Auf der Suche nach verstecktem Schimmel: Die aus der Kriminaltechnik entlehnte Bau-Forensik deckt Schäden auf, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben. Auch Tricksereien und Anwendungsfehler können so entlarvt werden – ebenso die Unschuld im Streitfall.

Im ersten Augenschein eine blütenweiße Wand. Selbst bei genauerem Hinsehen keine Spuren von Schimmel. Nur ein leichter Geruch liefert einen Verdacht. Erst das Licht einer sehr starken Tatortlampe, gepaart mit der richtigen Filterbrille, bringt den Pilz in Dunkelheit zum Leuchten. So wie Kriminalbeamte auf einem gereinigten Teppich die Blutreste einer Gewalttat aufspüren, können Bau-Forensiker Schimmelpilze oder Wasserschäden nachweisen, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Ein Segen für Sachverständige, Handwerksmeister oder Immobilienmakler, aber auch für Restauratoren.
Seminare zur Bau-Forensik
Das Fachgebiet der optischen Bau-Forensik ist noch jung, wurde erst vor rund zehn Jahren von Andreas Rapp begründet. Seither treibt der Professor für Holztechnik an der Leibniz Universität Hannover die Forschung dazu voran. Sein Wissen gibt er in zweitägigen Seminaren weiter. "Rund 300 Interessenten aus dem deutschsprachigen Raum haben inzwischen unsere Kurse besucht. Etwa 90 Prozent von ihnen kommen aus Deutschland, unter ihnen sehr viele Handwerker", sagt Rapp. Der Wissenschaftler kann selbst einen Meisterbrief im Parkettlegerhandwerk vorweisen.
Die Erkenntnisse aus der Bau-Forensik treffen in vielen Bereichen auf Interesse, denn die Möglichkeiten beschränken sich keineswegs auf das Aufspüren von verdeckten Schimmel- oder alten Wasserschäden. So kann die falsche Härtemenge in der Spachtelmasse unter dem Fahrzeuglack identifiziert werden oder ob bei einem Linoleum-Fußboden das richtige Pflegemittel verwendet wurde. Bau-Forensiker können herausfinden, ob Estrichleger dem Beton einen Trocknungsbeschleuniger beigemischt haben oder ob eine Wand mit Dispersions- oder Silikatfarbe gestrichen wurde. Es lässt sich nachweisen, ob bei Restaurierungen statt teurem Ebenholz ein billiges Imitat verwendet wurde.
Handwerker können mit Methoden der Bau-Forensik im Streitfall ihre Unschuld beweisen. "Andererseits kommt es auch oft zu Spontangeständnissen, wenn etwa ein ungelernter Bodenleger von einem Hausmeisterservice die Wände mit Lackspritzern verschmutzt hat", verweist Rapp auf ein Erlebnis aus seiner langjährigen Tätigkeit als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger im Parkettlegerhandwerk.
Fluoreszenz mit Bau-Forensik aufspüren
Eine Grundlage der Bau-Forensik bildet die Fluoreszenz. Dahinter verbirgt sich die Eigenschaft vieler organischer Stoffe, Licht einer bestimmten Wellenlänge zu absorbieren und in einer anderen Wellenlänge wieder abzustrahlen. In Diskotheken lässt sich dieser Effekt beobachten, wenn die weißen T-Shirts der Tänzer unter dem Schwarzlicht im abgedunkelten Saal zu leuchten beginnen. Kriminaldetektive nutzen die Fluoreszenz, um Blut, Sperma oder Schmauchspuren nachzuweisen. Um die nur schwach fluoreszierenden Stoffe zu entdecken, nutzen sie Tatortlampen und Filterbrillen.
Die Fluoreszenz der organischen Bestandteile in Baustoffen fällt noch schwächer aus. Der abgetrocknete Wasserrand an einer Tapete fluoresziert um das hundert- bis tausendfache schwächer als die T-Shirts in der Disko, erklärt der Experte. Aber mit Fachwissen, einer Portion Erfahrung und der richtigen Technik könnten Bau-Forensiker zum Beispiel feststellen, wenn ein Zwei-Komponenten-Klebstoff falsch gemischt wurde.
Die notwendigen Werkzeuge dafür hat Andreas Rapp an der Uni Hannover entwickelt. Neben Tatortlampen und Filterbrillen kommen spezielle Forensikkameras zum Einsatz. Mit ihnen lassen sich Fluoreszenzen auch im nichtsichtbaren Bereich von UV- und nahem Infrarotlicht erkennen. "Für rund 400 Euro können herkömmliche Digitalkameras zu einer Forensikkamera umgebaut werden", sagt Rapp. Dabei entfernen Dienstleister den vom Kamerahersteller vor dem Sensor verbauten Sperrfilter. In der Bau-Forensik werden stattdessen spezielle Filter vor dem Objektiv der Kamera eingesetzt, abhängig von der zu untersuchenden Stoffgruppe. Die Filtersets dafür wurden ebenfalls an der Uni Hannover entwickelt und können über die Website www.bau-forensik.eu erworben werden.
Von ultraviolett bis infrarot
In der Praxis wenden Bau-Forensiker vier Techniken an. Für zwei Drittel aller Aufgaben reiche es aus, Fluoreszenzen im sichtbaren Bereich aufzuspüren, sagt Rapp. Dafür kommen Lampen, Brillen und normale Fotoapparate mit Filter zum Einsatz. Bei Fluoreszenzen in nicht sichtbaren Wellenlängen bedarf es zusätzlich einer Forensikkamera, ebenso bei der UV- und IR-Absorptionsbildanalyse, bei der die Filter vor dem Objektiv nur ultraviolettes oder Infrarotlicht passieren lassen.
Um die Effekte der IR-Absorptionsbildanalyse bei seinen Seminaren zu demonstrieren, bittet Andreas Rapp die Teilnehmer in schwarzer Kleidung zu erscheinen. Im Gruppenfoto mit dem IR-Pass-Filter vor dem Objektiv, der nur nahes Infrarotlicht durchlässt, tragen dann alle plötzlich weiße Kleidung, schwarze Haare bleiben aber dunkel. Der Bau-Forensiker weiß: Viele dunkle Farbstoffe erscheinen im nahen Infrarotlicht hell, während das Melanin in schwarz pigmentierten Pilzen oder Haaren dunkel bleibt. Mit gefiltertem Licht lässt sich der Kontrast darstellen.
Wer Andreas Rapp auf sein Herzensthema Bau-Forensik anspricht, spürt seine Leidenschaft für die Detektivarbeit auf den Baustellen. Bei seinem beruflichen Werdegang verwundert das nicht, stammt Rapp doch aus einer klassischen Handwerkerfamilie. Sein Vater, der Parkettlegermeister Otto Rapp, gilt als einer der Gründerväter der Restauratoren im Handwerk und stand lange der Parkettleger-Innung Baden-Württemberg Nord als Obermeister vor.
Handwerker wird Forscher
Sohn Andreas lernte bei einem Betrieb in Heidenheim ebenfalls das Parkettlegerhandwerk, wurde sogar als Bundessieger im praktischen Leistungswettbewerb ausgezeichnet. Nach der Meisterschule führte er noch die EDV im Familienbetrieb ein, ehe er seinen Weg in die Wissenschaft einschlug. "Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar, dass sie mir die Freiheit ließen, meine berufliche Karriere in der Forschung fortzusetzen", sagt Rapp. Dem Handwerk ist er trotzdem verbunden geblieben. Obwohl schon im sechsten Semester Student, leitete er 1986 auf Bitten des Bundesinnungsmeisters die Parkettlegearbeiten beim Bau der Nationaloper in Taiwan. Seit drei Jahrzehnten engagiert sich Rapp zudem als Sachverständiger. Und als Leiter des Instituts für Berufswissenschaften im Bauwesen an der Uni Hannover ist er schließlich für die Ausbildung von Berufsschullehrern verantwortlich.
Mit der Bau-Forensik hat Andreas Rapp ein ganz neues Forschungsfeld etabliert, das die Suche nach Indizien für handwerkliche Fehler oder verdeckte Bauschäden erleichtert. "Eine Laboranalyse kann das freilich nicht ersetzen", betont er. Aber meist sind die Hinweise schon so eindeutig, dass das Labor erst gar nicht bemüht werden muss.