Vertragsrecht Gestiegene Materialpreise: Wie Sie Draufzahlgeschäfte abwenden

Nach der Preisexplosion bei Baumaterialien fragen sich viele Handwerksbetriebe, ob und wie sie gestiegenen Kosten an ihre Auftraggeber weitergeben können. Eine Rechtsexpertin erklärt die Rechtslage für Alt- und Neuverträge.

Bitumen Rollen
Die Preise für Bitumen und andere Baumaterialien sind in diesem Jahr exorbitant gestiegen. - © twixx - stock.adobe.com

Seit Beginn des Jahres sind die Preise für Baumaterialien enorm gestiegen. Produktionsausfälle und unterbrochene Lieferketten infolge der Corona-Pandemie haben in vielen Bereichen das Material knapp werden lassen. Waldbrände in den USA und Kanada sowie die Auswirkungen der Flutkatastrophe in Teilen Deutschlands haben ihr Übriges getan. Betroffen sind fast alle wichtigen Baumaterialien wie Holz, Stahl, Kunststoffe, Kupfer, Bitumen sowie Dämmmaterial.

Können Bauunternehmen Materialpreissteigerungen ihrer Lieferanten oder Subunternehmer an ihre jeweiligen Auftraggeber weitergeben? Viviane Körner, Rechtsanwältin bei der Kanzlei Menold Bezler in Stuttgart, erklärt die Rechtslage.

Preisexplosion bei Baumaterialien: Was vertraglich gilt

DHZ: Durch die Preisexplosion bei Baumaterialien hat sich die Kalkulationsgrundlage für viele Betriebe unvorhersehbar geändert. Aufträge werden plötzlich zu Draufzahlgeschäften. Kommen Betriebe irgendwie raus aus den Verträgen?

Viviane Körner: Das hängt zunächst davon ab, was konkret vertraglich vereinbart ist. Da die meisten Auftragnehmer mit Preissteigerungen, wie wir sie zuletzt gesehen haben, in den letzten Jahren nicht gerechnet haben, enthalten Altverträge in der Regel keine sogenannten Preisgleitklauseln, die es erlauben würden, die Preise auf Basis der vertraglichen Regelungen anzupassen. Ohne eine Änderung des Leistungsumfangs ist der vereinbarte Preis daher verbindlich. Es gilt sowohl für Einheits- als auch für Pauschalpreise der Grundsatz: Festpreis bleibt Festpreis.

Was gilt, wenn Preise unter Vorbehalt vereinbart wurden?

Das Risiko, dass sich die Grundlagen für die Preisermittlung nach Vertragsabschluss ändern, trägt grundsätzlich der Auftragnehmer. Durch Preisvorbehalte könnte er dieses Risiko begrenzen. Auftraggeber sollten beim Abschluss von Nachträgen aufpassen, da Auftragnehmer häufig versuchen, solche Preisvorbehalte in ihren Nachtragsangeboten in das Vertragsverhältnis einzuführen.

Können Betriebe den Vertrag anderweitig nachträglich noch anpassen?

Ohne eine entsprechende vertragliche Regelung können Auftragnehmer eine Preisanpassung nur nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) verlangen. Da es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt, sind die Hürden entsprechend hoch. Auch hier kommt es auf den Einzelfall an. Ob die aktuellen Preissteigerungen Anlass bieten, von einer Störung der Geschäftsgrundlage auszugehen, ist bisher nicht höchstrichterlich entschieden.

Welche Voraussetzungen müssten denn grundsätzlich erfüllt sein, damit von einer Störung der Geschäftsgrundlage ausgegangen werden kann?

Eine Anpassung des ursprünglichen Vertrages kann der Auftragnehmer nur dann verlangen, wenn sich die Änderung auf solche Kalkulationselemente bezieht, die nach den Vorstellungen beider Parteien oder jedenfalls erkennbar einer Partei zur Geschäftsgrundlage gemacht worden sind. Bei Verträgen, die lange vor Beginn dieses Jahres abgeschlossen worden sind, kann man daran zweifeln. Zudem darf es sich nicht um ein Risiko handeln, das laut Vertrag explizit eine Partei übernommen hat. Bei der Bewertung, ob eine Vertragsanpassung verlangt werden kann, ist der gesamte Vertrag zu betrachten. Eine derart schwerwiegende, nicht mehr zumutbare Belastung für den Auftragnehmer kann beispielsweise ausscheiden, wenn die von der Verteuerung betroffenen Baumaterialien nur einen geringen Anteil am Gesamtvolumen ausmachen.

Wie sichern sich Betriebe bei Neuverträgen ab?

Aktuell fordern Auftragnehmer bei Vertragsverhandlungen in den allermeisten Fällen die Vereinbarung einer Preisgleitklausel. Auftraggeber sind allerdings nicht verpflichtet, sich darauf einzulassen. Dies gilt grundsätzlich auch im Rahmen von Vergabeverfahren. Ob der Auftraggeber dem Wunsch des potenziellen Auftragnehmers nach einer Preisgleitklausel nachkommt, ist einzelfallabhängig. Ein stichhaltiges Argument gegen eine solche Klausel kann beispielsweise eine relativ kurze Bauzeit sein.

Wie könnte eine solche Preisgleitklausel aussehen?

In der Praxis weit verbreitet sind Stoffpreisgleitklauseln, bei denen die Parteien konkret bestimmen, für welche Baumaterialien die Klausel greift und wie die Preisberechnung genau erfolgt. Denkbar ist auch eine Indexierung auf Basis eines genau festgelegten Indizes des Statistischen Bundesamtes. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass bei einer Indexierung des Gesamtpreises gegebenenfalls auch Preisbestandteile erfasst werden, die von der konkreten Baupreissteigerung nicht betroffen sind. Darüber hinaus können auch kombinierte Regelung vereinbart werden. Denkbar ist z. B., dass der Auftragnehmer bis zu einer bestimmten Schwelle die Verteuerung trägt und erst bei Überschreiten dieses Grenzwertes die Preisgleitklausel greift. Damit die Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer gleichermaßen abgebildet werden, sollten Preisgleitklauseln nicht nur für den Fall einer Preiserhöhung, sondern auch für den Fall einer Preissenkung vereinbart werden. fre

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