Auch der Tag eines Handwerkschefs hat nur 24 Stunden. Wie gelingt es im stressigen Betriebsalltag, Zeit für sich und die wirklich wichtigen Aufgaben zu finden? Zwei Expertinnen erklären die Grundlagen eines guten Zeitmanagements.
Die Arbeiten auf der Baustelle erledigen, parallel einen Kundenanruf beantworten, nebenbei Absprachen mit den Mitarbeitern treffen: Multitasking gehört für viele Handwerksunternehmer zum Betriebsalltag. Es ist aber auch eines der größten Zeitfresser, wie eine Studie des Berliner Thinktanks New Work Innovation aus diesem Jahr zeigt. Hier heißt es, dass beim Multitasking nicht nur der Fokus verloren geht, sodass in Summe mehr Zeit benötigt wird, um die Aufgaben fertigzustellen. Auch die Fehlerquote erhöht sich aufgrund des ständigen Aufgabenwechsels auf bis zu 18 Prozent. "Multitasking führt zu Dauerstress, auf den unser Körper nicht ausgelegt ist", sagt Lena Pilz. Sie ist Dozentin und leitet unter anderem Workshops für Handwerker zum Thema Zeitmanagement.
Was liegt auf dem Tisch?
Wer seine Zeit gut einteilt, sorgt dafür, dass Dauerstress erst gar nicht auftritt, versprechen Ratgeber und Experten. Doch wo setzt man hier an? "Natürlich sind Struktur und Ordnung im Handwerksbetrieb wichtig. Dabei können Hilfsmittel wie ein ausgeklügeltes Ordnersystem oder eine CRM-Software unterstützen", erläutert Pilz. Ein gutes Zeitmanagement beginne aber wesentlich früher: "Es geht nicht darum, dass der Handwerksunternehmer wahllos Aufgaben abarbeitet", erklärt die Trainerin, "sondern darum, dass er sich einen Überblick über seine wichtigsten Themen macht. 'Nach einem Arbeitstag, an dem ich richtig zufrieden war, was habe ich getan und welche Aufgaben habe ich gelassen?' Diese Frage sollten sich Handwerksunternehmer selbst beantworten."
Genau das empfiehlt auch Julia Berger, Fachberaterin Personal im Team der Betriebswirtschaftsberater der Handwerkskammer Chemnitz. Sie berät Handwerkerinnen und Handwerker, ihre Zeit effektiver zu nutzen. "Nur, wenn ich mir als Handwerksunternehmer immer wieder klar mache, was ich mit meinem Unternehmen erreichen möchte, kann ich auch zielführend arbeiten", erklärt sie. Berger spricht in diesem Kontext von konkreten Zielen, die jeder Unternehmer für sich festlegen sollte. "Diese Ziele teile ich in viele kleine Aufgaben ein, die ich Woche für Woche abarbeite. Dafür plane ich feste Zeitfenster und Fristen in meinem Kalender ein."
Ihr Tipp an Handwerkschefs, um das Thema anzupacken: Einen Monat lang die eigenen Aufgaben sammeln und die dafür benötigte Zeit notieren. "Im Anschluss sollte sich der Unternehmer folgende Fragen stellen: Was ist wirklich wichtig für mein Fortkommen? Was nicht? Welche Aufgaben haben für die Erreichung meiner gesteckten Unternehmensziele Priorität? Und was kann ich an meine Mitarbeiter oder Externe delegieren?"
Fokuszeiten einplanen
Hat der Handwerksunternehmer diese Fragen beantwortet, kann er sich bei seiner individuellen Zeitplanung an eine bekannte Faustregel halten: die 60/40-Regel. "Auch wenn der Handwerkeralltag stark vom Tagesgeschäft geprägt ist, empfehle ich, ungefähr 60 Prozent der Tageszeit fest zu verplanen. 40 Prozent der Zeit sollte als Puffer für Unvorhergesehenes dienen", so die Beraterin.
Lena Pilz macht es ähnlich. Ihr Rat: statt wahlloser To-do-Listen sollten sich Handwerksunternehmer in ihrem eigenen Kalender feste Termine einplanen – sogenannte Fokuszeiten mit festem Start- und Endpunkt. Das können zum Beispiel drei Mal wöchentlich zwei Stunden fürs Rechnungen schreiben sein. "Es geht nicht darum, die gesamte Woche fest zu verplanen, sondern sich jeden Tag zwei bis drei Zeitfenster einzutragen, in denen fokussiert an einer Aufgabe gearbeitet wird. In dieser Zeit sollte das Handy ausgeschaltet sein und auch keine E-Mails beantwortet oder zwischendurch Kaffee geholt werden", so Pilz.
Unterbrechungen sind die größten Zeitfresser
Denn auch Unterbrechungen gehören zu den größten Zeitfressern. Die Berliner Studie hat ergeben, dass Beschäftigte durchschnittlich alle vier Minuten in ihrer Arbeitstätigkeit durch E-Mails, das Smartphone oder Anfragen von Arbeitskollegen gestört werden. Die Zeit, die es braucht, sich wieder auf die Aufgabe zurückzubesinnen, kostet viele kostbare Minuten. Eine Stunde unterbrechungsfreie Zeit wiederum, so heißt es in der Studie, lasse sich abends an einem niedrigeren Cortisolspiegel ablesen. Das bedeutet, dass sich das Stresserleben über den gesamten Tag messbar reduziert.
Julia Berger weist darauf hin, dass Chefs ihre Fokuszeiten unbedingt an ihre Mitarbeiter kommunizieren sollten. "Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, den Arbeitstag mit einer unliebsamen Aufgabe zu beginnen", sagt sie. Diese Methode nennt sich "Eat the frog first". Sogenannte Froschaufgaben – Aufgaben, die wichtig sind, aber gerne geschoben werden und so zu Stress führen – sollten zum Beginn des Arbeitstages erledigt werden. "Denn wenn man die einmal überwunden hat, gibt das ein positives Gefühl für den Rest des Tages", so Berger. Auch sei die Konzentration höher als nach einem mehrstündigen Arbeitstag.
58 Milliarden Euro jährlich kostet deutsche Unternehmen die Re-Fokussierungszeit in etwa. Das ist die Zeit, die das Gehirn nach jeder Unterbrechung braucht, bis es wieder auf die Aufgabe fokussiert ist. Die zugrundeliegende Studie des Berliner Thinktanks New Work Innovation basiert auf der Befragung von Wissens- und Sacharbeitern und deren Gehaltsdaten.
Ohne Pausen geht's nicht
Ein wichtiger Faktor im Arbeitsalltag sind Pausen. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Pausen nicht nur gut für die Gesundheit sind, sondern auch die Produktivität steigern. Pilz bestätigt: "Das Ziel eines guten Zeitmanagements ist es, immer wieder von der Anspannung in die Entspannung zu wechseln. Die Pausen sollten so gestaltet sein, dass nebenbei keine Nachrichten auf dem Handy oder E-Mails gelesen werden." Ganz klassisch empfiehlt Lena Pilz, sich voll und ganz auf ein Mittagessen zu konzentrieren, einen kleinen Spaziergang zu machen oder im Firmenwagen Musik zu hören, bevor es zum nächsten Kunden geht. Auch zwischendurch lohne es sich, innezuhalten, um Kraft zu tanken: "Sich vielleicht zehn Minuten nehmen, wo man einfach nichts tut. Oder ein paar Mal am Tag kurz die Augen schließen und fünf ruhige Atemzüge machen. Das hilft dabei, in die Entspannung zu kommen", so Pilz.
Rituale helfen beim Abschalten
Feste Rituale sind wiederum nützlich, um motiviert in den Arbeitstag zu starten oder nach der Arbeit abzuschalten. Denn auch das ist die bittere Wahrheit: Viele Handwerksunternehmer machen Überstunden. Das führt dazu, dass das Privatleben zu kurz kommt. "Ich empfehle, sich jeweils vor Arbeitsbeginn und vor Feierabend fünf bis zehn Minuten zu nehmen, um zu reflektieren: Was habe ich alles erledigt? Was habe ich nicht geschafft und muss ich am nächsten Tag einplanen? Alles, was wir aufschreiben, hilft dabei, den Kopf freizumachen", sagt Pilz.
Auch andere Rituale zu Arbeitsbeginn- und -ende können sinnvoll sein: "Diese Rituale können ganz individuell gestaltet werden: Das kann eine Tasse Tee sein, die man morgens trinkt, ein Spaziergang am Abend oder die Tochter, die zur Tür hineinschaut und sagt: 'Papa, jetzt ist Feierabend!'. Das Ziel ist es, den Körper darauf zu konditionieren, dass der Arbeitstag jetzt startet beziehungsweise nun Feierabend ist und damit Zeit, abzuschalten."
Delegieren ist ein Muss
Doch die beste Zeit- und Pausenplanung hilft nach Meinung der Expertinnen nichts, wenn der Handwerksunternehmer Aufgaben nicht an Mitarbeiter delegiert. Vielen Menschen fällt das schwer. Innere Antreiber können der Grund sein, erklärt Pilz. Das seien tief verankerte Glaubensätze wie "Sei perfekt" oder "Mach es allen recht"; Strategien, die sich der oder die Einzelne im Laufe des Lebens unterbewusst angeeignet habe, um vergangene Problemsituationen lösen zu können. "Um besser Aufgaben abgeben zu können, kann es helfen, sich mit seinen Antreibern zu beschäftigen. Das braucht den Wunsch etwas zu verändern und den Mut, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen", erklärt Pilz.
Berger ist der Ansicht, dass Handwerkschefs beim Delegieren kaum Grenzen gesetzt sind. Zwar gebe es viele Methoden, die helfen, die wichtigsten Aufgaben für sich selbst festzulegen. "Ich bin aber der Meinung, dass diese Überlegungen nicht dauerhaft strikt eingehalten werden müssen. Wenn ich Aufgaben ständig vor mir her schiebe und selbst nicht richtig vorankomme, lohnt es sich zu schauen, ob ein Mitarbeiter oder externer Dienstleister diese nicht schneller oder sogar besser erledigen könnte." Das Priorisieren der eigenen Aufgaben sei ein ständiger Prozess und auf keinen Fall ein starres Konstrukt.
Ein gutes Zeitmanagement erfordert stetige Arbeit
Wer erfolgreich Aufgaben abgeben will, sollte zudem auf eine gute Kommunikation achten, rät Berger. "Der Handwerkschef muss einen Weg finden, über den alle Mitarbeiter jederzeit wissen, für welche Aufgaben sie zuständig sind und wann welche Aufgaben zu erledigen sind." Das können wöchentliche Meetings sein, ein Whiteboard, auf dem die Aufgaben eingeteilt werden oder ein digitales Planungs-Tool, auf das alle Mitarbeiter über ein elektronisches Endgerät Zugriff haben.
Auch Lena Pilz sagt, es sei wichtig, stetig am Zeitmanagement zu arbeiten. "Welche Zukunftsvision habe ich, was läuft gerade gut, was sind Schrauben, an denen ich nachjustieren will, damit mein Betrieb lange marktfähig bleibt? Für die Beantwortung dieser Fragen sollten sich Handwerksunternehmer immer wieder Zeit nehmen und danach ihre Aufgaben planen." Berger rät, sich an die betriebswirtschaftlichen Berater oder Personalberater der Handwerkskammern zu richten, die individuelle Tipps geben können: "Letztlich ist ein gutes Zeitmanagement immer typenabhängig. Eine Standardlösung für alle Handwerkerinnen und Handwerker gibt es nicht."
Wie haben Handwerksunternehmer Zeitfresser aus Ihrem Betrieb beseitigt?

Viktor Glas, Maler- und Lackierermeister, Kaufbeuren, Bayern
"Weil ich jahrelang solo-selbstständig war, fiel es mir anfangs schwer, Aufgaben an meine Mitarbeiter abzugeben. Früher bin ich jeden Tag zu ihnen auf die Baustelle gefahren. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das nicht effektiv ist. Als ausgebildete Facharbeiter sind sie dazu fähig, selbstständig Lösungen für Probleme zu finden. Mittlerweile fahre ich zu den meisten Projekten nur noch ein bis zwei Mal in der Woche hin. Wir gehen die Arbeiten kurz durch und ich hake das Projekt ab.
Am Anfang war die Zettelwirtschaft im Betrieb groß. Heute arbeiten wir mit einer App, über die sich von der Wochenplanung bis zur Baustellendokumentation alles organisieren lässt. Auch ich behalte so den Überblick. Um Kraft zu tanken, mache ich täglich von 12 bis 13 Uhr eine Mittagspause. Das ist für mich die wichtigste Zeit. Da esse ich in Ruhe oder mache ein Nickerchen. Dadurch ist es auch in Ordnung, dass meine Arbeitstage länger dauern."

Anne-Kathrin Kozur, Juniorchefin bei Bekoa Elektrotechnik GmbH in Aßlar, Hessen
"Früher war für uns die Zeiterfassung sehr zeitaufwendig. Mittlerweile haben wir ein digitales
Zeiterfassungssystem eingeführt, für das jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter einen RFID-Chip besitzt. Zudem haben wir sehr viele Eingangsrechnungen. Die Ablage dieser hat früher viel Zeit gekostet. Mittlerweile scannen wir alle Belege ein und legen diese im Karton ab. Wenn man eine alte Rechnung braucht, muss man nicht mehr ins Archiv gehen, sondern kann schnell digital suchen. Ich persönlich arbeite gerne mit To-do-Listen und Post-its. To-do-Listen erstelle ich wochenweise. Was zwingend tagesaktuell erledigt werden muss, kommt auf ein Post-it, das ich an den Rechner klebe. Zudem versuche ich, einmal im Monat einen Strategietag einzulegen, an dem ich langfristige, strategisch wichtige Themen für das Unternehmen bearbeite."

Sascha Raupach, geprüfter Restaurator im Maurer- und Betonhandwerk, Kaufbeuren, Bayern
"Jeder Arbeitstag verläuft bei mir nach einer festen Struktur. Ich stehe um halb 5 Uhr morgens auf, kümmere mich im Büro zwei Stunden lang um die Vorbereitung, dann geht es auf die Baustelle und am Ende des Tages noch einmal kurz ins Büro. Vor allem die wachsende Bürokratie war in den letzten Jahren zeitraubend. Dabei unterstützt mich die Digitalisierung: Auf allen Geräten habe ich Software installiert, die mir beim Rechnungen schreiben hilft, bei der Zeiterfassung oder der Buchhaltung. Über einen Gemeinschaftskalender, auf den alle Mitarbeiter Zugriff haben, plane ich Aufgaben, Termine, lege Werkzeug- und Materiallisten an. Trotzdem muss ich meine Mitarbeiter oft an ihre Pflichten erinnern: etwa daran, ihre Tagesberichte zu verfassen. Stressig ist auch, dass viele Kunden von mir erwarten, jederzeit erreichbar zu sein. So bin ich mit dem Kopf leider ständig bei der Arbeit. Um abends etwas abzuschalten, gehe ich ins Fitnessstudio oder schwimmen."

Christian und Maximilian Romoser, Raumausstattermeister, Bad Herrenalb, Baden-Württemberg
"Wir haben in den letzten zwei Jahren viele Dinge angepasst, die uns dabei helfen, Zeit zu sparen. So haben wir ein monatliches Meeting eingeführt, was die Kommunikation im Team verbessert hat. Beim Onboarding neuer Mitarbeiter sparen uns jetzt Videos Zeit, die wir mit dem Smartphone zu diversen Betriebsabläufen gedreht haben. Wir erklären darin beispielsweise die Baustellenmappe oder was beim Beladen der Autos zu beachten ist.
Was uns als Chefs sehr hilft: eine Prio-Liste für Aufgaben. Aufgaben der Kategorie 'Dringlich' erledigen wir sofort. Aufgaben der Kategorie 'Wichtig' erledigen wir, wenn gerade nicht so viel los ist. In eine dritte Kategorie packen wir Aufgaben, die wir an unsere Mitarbeiter delegieren. Überhaupt versuchen wir, ihnen möglichst viel Verantwortung zu übertragen. Ein Beispiel: Schaffen wir eine neue Maschine an, bestimmen wir einen Mitarbeiter als verantwortlichen Ansprechpartner. Auch das Thema Werbung und Marketing haben wir größtenteils in die Hände unserer Beschäftigten gelegt. Sie knipsen eigenständig Bilder ihrer Arbeit und teilen sie auf unseren Social Media-Kanälen."