Leitlinien für Unternehmerfamilien Familienverfassung: Lohnt sich das?

Das Handwerk ist geprägt von familiengeführten Betrieben. Eine Familienverfassung kann die Leitlinien für das Miteinander zwischen den Angehörigen und die Werte des Betriebs beschreiben. Über die Vorteile eines solchen Regelwerks und typische Inhalte.

Mit einer Familienverfassung kann sich eine Unternehmerfamilie ein Gerüst an verbindlichen Regeln erarbeiten. - © s-motive - stock.adobe.com

Viele Handwerksbetriebe suchen den Nachfolger in der Familie. Im Handwerk übernehmen mehr Kinder die Betriebe von den Eltern als in anderen Wirtschaftsbereichen. In der Hälfte der Fälle steigen Söhne, Töchter oder andere Angehörige als Betriebsnachfolger in das familieneigene Unternehmen ein. Wenn ein Generationswechsel ansteht – sei es der erste, zweite oder dritte – kann eine vorher erstellte Familienverfassung helfen, den Übergang ohne große Konflikte zu meistern.

Familienverfassung kurz erklärt

Eine Familienverfassung ist ein Regelwerk, das sich eine Unternehmerfamilie gibt. Sie enthält Leitlinien für das unternehmerische Miteinander. "Dabei gibt es überhaupt gar keine Vorgaben. Die Unternehmerfamilie kann hineinschreiben, was immer sie für wichtig erachtet", erklärt die Nachfolgeberaterin Carola Jungwirth. Ganz wichtig sei dafür laut der Rechtsanwältin und Coachin ein familienunternehmerisches Selbstverständnis. "Darauf bauen die Familien- und Unternehmenswerte auf, die wiederum die Grundlage für eine gemeinsame Vision bilden."

Die typischen Inhalte: Familienführung

Aufteilen lässt sich eine Familienverfassung typischerweise in Themen der Familienführung und Themen der Unternehmensführung. In der Familienführung wird in der Regel festgeschrieben, wie Mitglieder der Familie mit Konflikten umgehen, wie sie miteinander kommunizieren und welche Institutionen sie einrichten wollen, damit sie in Kontakt bleiben.

"Zentral ist die Frage, wer die Familienverfassung mitverfasst", sagt Carola Jungwirth. Familienmitglieder, die operativ im Betrieb tätig sind oder eine Gesellschafterstellung haben, sollten auf jeden Fall anwesend sein. Je nach Familiengröße bietet es sich an, zusätzlich Mitglieder, die keine Gesellschafter oder nicht im Unternehmen tätig sind, daran teilhaben zu lassen. Neben den Kindern können bei einem kleinen Familienkreis die Ehepartner dazuzählen. So können sich diese ein Stück weit mehr mit dem Unternehmen identifizieren, auch wenn sie nicht unmittelbar beteiligt sind. Dementsprechend bietet sich eine Familienverfassung genauso für Handwerksbetriebe mit einer sehr kleinen Familie an. Sobald es zwei Familienstämme gibt, also mindestens zwei Kinder existieren, die in Zukunft den Betrieb übernehmen könnten, lohnt es sich ein Regelwerk aufzustellen.

Carola Jungwirth
Carola Jungwirth berät Familienunternehmen in Fragen zur Betriebsnachfolge. - © Daniela Möllenhoff

Die typischen Inhalte: Unternehmensführung

Alles, was die Unternehmerfamilie meint, zum Betrieb regeln zu wollen, gehört zur Unternehmensführung. Laut Carola Jungwirth geht es dabei insbesondere um die Inhaber-Strategie: "Es sollte geklärt werden, ob der Betrieb in Familienhand bleiben soll oder familienfremde Personen als Nachfolger bzw. Inhaber in Frage kommen dürfen. Wenn mehrere Familienmitglieder im Unternehmen engagiert sind, ist es außerdem wichtig, Möglichkeiten des Ausstiegs aus dem Familienunternehmen miteinander zu klären."

Daneben legt die Verfassung unter anderem die Ziele der Familie mit Blick auf die Zukunft des Unternehmens fest und definiert die grundlegenden Werte, nach denen es geführt werden soll. Klassische Werte von Familienunternehmen sind zum Beispiel Verbindlichkeit, Verantwortungsbewusstsein oder nachhaltiges Wirtschaften. Soziales Engagement und soziale Verantwortung sind ebenso häufig festgehaltene Werte, die typisch für familiengeführte Unternehmen sind. Auch die Rollen der einzelnen Personen im Unternehmen werden meist festgelegt. Geschrieben wird die Verfassung in einer für alle verständlichen Ausdrucksweise. Juristen- oder Beamtensprache sind hier weniger gefragt.

Die Vorteile einer Familienverfassung

Die in der Familienverfassung aufgestellten Grundsätze sind dazu bestimmt, die Familientraditionen über Generationen hinweg zu verankern. Sie ist nur moralisch bindend, nicht rechtlich. Dies ermöglicht es den Familienmitgliedern, ohne Druck über ihre Ziele, Werte und Rollen zu sprechen. So können fehlgeleitete Erwartungen aufgearbeitet oder unangenehme Wahrheiten ausgesprochen werden. Zudem sollte sich der Familienkreis darum bemühen, die Verfassung wirtschaftlich und rechtlich ausgewogen zu gestalten, sodass alle Beteiligten damit leben können. Offen zu kommunizieren schafft Vertrauen, zeigt Perspektiven für die nächste Generation auf und bindet talentierte Menschen, die sich sonst vielleicht anderweitig orientiert hätten.

Während die Verfassung erarbeitet wird, können zum Beispiel Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Betriebsnachfolge konstruktiv geführt und geklärt werden. Eine Nachfolge beziehungsweise ein Generationswechsel kann für eine Unternehmerfamilie sehr heikel sein. Da können Emotionen hochkommen, wenn es mehrere Kinder gibt, die gerne den Betrieb übernehmen möchten. Wenn im Vorfeld schon objektive Kriterien festgeschrieben wurden, die erfüllt sein müssen, um die Nachfolge antreten zu können, wissen alle Nachfolgenden genau woran sie sind. "Wenn es beispielsweise heißt, dass man eine akademische Ausbildung braucht und nur ein Kind diese vorweisen kann, kann man dem anderen Kind sagen, dass es die Anforderungskriterien noch nicht erfüllt", erläutert Carola Jungwirth. "Diese Entscheidung ist dann deutlich objektiver, hilft Emotionen rauszunehmen und für ein harmonisches Miteinander zu sorgen."

Der Weg ist das Ziel

Deshalb ist vor allem der Weg hin zur Familienverfassung bereits hilfreich. "Es ist eine Reise, die durchlaufen wird. Manche Themen besprechen sich ganz schnell ohne Konflikte, manche Themen dauern länger. Alles, was die Familie gemeinsam bespricht und erlebt, geht unmittelbar mit in die Verfassung rein", erklärt die Nachfolgeberaterin. Der gemeinsam durchlebte Prozess sensibilisiert jedes Familienmitglied für die Belange des Unternehmens und fördert die Akzeptanz der gemeinsamen Grundwerte. Die erlangte Einigkeit kann den Zusammenhalt und die emotionale Verbundenheit der Familie festigen und die Identifikation mit dem Familienunternehmen stärken.

Der passende Zeitpunkt für eine Familienverfassung

Die Zeit, die es benötigt, eine Familienverfassung zu erstellen, unterscheidet sich bei jedem Betrieb. "Eine Familienverfassung ist ein Prozess, kein Projekt. Die Dauer hängt davon ab, wie die Anfangssituation der Familie aussieht und wie lange sie braucht zusammen zu einer Meinung zu finden", sagt Carola Jungwirth.

Der beste Zeitpunkt, um eine Familienverfassung zu erstellen, ist dann, wenn der Generationswechsel nicht unmittelbar bevorsteht. Denn dann wäre diese Regelung bereits notwendig und dass eine oder andere Familienmitglied verfolgt vielleicht schon bestimmte Interessen. "Deswegen ist es besser, wenn die Familie weiß, dass die Nachfolge in einigen Jahren ansteht und sich präventiv darauf vorbereitet. Oder die Familie hat die Nachfolge gerade hinter sich und erkennt, dass beim nächsten Mal eine Verfassung helfen wird", erläutert Jungwirth.

Alleine oder mit Berater

Beim Erstellen der Familienverfassung holen sich die meisten Familienunternehmen Unterstützung von einem außenstehenden Berater. Um alle Anliegen und Vorstellungen der einzelnen Familienmitglieder objektiv in die Familienverfassung einfließen zu lassen, gilt es, die richtigen Fragen zu stellen und auch Tabuthemen und Stolpersteine anzusprechen. "Es braucht eine Moderation, die Struktur in den Prozess bringt. Zumal eine Familienverfassung etwas ist, das eine Unternehmerfamilie in der Regel einmal in ihrer Generation macht. Es gibt selten eine Referenz-Erfahrung innerhalb des Unternehmens oder der Familie", führt die Nachfolgeberaterin aus. Deshalb sollte die Verfassung nicht selbst erarbeitet, sondern professionell begleitet und moderiert werden. Es sollte als eine Investition in die Familie und deren Frieden verstanden werden. Es ist nicht irgendein Vertrag, sondern ein Werk, dass das Miteinander deutlich verbessert, wenn danach gehandelt wird. Auch für Handwerksunternehmen mit einem sehr kleinen Familienkreis lohnt sich der finanzielle und zeitliche Aufwand, besonders wenn es irgendwann um die Nachfolge und damit um das Fortbestehen geht.

Familienstrategie Buch
© d.jw Coaching & Beratung

Im Buch "Familienstrategie erleben und gestalten" behandeln Autoren aus unterschiedlichen Fachgebieten praxisrelevante Themen für Familienunternehmen. Carola Jungwirth berichtet darin über ihre eigenen Erfahrungen mit einer Familienverfassung.