Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige erfüllen ein hohes Anforderungsprofil, sind unparteiisch und unabhängig. Gerichte und Kollegen vertrauen auf ihre überdurchschnittliche Fachkompetenz. Wie man einer wird.

Wenn zwei sich um eine handwerkliche Arbeit streiten, ist oft ihre Beurteilung gefragt: öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige. An sie werden hohe Anforderungen gestellt: "Sie sind Personen mit überdurchschnittlicher Expertise", erläutert Philipp Maag, bei der Handwerkskammer Karlsruhe zuständig für das Sachverständigenwesen.
Daher werden sie von den Handwerkskammern auf Herz und Nieren geprüft und deshalb vertrauen ihnen Gerichte. "Das Gutachten eines Sachverständigen ist ein Beweismittel", sagt Wolfgang Jacobs, Geschäftsführer des Bundesverbands öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger (BVS). Die besondere Fachkompetenz schätzen nicht zuletzt auch Handwerkskollegen, die gerne mal um Rat fragen.
Ein Netz an Experten
Maler- und Lackierermeister Michael Eichler führte in Coswig mit seinem Bruder einen 40-Mann-Betrieb, als er sich 1997 zum Sachverständigen öffentlich bestellen und vereidigen ließ. Seit 2002 konzentriert er sich auf diese Tätigkeit und betreibt ein Sachverständigenbüro. Etwa 90 Prozent seiner Arbeit seien Privatgutachten für Handwerksbetriebe, private Auftraggeber oder Wohnungsgesellschaften, schätzt der 57-Jährige. Nur circa zehn Prozent der Gutachten forderten Gerichte an.
"Sachverständiger für Schäden an Gebäuden zu sein, umfasst ja alles von der Gebäudetechnik bis hin zum letzten Nagel." Im Bedarfsfall arbeitet Michael Eichler mit kompetenten Kollegen zusammen: "Mein Fachgebiet ist das Malerhandwerk und die angrenzenden Gewerke. Für alles andere rund ums Gebäude habe ich ein Netzwerk an Sachverständigen."
Größtenteils Privatgutachten
In schwierigen Fällen greift auch die öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige im Parkettlegerhandwerk und Bodenlegergewerbe, Martina Schott, auf die Expertise von Kollegen zurück. "Wir Sachverständige in Deutschland treffen uns regelmäßig, tauschen uns aus und kennen uns gut. Da weiß ich immer, wer mein Ansprechpartner für den einen oder anderen speziellen Fall ist."

Die 52-Jährige führt noch einen Betrieb mit sechs Mitarbeitern und schätzt den Anteil ihrer Sachverständigentätigkeit auf 20 Prozent. Im vergangenen Jahr erstellte sie 31 Gutachten und auch bei ihr sind es größtenteils Privatgutachten. "Mich rufen Menschen an, die Probleme mit einem Bodenleger oder dem Bauträger haben und bevor es vor Gericht geht, schaue ich mir das an. Manchmal genügt eine mündliche Aussage oder kurze Stellungnahme von mir." Andernfalls ist ein Gutachten der Parkettleger- und Raumausstattermeisterin die Grundlage, um vor Gericht Klage einzureichen. Und "wenn es sich vermeiden lässt, bitte ich immer darum, mir nicht zu sagen, wer der Verleger ist. Ich möchte das gar nicht wissen".
Michael Eichler muss immer wieder zu Gutachten von Kollegen Stellung nehmen. "Wenn ich fachliche Fehler sehe, benenne ich sie natürlich klar. Ich habe da keine Berührungsängste", so der Landesinnungsmeister in Sachsen. Unangemessene Reaktionen könne es natürlich geben, da sich "Sachverständige im Spannungsfeld zweier Interessengebiete bewegen." Eichler praktiziert seit Jahren Mediation und Moderation auf Baustellen. Seiner Erfahrung nach sei es am besten, wenn sich Anwälte, Techniker und Betroffene an einen Tisch setzen. "Das ist äußerst effektiv." Viele Rechtsstreitigkeiten ließen sich so sogar vermeiden. Vor kurzem erlebte er genau das auf einer Baustelle. Dort habe es berechtigte Mängel an einer Fassade gegeben. Der Sachverständige konnte die zerstrittenen Parteien zu einem Gespräch überreden. "Wir haben ein Konzept entwickelt, wie die Mängel beseitigt werden. Solche Projekte liebe ich, weil sie zu Ergebnissen führen ohne langwierige Rechtsstreitigkeiten."
Der Weg zum Sachverständigen
Die Berufsbezeichnung Sachverständiger ist nicht geschützt. "Es gibt in Deutschland kein Sachverständigengesetz und keinen Ausbildungsberuf zum Sachverständigen", stellt Rechtsanwältin Katharina Bleutge vom Institut für Sachverständigenwesen (IfS) klar. Das heißt, "Sachverständiger kann streng genommen jeder werden", sagt Wolfgang Jacobs.
Im Gegensatz dazu ist "öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger wie der 'Handwerksmeistertitel' ein wettbewerbsrechtlich geschützter Begriff", erklärt Philipp Maag von der Handwerkskammer Karlsruhe. Nicht zuletzt deshalb gelten für öffentlich bestellte Sachverständige Anforderungsprofile und Qualifikationsanforderungen. Diese ergeben sich aus den Sachverständigenordnungen der Bestellungskörperschaften, also beispielsweise denen der Handwerkskammern, die sich aus der Mustersachverständigenordnung des ZDH ableiten.
"Wer öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger werden will, muss sich einem umfangreichen Prüfverfahren unterziehen", weiß Wolfgang Jacobs, "für die öffentliche Bestellung wird meistens zehn Jahre praktische berufliche Erfahrung vorausgesetzt." Zum Anforderungsprofil gehört weiter, dass Bewerber über ausreichende Lebenserfahrung verfügen, zuverlässig und leistungsfähig in ihrem Sachgebiet, unparteilich und unabhängig sind. Die Gutachten eines Sachverständigen müssen vollkommen neutral und mit besonderer Sachkunde erstellt werden. "Es darf keinen Anschein der Befangenheit geben", so Rechtsanwältin Katharina Bleutge.
Top 10: In diesen Branchen gibt es in Deutschland die meisten Sachverständigen im Handwerk
- Installateur- und Heizungsbauer: 390
- Maurer- und Betonbauer: 379
- Maler- und Lackierer: 337
- Tischler: 326
- Dachdecker: 323
- Elektrotechniker: 296
- Fliesen-, Platten- und Mosaikleger: 221
- Kraftfahrzeugtechniker: 205
- Metallbauer: 200
- Zimmerer: 190
Quelle: ZDH (Stand Mai 2023)
Die Fachkenntnis eines Sachverständigen muss überdurchschnittlich sein. "Außerdem muss er über einige Soft Skills verfügen wie Routiniertheit, Souveränität, Gelassenheit und auch Kommunikationsfähigkeit." Bei der Auswahl richtet sich der Blick darüber hinaus auf die Lebenssituation. Etwa ob der künftige Sachverständige in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, "so dass keine Gefahr für Gefälligkeitsgutachten besteht", fasst die Rechtsanwältin zusammen.
Sind alle Anforderungen erfüllt, fachliche und sachliche Prüfungen bestanden, wird der Sachverständige von einer Handwerkskammer öffentlich bestellt und vereidigt. "Eine Bestellperiode dauert in der Regel fünf Jahre. Während dieser Zeit muss sich der Sachverständige fortbilden, um jederzeit auf dem Stand der Technik zu bleiben", sagt Philipp Maag. Durch die Befristung auf fünf Jahre und die gleichzeitige Verpflichtung zur Fortbildung nach einem Punktesystem soll der hohe Qualitätsstandard im Sachverständigenwesen gewährleistet werden.
Was fehlt, ist der Nachwuchs
In Deutschland gibt es derzeit 4.931 Sachverständige im Handwerk, so der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH, Stand Mai 2023). Die meisten Sachverständigen verzeichnet das Baugewerbe (siehe Kasten). Laut einer Studie des IfS aus dem Jahr 2018 liegt das Durchschnittsalter von Sachverständigen bei 58 Jahren. "In manchen Bereichen ist der Nachwuchsmangel erschreckend", sagt Katharina Bleutge vom IfS. Besonders betroffen seien im Handwerk das Bauwesen, Elektrotechnik, Maschinenbau, Schweiß- und Fügetechnik.
Neben dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wert der Sachverständigenarbeit, gibt es noch den persönlichen Aspekt. "Ich spüre die Wertschätzung für meine Arbeit", sagt Michael Eichler. Und Martina Schott findet ihre Gutachtertätigkeit auch nach 14 Jahren spannend. "Ich lerne immer wieder etwas dazu."
Buchtipp
Das 3. Würzburger Symposium "Sachverständige im Handwerk" beleuchtete allgemeine Fragestellungen, die Sachverständige unabhängig vom Fachgebiet betreffen. Der nun erschienene Tagungsband zeigt auf, welche Anforderungen an Sachverständige gestellt werden. Weitere Themen: Umgang mit Technischen Regelwerken, die Arbeit im Sachverständigenbüro angesichts der sich schnell wandelnden digitalen Welt und Erstellung von Gutachten.
Würzburger Symposium – Sachverständige im Handwerk, Martin Schauer, BVS (Hrsg.), 39 Euro, ISBN 978-3-7388-0815-5, zu Bestellen unter holzmann-medienshop.de.