Der neue Präsident des Hörakustik-Handwerks Eberhard Schmidt spricht im Interview über Gesundheitspolitik, die Kundenbetreuung aus der Ferne und darüber, wie ihm Kooperation bei der Fachkräftesuche hilft.

Herr Schmidt, 25 Jahre lang war Marianne Frickel Präsidentin der Hörakustiker. Jetzt stehen sie diesen 7.200 Betrieben vor. Wie geht es der Branche?
Eberhard Schmidt: Die ist etwas zwiegespalten. Wir arbeiten in einer demografie-getakteten Gesundheitsumgebung. Unsere Klientel ist die Gruppe 60 plus, die Kundschaft wächst also. Andererseits kämpft jeder damit, Azubis und Fachkräfte zu finden, außerdem mit den Kostensteigerungen und mit den Limitierungen durch die Verträge mit den Krankenkassen.
Was für Limitierungen sind das?
Die Vertragspreise, also was die Gesetzlichen Krankenkassen für die Hörversorgung ihrer Patienten übernehmen, haben sich von 2013 bis 2022 nicht geändert, trotz Inflation, Mietpreissteigerungen und den Kostensteigerungen durch Corona. Hinzu kam jetzt eine neue gesetzliche Regelung: In aufzahlungsfreie Hörgeräte kommt mehr Technik. Wir müssen also mehr liefern. Wir haben deswegen die vergangenen 15 Monate mit den Krankenkassen verhandelt und am Ende waren immer noch 200 Vertragspunkte offen. Das Verfahren endete vor dem Schiedsmann. Ich möchte nicht von Fronten sprechen, aber die Positionen werden heute wesentlich härter verteidigt als früher.
60 Prozent der Patienten begnügen sich nicht mit einer reinen Kassenversorgung bei Hörgeräten. Warum?
Da geht es um Komfortfunktionen, die die Handhabung erleichtern. Vom Hören und Verstehen her besteht kein Unterschied zwischen den aufzahlungsfreien und den Komfortlösungen. In beiden sitzt ein Hightech-Chip, oft sogar derselbe, mit dem man ein sehr, sehr gutes Hören erreichen kann. Unsere Klientel zwischen 70 und 85 Jahren bewegt sich meist in dieser konventionellen Hörversorgung und jeder Patient hat Anspruch darauf, solche Geräte zu testen. Auch hier gibt es schon viel Komfort, die Akkugeräte zum Beispiel funktionieren vollautomatisch.
Hörgeräte bei Videokonferenzen
Warum dann die Komfortfunktionen?
Dafür entscheidet sich oft die Klientel zwischen 60 und 75 Jahren, die schon mit Smartphone unterwegs ist. Ich selber trage für meine Videokonferenzen beispielsweise Hörgeräte statt Headsets. Jedes wiegt nur drei Gramm und die Akkuladung hält, anders als Airpods, fünf bis sechs Stunden. Ich kann diese Geräte zum Telefonieren benutzen oder sie direkt mit dem Fernseher verbinden. Es gibt auch Geräte, die Windgeräusche beim Fahrradfahren ausblenden, die auf das Musikhören spezialisiert sind oder die je nach dem Ort, an dem man sich befindet, aus einer Cloud die optimale Höreinstellung wählen. Und es gibt Geräte, die die Herzfrequenz des Trägers messen und dessen Angehörige warnen, wenn dieser gestürzt ist.
Damit gibt der Träger aber auch viele Daten über sich preis. Wie sicher sind solche Systeme?
Es geht bei diesen Entwicklungen nie nur um die Technik, sondern auch darum: Was braucht es rechtlich, wie sichern wir den Datenschutz, wie verhindern wir Internetkriminalität und Hackerangriffe? An diesem Punkt sind wir gerade bei der Tele-Audiologie, also der Versorgung der Patienten aus der Ferne. Die steckt noch in den Kinderschuhen, alles ist umständlich, aufwändig und funktioniert nur halb. Es wird wohl noch rund fünf Jahre dauern, bis wir das technisch stabiler zum Laufen bekommen, aber auch, bis wir den Rechtsrahmen gebildet haben.
Tele-Audiologie in Hörakustik gegen Fachkräftemangel
Ersetzen dann Handy und Internet den Besuch beim Hörakustiker?
Vielleicht in der Nachbetreuung, wenn es darum geht, etwas nachzujustieren. Zunächst muss der Kunde aber ins Fachgeschäft kommen. Ich muss in seinen Gehörgang hineinsehen können und auch ein maßgefertigtes Kunststoffteil mit einem Abdruck anfertigen. Ich brauche anfangs diesen direkten Kontakt. Aber im Schnitt betreuen wir Kunden gut ein Jahr lang, bis alles optimal funktioniert. Dabei könnte die Tele-Audiologie helfen, gerade wenn Menschen weniger mobil werden und der Fachkräftemangel uns weiter einschränkt.
Stichwort Fachkräftemangel: Wie steht es um den Nachwuchs?
Die Situation ist angespannt. Wir als Betrieb gehen auf Ausbildungsmessen und versuchen überall mitzuspielen. Das kostet nicht wenig Geld und ist aufwändig, aber wichtig. Seit einigen Jahren ist die Zahl der Neuverträge bei etwa 1.000 stabil, das ist angesichts der demografischen Entwicklung schon ein Erfolg. Wir müssen uns aber auch der Tatsache stellen, dass wir bis zur Gesellenprüfung 25 bis 30 Prozent verlieren. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Wir haben einen hohen Frauenanteil von 60 Prozent, und wie zum Beispiel meine Frau ziehen sich dann einige für die Familienzeit zurück. Manche nutzen die Ausbildung auch als Sprungbrett für ein Studium.
Lebenslanges Lernen in der Hörakustik
Auch Sie selbst haben sich immer weiter fortgebildet, sind als Pädakustiker auf die Hörversorgung von Kindern spezialisiert, sind Betriebswirt des Handwerks, arbeiten als Sachverständiger und leiten ja auch noch ihr Unternehmen. Wie geht das mit dem Präsidentenamt zusammen?
Ich war sehr bildungshungrig und man kann das nur leisten, wenn man von hinten gestärkt wird. Bei mir sind das meine Frau und meine Geschäftspartner. Ich bin seit 1992 selbstständig, aber 2004 haben ein Kollege und ich unsere Firmen unter das gemeinsame Dach von "Das Hörhaus" gestellt. Dort sind wir mittlerweile fünf Partner mit 27 Standorten und 120 Mitarbeitern rund um Regensburg. Das ist nicht immer reibungslos, aber die Synergien haben uns durch alle Krisen getragen und das schweißt zusammen. Auf fünf Schultern kann man einfach mehr abladen kann als auf einer. Jeder von uns hat seine Spezialbereiche. Ich mache sozusagen den Innenminister und Präsidenten, einer kümmert sich um das Labor, einer um Marketing und einer um Personal – mit Erfolg. Noch nie hatten wir so viele Initiativbewerbungen wie in den vergangenen zwei, drei Jahren. Einer allein könnte so viele Themen nicht bespielen.
Aber nicht jeder will oder kann mit anderen fusionieren. Gehört der Markt den Großen?
Nein. In Deutschland gibt es etwa 7.200 Fachgeschäfte für Hörakustik. Die vier ganz großen Player haben etwas mehr als 30 Prozent dieses Marktes. 70 Prozent aber decken über 2.700 Unternehmen mit im Schnitt zwei, drei Filialen ab. Klein aber fein funktioniert super. Viele von ihnen schließen sich Einkaufsgemeinschaften oder Erfa-Gruppen an, ohne damit ihre Selbstständigkeit einzuschränken. Unser Modell von "Das Hörhaus" ist in der Branche eher ungewöhnlich, aber es ermöglicht mir, dass ich meine Verbandsarbeit in der Qualität und Quantität so machen kann, wie ich es tue.
Zahlen zur Hörakustik in Deutschland
- Studien gehen davon aus, dass es in Deutschland etwa 5,4 Millionen Menschen mit einer Schwerhörigkeit gibt, die mit einem Hörsystem versorgt werden sollte. Schwerhörigkeit gehört zu den zehn häufigsten gesundheitlichen Problemen in Deutschland.
- Bereits rund 3,7 Millionen Menschen tragen ein Hörsystem. 2022 haben die Hörakustiker bundesweit rund 1,6 Millionen Hörsysteme angepasst.
- Es gibt rund 18.000 Hörakustiker in etwa 7.250 Fachgeschäften. Der geschätzte Gesamtumsatz der Hörakustikbranche betrug 2022 rund 1,6 Milliarden Euro. Im Hörakustiker-Handwerk gilt die Meisterpräsenz.
- Pro Jahr beginnen rund 1.100 Azubis ihre Ausbildung. Mit einer Ausbildungsquote von etwa 20 Prozent haben Hörakustiker damit die höchste Ausbildungsquote im Handwerk. 3.300 Auszubildende lernen derzeit dieses Gesundheitshandwerk. Unter Abiturienten haben Hörakustiker innerhalb des Handwerks einen Spitzenplatz, die Quote der Hochschulzugangsberechtigen unter den Auzubildenden beträgt etwa 50 Prozent.
- Nach der Berufsausbildung kann Hörakustikauch studiert werden. Der Bachelorstudiengang "Hörakustik" wird im Rahmen einer Kooperation zwischen der Technischen Hochschule, der Medizinischen Universität und der Akademie für Hörakustik in Lübeck angeboten. Der einzigartige Studiengang ist sehr praxisorientiert und beinhaltet zudem die Anerkennung von Studienleistungen für die Meisterprüfung.