sozial- oder Umweltstandards eingehalten werden. Etwa, ob der Vergabemindestlohn gezahlt wird, der in vielen Bundesländern existiert. "Diese Nachweise haben in der Regel nicht viel mit dem Auftrag zu tun und sagen nur wenig darüber aus, ob das Unternehmen gut dafür geeignet ist, diesen auszuführen", so Rimpler. Kleine und mittlere Handwerksbetriebe seien hier überproportional belastet, da sie im Gegensatz zu größeren Unternehmen keine spezialisierten Abteilungen haben, die sich darum kümmern, diese Nachweise zu erbringen und an Ausschreibungen teilzunehmen. Der ZDH fordert, diese sogenannten “vergabefremden Aspekte” bei öffentlichen Ausschreibungen deutlich zu reduzieren.
HWK-Präsident Jochen Renfordt hat eine zusätzliche Idee, wie der bürokratische Aufwand für Handwerksbetriebe verringert werden könnte. Auftraggeber sollten die zu erbringenden Nachweise zunächst öffentlich bekanntgeben. Potenzielle Bewerber können dann einschätzen, ob sie die Vorgaben erfüllen, und entscheiden, ob sie ein Angebot im Bieterverfahren abgeben möchten. Nur der Betrieb, der vom Auftraggeber favorisiert wird, muss schlussendlich die gesamten Unterlagen einreichen. "Das würde den anderen Handwerksbetrieben 90 Prozent der Zeit ersparen", so der Unternehmer.
Bessere Teilnahmechancen für Handwerkerinnen und Handwerker
Ein weiterer Kritikpunkt des ZDH an den Vergabeverfahren betrifft die Teilnahmechancen von kleinen und mittleren Handwerksbetrieben. "Die Losgrößen bei Vergabeverfahren müssen mittelstandsgerecht ausgestaltet werden", fordert Rimpler. Wenn große Projekte wie zum Beispiel der Bau ganzer Autobahnstrecken an Generalunternehmer oder in Form Öffentlich-Privater-Partnerschaften (ÖPP) ausgeschrieben werden, scheiden die meisten Mittelständler beinahe automatisch als Bieter aus. "In der Regel kommen dort die immer gleichen Baukonzerne zum Zug, der Mittelstand höchstens als Subunternehmer". Große Aufträge müssten daher in möglichst kleinen und mittelstandsfreundlichen Paketen ausgeschrieben werden, sodass auch der regionale Mittelstand die Möglichkeit hat, daran zu partizipieren. "Wenn der Auftrag direkt gewonnen wird, sind damit in der Regel auch attraktivere Margen verbunden, als wenn ein Handwerksbetrieb nur als Subunternehmer tätig ist", sagt Rimpler.
>>> Der ZDH hat ein Positionspapier veröffentlicht, in dem der Verband neun Forderungen an die Politik stellt, wie das Vergaberecht verbessert werden sollte: "Positionspapier Mittelstandsgerechter Rahmen für die Öffentliche Auftragsvergabe".
Vergaberecht braucht klare Regeln
Als Stadtrat kennt Stefan Zirngibl nicht nur die Seite des Handwerkers, sondern auch die der Auftraggeber. Ein großes Problem ist seiner Ansicht nach, dass sich die Kommunen häufig für den billigsten Anbieter entscheiden würden. "Der billigste Anbieter ist aber nicht unbedingt der wirtschaftlich günstigste Anbieter", erklärt Zirngibl. Denn das wirtschaftlich günstigste Angebot könnte zum Beispiel auch der Handwerker vor Ort abgegeben haben, der für Nacharbeiten wie die Wartung oder Reparatur keine weiten Strecken fahren und damit hohe Anfahrtskosten berechnen muss. Zirngibl fordert deshalb von der Regierung, klar im Vergaberecht zu definieren, was unter günstigstes Angebot gemeint ist.
Insgesamt, so fordert der ZDH, sollten die Vergaberegeln auf Ebene der Bundesländer stärker angeglichen werden. Das sieht auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) so. "Viele Bundesländer bzw. Landesregierungen haben für Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte Sonderregeln gerade gegenüber den Kommunen verlassen. Diese bieten den Kommunen im positiven Sinne zum Teil ein Mehr an Gestaltung", sagt Bernd Düsterdiek, Beigeordneter beim DStGB. Gleichzeitig werde aber für bewerbenden Unternehmen ein wahrer "Vergabedschungel" erzeugt. "Dieser Föderalismus mit mindestens 17 unterschiedlichen Vergaberegeln (Bund und Bundesländer) ist für die sich bewerbenden Unternehmen und für einen breiten Wettbewerb kontraproduktiv", so Düsterdiek.
Zentrale Vergabeplattform soll Prozesse vereinfachen
Im Koalitionsvertrag hat die Ampel-Regierung indes versprochen, die Länder und Kommunen bei der Vereinfachung der Vergabeverfahren zu unterstützen, "ohne dabei die Rechtssicherheit von Vergabeentscheidungen zu gefährden oder die Zugangshürden für den
Mittelstand zu erhöhen". Dafür will sie auch auf die Digitalisierung setzen. Ein Ansatz, den bereits die vorherige Bundesregierung verfolgt hat. Seit Oktober 2018 ist die E-Vergabe (elektronische Vergabe) bei EU-Ausschreibungen Pflicht, im Unterschwellenbereich ist sie es seit 2020 auch bei nationalen Ausschreibungen. Doch die Vorteile der Digitalisierung würden nicht gut genug genutzt, sagt Rimpler.
So seien die Unternehmen oft gezwungen, je nach Bundesland unterschiedliche Vergabeplattformen zu nutzen. "Besser wäre eine zentrale Plattform, an die alle anderen Vergabeplattformen angeschlossen sind. Sozusagen ein Bundesportal", sagt Rimpler. In diesem sollten Handwerksbetriebe nicht nur alle wichtigen Informationen einsehen können, sondern auch automatisch informiert werden, wenn es neue Ausschreibungen gibt, die auf ihr Profil passen.
Und tatsächlich beschreibt die Bundesregierung im Koalitionsvertrag eine "anwenderfreundliche zentrale Plattform […], über die alle öffentlichen Vergaben zugänglich sind und die eine Präqualifizierung der Unternehmen ermöglicht." Ob und wann diese umgesetzt wird, ist jedoch noch unklar.
Vergabe: Öffentliche Aufträge als Sicherheit
Malermeister Jochen Renfordt hat mittlerweile eine Entscheidung getroffen. Er ist die Bürokratie leid und nimmt deshalb nur noch an beschränkten Ausschreibungen teil. Also solchen, bei denen der Auftraggeber einen Bewerberkreis dazu auffordert, ein Angebot abzugeben. Ganz auf öffentliche Aufträge verzichten will der Handwerker aber nicht – und dass, obwohl er mehr als genügend private Auftraggeber hat. "Ich mache das in der Vorausschau auf konjunkturell schlechte Zeiten. Wenn die Preise für Wohnen, Energie und Lebensmittel weiter steigen, dann wird die ein oder andere private Renovierung vielleicht verschoben. Als Handwerksbetrieb ist man da froh, wenn man den Kontakt zur Stadt nicht abgebrochen hat."
Vereinfachung der Vergabeverfahren: Kommt bald Bewegung in die Sache?
Um ein vollständiges Bild über die Struktur und Vielfalt von öffentlichen Ausschreibungen zu erhalten, hat das Bundesministerium für Energie und Wirtschaft (BMWi) am 1. Oktober 2020 eine bundesweite Vergabestatistik gestartet, die vom Statistischen Bundesamt (Destatis) durchgeführt wird.
Auf Anfrage der Deutschen Handwerks Zeitung teilte Destatis mit, dass die Daten aktuell vorbereitet werden und erstmals in diesem Sommer veröffentlicht werden sollen. Die Politik könnte daraus Erkenntnisse für Verbesserungen bei den Vergabeverfahren gewinnen. "Wir werden wertvolle Informationen darüber erhalten, wie sich die Aufträge und Konzessionen der öffentlichen Hand über Bund, Länder und Kommunen verteilen, in welchen Bereichen Nachhaltigkeitskriterien bei den Vergabeverfahren eine Rolle spielen oder in welchem Umfang öffentliche Aufträge an kleine und mittlere Unternehmen erteilt werden", sagte der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier damals zum Start der Vergabestatistik.
In der Vergabestatistik werden Einzeldaten über die in Deutschland durchgeführten öffentlichen Vergabeverfahren, unter anderem differenziert nach Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsaufträgen und Konzessionen, erfasst, so Destatis. Alle Auftraggeber, die im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen definiert sind, seien aufgrund der Vergabestatistikverordnung verpflichtet, Daten zu Beschaffungsvorgängen mit Auftragswerten oberhalb der EU-Schwellenwerte an das Statistische Bundesamt zu übermitteln. Bei Auftragswerten unterhalb der EU-Schwellenwerte bestehe die Pflicht zur Datenmeldung ebenfalls ab einem Auftragswert von mehr als 25.000 Euro, allerdings in eingeschränktem Umfang.
Die Ergebnisse sollen über die GENESIS-Online-Datenbank zur Verfügung gestellt werden. Das BMWi plane darüber hinaus statistische Halbjahresberichte zu den Kernergebnissen aus der Vergabestatistik. ew