TV-Kritik: ZDF - "sonntags" über junge Menschen im Handwerk Hoodies, Caps & Instagram: Junge Handwerker zwischen Tradition und Moderne

Das Handwerk: das sind meistens mittelalte bis ältere Herren, die immer zu spät kommen und dann ein wenig mürrisch ihren Job machen, und das meistens schon so wie vor 20, 30 Jahren. Vorurteile über das Handwerk gibt es zuhauf. Das ZDF-Magazin "sonntags" zeigte nun in einer erfrischenden Sendung, wie junge Leute auch in schwierigen Corona-Zeiten die unterschiedlichsten Gewerke aufmischen und frischen Wind in ihre Betriebe bringen. Prädikat: Läuft bei denen.

In einer TV-Sendung zeigt das ZDF, wie junge Handwerker frischen Wind in ihre Betriebe bringen. - © JenkoAtaman - stock.adobe.com

Von Markus Riedl

Eines hat Chiara Monteton, Auszubildende zur Dachdeckerin, nach eigener Aussage in ihrem Job schnell gelernt: "Dass Männer auch ganz schöne Zicken sein können." Weil ihr das Studium ("das war nicht so meins") nicht gefiel, die kaufmännische Ausbildung im elterlichen Betrieb ("Büro war auch zu langweilig") auch nicht, und der Vater ganz zufällig Dachdeckermeister ist, fand sie ihren Weg aufs Dach. Heute lernt sie den Beruf im elterlichen Betrieb, ist unter anderem zuständig für das Erreichen auch der engsten Ecken – und hat nebenbei noch einen erfolgreichen Instagram-Kanal mit mehr als 32.000 Abonnenten. Mit dem will sie den Alltag im Handwerk transportieren, jenseits der bekannten Vorurteile. Doch der Schwerpunkt liegt auf dem Dach. Sie sei wissbegierig, fachlich gut, sagt ihr Ausbilder Sascha Schloßmacher, und "ganz schön pfiffig drauf".

Die Dacheckerin: "Man muss schon etwas härter sein"

Dass das Handwerk 2021 nicht nur männlich, routiniert und erfahren ist, sondern auch jung, weiblich, pfiffig und sich gerne mal die Hörner an althergebrachten Standards abstößt, das war die Quintessenz der halbstündigen Sendung "sonntags" im ZDF, die sich mit Nachwuchs-Handwerkern aus verschiedenen Gewerken beschäftigte. Erfreulich, dass dabei nie die Grenze zum Kitsch überschritten wurde oder der Jugend als Wert an sich das Wort geredet wurde. Chiara Monteton selbst oblag es in einem herrlich launigen O-Ton, direkt einzuschränken, dass nicht jeder einfach mal als Dachdecker anfangen könne, auch nicht jede Frau. Das werde in Kampagnen zwar immer so hingestellt. Doch man müsse "schon etwas härter sein" im Handwerk, sagte sie, und krönte das mit dem salomonischen Satz: "Nicht jede Frau gehört aufs Dach, aber ganz bestimmt gehört auch nicht jeder Mann aufs Dach." Das zeigt auch die Zukunftsplanung für den Betrieb. Monteton ist sicher, dass die und ihr kleiner Bruder den Betrieb übernehmen – sie allerdings als Meisterin auf dem Dach, und er, der BWL-Student, im Büro.

Der Sattler: Tradition mit Cap und Hoodie

Der Betriebsübergang war bei Robert Mischewski eine schiere Notwendigkeit. Der Vater starb unerwartet, und so ging das die Polsterei und Sattlerei auf den Sohn über, natürlich deutlich früher als geplant. Zuvor hatte der Vater dem Sohn allerdings noch etwas mit auf den Weg gegeben, indem er seine positive Überraschung über die Arbeitsweise des Nachwuchses kund tat: "So wie du das machst, habe ich es 45 Jahre lang nicht gemacht", habe der Vater anerkennend gesagt. Neues auszuprobieren, das scheint ein wichtiger Antrieb für Mischewski zu sein. Als Musik hat die ZDF-Redaktion Hip-Hop gewählt, Mischewski selbst trägt Cap und Hoodie. Seine Tochter ist in der Werkstatt mitunter dabei, seine Frau auch, auch wenn der Familien-Part vom ZDF ein wenig arg strapaziert wurde. Dass indes die Grenzen zwischen privat und beruflich verwischen, ist vielen Selbstständigen ohnehin bekannt, dass diese Verbindung fast schon gepflegt wird, zeigt die Leidenschaft, mit der Mischewski arbeitet. Sogar die "Positionierung der Drehungen der Schrauben", wie er sagt, sei in 98 Prozent der Fälle etwa bei einem restaurierten VW T1 gleich. Doch bei aller Modernität, die aus dem Beitrag spricht, wird auch eine klar: die Tradition der Familie wird von Robert Mischewski weiter gepflegt – und irgendwie ist das ja ziemlich konservativ.

Der Messerschmied: "Leben, Werte, Familie"

Bei Janosch Vecernjes, Messerschmied aus Baden-Württemberg, geht es auch um ein altes Handwerk – und ums Prinzip. Er lebt für sein Handwerk, gab einen gut bezahlten Job im Finanzsektor auf, um seiner Leidenschaft nachzugeben. "Leben, Werte, Familie" – diese Worte fallen, wenn Vecernjes über seinen Beruf spricht. Er stellt handgemachte Messer her, verkauft sie unter anderem an einen Sternekoch. Die Redakteure kontrastierten geschickt die alten, langweiligen Bilder aus dem Büro mit jenen aus der Werkstatt, wo die Klingen am Schleifstein Funken schlagen. Vater Karl arbeitet mit ihm zusammen, auch hier spielt die Familie also eine wichtige Rolle. Und erneut wurde klar: Die Innovation der Jungen scheint nur zu funktionieren, wenn sie die Tradition achten. Dann stimmt auch die wirtschaftliche Lage – die Auftragsbücher sind voll.

Ohne Stanzen und Binsen

Was diese Sendung, die aus mehreren kurzen Reportagen, die durch Moderationen verbunden wurden, so besonders machte, war die Breite der dargestellten Gewerke und die ganz unterschiedliche Herangehensweise an die verschiedenen Menschen. Da wurden keine Vorurteile hin und her gewälzt, sondern echte junge Typen gezeigt, die in ihren Betrieben – ob als Azubi oder Chef – schon in jungen Jahren deutliche Akzente setzen. Einzig ein Beitrag über einen jungen Küfer aus dem pfälzischen Bad Dürkheim fiel in Qualität und Emotionalität ein wenig ab, aber auch hier wurde klar, dass auch alte, seltenere Gewerke guten, fachlich starken Nachwuchs hervorbringen. Jedenfalls: Handwerks-Reportagen ohne einfache Stanzen und Binsenweisheiten – das gibt es im deutschen TV, auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, beileibe nicht immer zu sehen. Und auch aktuelle Themen wurden durchaus aufgegriffen, etwa die Probleme mit dem Nachwuchs oder die Corona-Krise.

Der Bäcker: Nachwuchsprobleme gelöst

Denn letztere hat auch in vielen Gewerken ihre Spuren hinterlassen, beispielsweise bei den Bäckern und Konditoren, vor allem wenn sie einen angeschlossenen Cafe-Betrieb haben. Nachwuchsmangel bei Bäcker-Azubis ist indes bei Björn Wiese aus Eberswalde kein Thema. Er hat einen jungen Syrer und einen Afghanen eingestellt, die beide als Flüchtling nach Deutschland gekommen war. Zuvor war ihm die Suche nach Arbeitskräften schwer gefallen, in Brandenburg gestaltet sich das sicher auch nicht einfacher als anderswo. Wiese unterstützte die beiden Auszubildenden unter anderem bei Problemen in der Berufsschule – und löste so die Nachwuchsprobleme. Eine Erfolgsgeschichte, die natürlich in der Breite so nicht überall durchführbar ist. Dennoch – auch hier wurde eine innovative Herangehensweise von jungen Handwerksmeistern gezeigt, um akute Probleme zu lösen.

Und so blieb am Ende beim Zuschauer die Erkenntnis hängen, dass viele der eingangs erwähnten Vorurteile gegen das Handwerk nicht stimmen, sondern die unterschiedlichen Gewerke eben auch eine Vielfalt am Menschen hervorbringen, die sie prägen. Das muss nicht per se der Schlüssel zu mehr Erfolg und Qualität sein, aber dass sich ein TV-Magazin die Mühe gemacht hat, auch diese Seite des Handwerks zu zeigen, war zumindest sehr verdienstvoll.

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