Orgelpfeifen, Klaviere, Metallblasinstrumente, historische Bleiglasfenster, Anschlüsse von Schornsteinen auf Dächern – für all dies verwenden Handwerker standardmäßig Blei. Bald könnten sie Zulassungen dafür benötigen. Die Europapolitik diskutiert über ein Blei-Verbot. Alternativen für den Werkstoff gibt es allerdings kaum. Das Handwerk drängt auf Ausnahmen. Ein Blick in betroffene Branchen.

Blei ist ein hochgiftiges Schwermetall, das sich im Organismus anreichern kann. Doch Blei gilt auch als robust und dennoch besonders gut formbar. Es besitzt eine gute elektrische Leitfähigkeit. Nicht nur in der Elektrotechnik und im Automobilsektor ist Blei viel verwendet und häufig im Einsatz. In einigen Handwerksbranchen ist es bisher kaum zu ersetzen – ob im Musikinstrumentenbau, in der Restauration historischer Gebäude, beim Bau von Strahlenschutztüren für den medizinischen Bereich oder wenn Dachdecker Schornsteine, Gauben oder Dachfenster mit dem Dach verbinden.
So ist es kein Wunder, dass das aktuell diskutierte Blei-Verbot in einigen Handwerksbranchen für Unverständnis sorgt. Zwar hat die handwerkliche Nutzung mit einem Tonnenvolumen von etwa sechs Prozent eher einen geringen Anteil am gesamten Nutzungsvolumen in Europa im Vergleich zur Industrie. Doch ist Blei ein Werkstoff mit sehr vielen Einsatzbereichen im Handwerk – und teilweise unverzichtbar und nicht durch andere Werkstoffe substituierbar.
Blei-Verbot: Ist Blei bald zulassungspflichtig?
Am 12. April hat die Europäische Chemikalienagentur ECHA der Europäischen Kommission empfohlen, Blei und sieben weitere Stoffe in Anhang XIV der REACH-Verordnung aufzunehmen. Schon seit einigen Jahren ist dies Thema, doch bislang wurde eine Aufnahme von Blei in die REACH-Verordnung immer wieder vertagt. Nun startet die Debatte von Neuem. Steht Blei allerdings in der genannten Liste, wäre es zulassungspflichtig. Das käme nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) einem Blei-Verbot gleich.
"Es wäre das Aus für den Orgelbau", sagt Jürgen Lutz, der Vorsitzende des Bunds Deutscher Orgelbaumeister (BDO). Denn die Orgelpfeifen sind aus Zinn-Blei-Legierungen mit unterschiedlichen Anteilen an Blei. Kein anderes Material lässt sich so gut formen wie Blei und dabei so exakt bearbeiten, dass jede Pfeifengattung einer Orgel einen anderen Ton mit einer ganz eigenen Klangfarbe erzeugt. "Wir bekommen große gegossene Platten, die wir dann rollen und verlöten", berichtet Lutz. Diese Arbeiten erfolgen seiner Aussage nach immer mit Handschuhen und Masken. Zusätzlich nutze man eine automatische Absaugung. "Der Arbeitsschutz ist wichtig, und er wird auch strengstens eingehalten. In den vergangenen 20 Jahren gab es nie einen Fall, in dem die BG ETEM Probleme registriert hat", sagt der Branchenvorsitzende.
Blei-Verbot: Aus für den Orgelbau?
Schon im vergangenen Jahr hat der Bund Deutscher Orgelbaumeister eine ausführliche Stellungnahme veröffentlicht, die die Folgen eines Blei-Verbots für die Branche zusammenfasst. Darin wird auch beschrieben, dass nur die Orgelbauer selbst bzw. die Pfeifenmacher in Kontakt mit den bleihaltigen Pfeifen kommen – nicht etwa diejenigen, die später die Orgel spielen. In der Ausbildung spezialisieren sich die Azubis nach der Zwischenprüfung entweder auf den Orgelbau oder das Pfeifenmachen. "Die bleihaltigen Orgelteile sind keiner Abnutzung unterworfen und sind nicht frei zugänglich. Da der Spielwind für die Pfeifen in der Orgel von einem elektrischen Gebläsemotor und nicht vom Musiker erzeugt wird, hat der Musiker während des Orgelspiels keinerlei Haut- oder Mundkontakt (Speichel) mit bleihaltigen Pfeifen oder anderen bleihaltigen Orgelteilen. Der "Verbraucher", ob im Sinne des Musikers oder des Zuhörers, hat also keinerlei direkten Kontakt zu Blei oder seinen Legierungen", heißt es in der Stellungnahme.

Komme es zu einer ausnahmslosen Aufnahme von Blei in den Anhang XIV der REACH-Verordnung, müssten die durchweg handwerklich strukturierten Orgelbaubetriebe für die weitere Verwendung der diversen Legierungen entsprechende Zulassungsanträge ausarbeiten. Das wäre für die kleinen Unternehmen weder finanziell noch zeitlich zu leisten, schreibt der BDO. Er plädiert dafür, dass die EU-Kommission ihren Standpunkt aus dem Jahr 2006 beibehält. Damals hat sie formuliert, dass Pfeifenorgeln nicht in den Anwendungsbereich von strengeren Chemikalienvorgaben fallen.
"Uns hat die Nachricht zur neuen Empfehlung der ECHA unerwartet erreicht. Jetzt werden Gespräche geführt und wir hoffen, dass wir noch in diesem Sommer eine Klarstellung erreichen", sagt Jürgen Lutz zum aktuellen Stand der politischen Verhandlung. So stark betroffen wie seine Branche – sowohl was den Neubau als auch was Reparaturen und Wartungsarbeiten betrifft – ist wohl keine andere. Dennoch gibt es zahlreiche weitere Einsatzgebiete im Handwerk, auf die die EU-Entscheidung starken Einfluss hat.
Blei auf Dächern: Nachhaltiger als Kunststoff
So ist Blei auch im Dachdeckerhandwerk noch ein viel genutztes Material. Auch hier sind die Eigenschaften, die Blei bietet, von Vorteil – vor allem auch seine Langlebigkeit, und dass es sich bei Wind und Wetter kaum abnutzt. So beschreibt der Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH), der ebenfalls eine ausführliche Stellungnahme zum Thema veröffentlicht hat, es als wenig nachhaltig, wenn man Blei auf den Dächern nun beispielsweise durch Kunststoff ersetzen müsse. Denn das sei eine Alternative zu Blei.
Wortwörtlich heißt es vom ZVDH: "Für Blei existieren bereits Ersatzprodukte, jedoch muss im selben Satz auch erwähnt werden, dass es sich aus unserer Sicht um keinen gleichwertigen Ersatz handelt." Da Bleche wie Zink, Kupfer oder Aluminium – etwa für An- und Abschlüsse von Dächern – in ihrer Formbarkeit stark eingeschränkt sind, bestehen die meisten Ersatzprodukte aus Kunststoff. Doch im Einsatz auf dem Dach ist Kunststoff ständig der Witterung ausgesetzt. "Die UV-Strahlung setzt den Kunststoffen stark zu und führt zu Versprödung, Weichmacherwanderung und vielleicht sogar zur Ausschwemmung von Mikroplastik und schlussendlich zur Zersetzung des Produktes", beschreibt der Dachdeckerverband die Nachteile. Weiter führt er aus, dass Kunststoff viel leichter sei als Blei und daher mit den Dachziegeln verklebt werden müsse. Zur Folge habe dies, dass im Falle einer anstehenden Entsorgung und Wiederverwendung keine sortenreine Trennung mehr möglich ist.
Auch das Dachdeckerhandwerk setzt sich dafür ein, dass Blei nicht auf der REACH-Liste landet. Falls es doch geschehe, dass Blei ein zulassungspflichtiger Stoff wird, plädiert der ZVDH dafür, eine Ausnahme für die handwerkliche Nutzung vorzusehen. In der Stellungnahme führt der Verband neben den Vorteilen von Blei als Werkstoff für Dachdeckerarbeiten auch grundsätzliche Materialeigenschaften als Argument dafür an, Blei nicht zu ersetzen, weil Zulassungsverfahren zu aufwendig werden.
Blei kann man gut recyceln
Da Blei vergleichsweise wartungsarm eingesetzt werden könne und zudem witterungsbeständig sei, mache den Werkstoff auch für den Denkmalschutz unersetzlich. Dabei muss man nur an Bleiverglasungen oder Bleidächer von Kirchtürmen denken. Außerdem könne Blei unbegrenzt recycelt werden – egal wie oft und lange es genutzt wurde. "Die durch das Dachdeckerhandwerk verbauten Bleierzeugnisse sind sortenrein zurückzubauen und eignen sich deswegen hervorragend für einen Recyclingprozess", heißt es im Schreiben des Verbands. Diese Eigenschaft kombiniert mit der Langlebigkeit des Stoffes mache Blei zu einem der nachhaltigsten Produkte im Dachdeckerhandwerk. Risiken für die Umwelt sieht der ZVDH ausschließlich dann, wenn komplette Dacheindeckungen aus Blei bestehen. Dann könne es zu einer stofflichen Belastung des Abwassers kommen. Doch diese Art von Dächern werden kaum mehr gebaut oder im Rahmen von Sanierungen erhalten.
Erstellt man eine Risiko-Nutzen-Analyse, so schneidet Blei aus Sicht des Dachdeckerhandwerk durchaus gut ab. "Dem Risiko durch die Verwendung von Blei steht auch die lange Nutzungsdauer mit darauffolgender leichter Wiederverwendung gegenüber." Hinsichtlich des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten der Branche sieht der ZVDH keine Probleme. Der Umgang mit Blei sei schon bei den Lehrlingen gut geschult und lange eingeübt. Für den Verbraucher ist das Blei, das auf Dächern verbaut ist, nach Angaben des Verbands vollkommen ungefährlich, "da er mit diesem Werkstoff bei üblicher Nutzung nicht in Berührung kommt".
Blei-Verbot: Handwerk plädiert für Ausnahmen
Da die mögliche Aufnahme von Blei in den Anhang der REACH-Verordnung derart deutliche Folgen für das Handwerk hätte, hat sich – neben unterschiedlichen Handwerksbranchen und auch einzelnen Unternehmen – auch der ZDH mit einem Schreiben an die EU-Politik gewandt. Darin genannt ist eine ganze Liste mit Einsatzgebieten von Blei als handwerklicher Werkstoff – unter anderem:
- Herstellung von Zinn-Bleilegierungen für Metallpfeifen im Orgelbau, der zum immateriellen Kulturerbe gehört
- Weichlote zum Verbinden einzelner Bauteile im Blasinstrumentenbau
- Ausgleichsgewichte im Klavierbau
- Bleisilikate zum Ersatz historischer, farbiger Kachelofenfliesen
- Bedachung historischer Gebäude und von Sakralbauten, auch solche mit Kulturerbestatus
- Herstellung, Restaurierung und Reparatur von Bleiverglasung, z. B. für Kirchenfenster
- Verbindungen, Abdeckungen und Verschlüsse bei stark geformten und wetterempfindlichen Bauteilen (Wassereintrag) sowohl in der restaurativen Arbeit als auch bei Neuherstellungen
- Strahlenschutztüren und -tore
- Zinnfiguren
Eine Zulassungspflicht von Blei wäre laut ZDH einem Blei-Verbot gleichzusetzen, da der Aufwand von Zulassungsverfahren extrem hoch ist. Noch ist nicht entschieden, ob die Europäische Kommission der Empfehlung der ECHA folgt – und noch steht auch kein Zeitplan für die Entscheidung fest. In der Vergangenheit hat die Kommission sich bereits gegen die Aufnahme von Blei in die genannte Liste entschieden. So hofft der ZDH noch immer, dass es dabei bleibt. „Wir sehen außerdem keine Notwendigkeit, da Handwerksbetriebe, die mit Blei umgehen, geschult sind im Umgang mit dem Stoff“, teilt der ZDH auf Anfrage der DHZ mit und verweist auf eine weitere Stellungnahme aus dem Handwerk: die der Musikinstrumentenbauer.
Übergangsfrist für ein Blei-Verbot: 18 Monate
So legt auch diese Branche öffentlich dar, in welchem Maße und mit welchem Risiko Blei in vielen Musikinstrumenten verwendet wird – und unerlässlich ist. In der Stellungnahme heißt es aber auch, dass in den jährlich durchgeführten betriebsärztlichen Untersuchungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und in regelmäßigen Untersuchungen der Arbeitsplätze und Arbeitsgänge durch die Berufsgenossenschaft keine Auffälligkeiten festgestellt wurden. Auch hier wird kein Grund gesehen, mit dem Werkstoff Blei "strenger" umzugehen.
Sollte es künftig eine Entscheidung dafür geben, greift nach Angaben des ZDH noch eine Übergangsfrist. "Über die Dauer muss die Kommission entscheiden, aber üblicherweise liegt sie bei 18 Monaten", so der ZDH. Erfolgt dieses sogenannte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, müssen Unternehmen dann Anträge auf Ausnahme bei der Europäischen Kommission stellen, wenn sie Blei weiterhin verwenden wollen. Das sei aber extrem aufwändig und kostenintensiv. Deshalb setzt sich der ZDH nach eigenen Angaben auch dafür ein, dass mit der Aufnahme von Blei im Anhang der Chemikalienverordnung auch klare Ausnahmeregelungen für die Verwendung im gesamten Handwerk festgelegt werden.