Verbraucher kaufen weniger bei handwerklichen Bäckern, Metzgern und Brauereien ein, als noch vor den jüngsten Krisen. Damit spitzt sich die Lage für viele Betriebe weiter zu, die parallel mehrere existenzielle Herausforderungen bewältigen müssen.

Die Inflation in Deutschland ist sprunghaft gestiegen und erreichte 2022 den höchsten Stand seit der Ölkrise in den 1970er-Jahren. Die Verbraucher spüren das im Geldbeutel und sparen zuerst bei Lebensmitteln, wie eine Studie des Verbraucherzentrale Bundesverbandes zeigt. Demnach geben 61 Prozent der Bürger weniger für Brot, Fleisch oder Bier aus. In keinem anderen Ausgabenbereich wird mehr gespart.
Dieses Kaufverhalten trifft Bäcker, Metzger oder Brauer, die keine Preiskämpfe mit der Industrie führen wollen und können. Die Zurückhaltung des Kunden an der Fleischtheke ist jedoch längst nicht die einzige Herausforderung, vor der das Lebensmittelhandwerk steht. Die Branchenvertreter berichten von einem ganz Sack voller Probleme, die die Betriebe mit sich herumschleppen. Folgende Belastungen stehen im Mittelpunkt.
Hohe Energiekosten
Die Produktion von Lebensmitteln ist besonders stromintensiv. Deshalb treffen die Preissteigerungen bei Strom und Gas die kleinen und mittelständischen Unternehmen noch stärker als viele andere Branchen.
So berichtet etwa Gerhard Schenk, Präsident des Deutschen Konditorenbundes, dass nach dem Beginn des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine die Energiekosten mancher Betriebe um bis zu 600 Prozent gestiegen sind. Einzelne Rechnungen wären von 2.500 Euro auf bis zu 14.000 Euro in die Höhe geschossen.
Die Kostenexplosionen und die damit verbundene Unsicherheit über die weitere Preisentwicklung führten dazu, dass Betriebe Kundenaufträge nicht mehr seriös kalkulieren konnten. "Konditoren mussten sich entscheiden, ob sie ins Risiko gehen ein Angebot abzugeben, bei dem sie am Ende vielleicht draufzahlen oder ob sie besser erst gar keine Aufträge annehmen", so Schenk.
Stefan Stang, Hauptgeschäftsführer des Verbands Private Brauereien Bayern bestätigt, dass "die steigenden Energiekosten den Betrieben enorm zusetzen".
Teure Rohstoffe
Zu kämpfen hat das Lebensmittelhandwerk weiterhin mit starken Preissteigerungen bei den Rohstoffen. "Die Kosten für Braurohstoffe, Kohlensäure, Flaschen und Fässer, Kronkorken, Etiketten und weitere die Bierproduktion betreffende Güter sind heute deutlich teurer als noch im Jahr 2021. Dies setzt insbesondere kleine und mittelständische Brauereien massiv unter Druck", betont Stang.
Auch Michael Wippler, Präsident des Zentralverbandes Deutsches Bäckerhandwerk, sieht "wahnsinnige Preissprünge" unter denen die Bäckereien zu leiden haben. "Früher waren schon Preissteigerungen bei Lieferanten von zehn Prozent exorbitant. Jetzt haben wir eine Verdoppelung der Einkaufspreise für Mehl und Butter erlebt. Das ist eine riesige Herausforderung."
Die Mühlen treffen die hochpreisigen Rohstoffe ebenfalls. "Getreide ist in der Ukraine-Krise doppelt so teuer geworden. Der Preis pro Tonne Weizen stieg von 200 Euro auf zeitweise über 400 Euro. Aktuell hat sich die Situation etwas entspannt mit einem Preis von rund 300 Euro. Das ist aber immer noch deutlich mehr als vor dem Krieg", sagt Peter Haarbeck, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Mühlen.
Überbordende Bürokratie
Nicht verbessert, sondern noch verschlimmert haben sich aus Sicht der Verbände in den vergangenen Jahren die bürokratischen Hürden für Betriebe. "Die Belastung wird immer drastischer. Verfahren und Auflagen werden nicht einfacher und es kommen immer neue Vorgaben hinzu. Das sind nicht nur Gesetze, sondern auch Normen und Anforderungen von Geschäftskunden, die sich zu Umwelt-, Nachhaltigkeits- oder auch Menschenrechtsthemen absichern wollen", berichtet der Mühlen-Geschäftsführer.
Bäcker-Präsident Wippler sieht die Situation ähnlich: "Was mit den Bürokratieentlastungsgesetzen entlastet wurde, ist schon wieder um ein Vielfaches durch neue Vorschriften und Dokumentationspflichten überfrachtet". Er ergänzt: "Mit der Bürokratie ist es wie mit dem Kopf der Hydra. Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei neue nach."
"Mit der Bürokratie ist es wie mit dem Kopf der Hydra. Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei neue nach."
Michael Wippler, Bäckerpräsident
Steigende Lohnkosten
Zum 1. Oktober 2022 ist der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland auf zwölf Euro gestiegen. Das allein ist jedoch nicht das Problem für die Lebensmittelhandwerke. Die meisten Betriebe würden ohnehin höhere Löhne zahlen, um am leergefegten Arbeitsmarkt überhaupt noch Personal zu bekommen, berichten die Verbände einstimmig. Der höhere Mindestlohn setze jedoch eine Spirale in Gang, sodass gut ausgebildete und erfahrene langjährige Mitarbeiter entsprechend auch höhere Vergütungen erwarten, um den Lohnabstand zu den geringer Qualifizierten zu halten. Die Folge sind insgesamt stark ansteigende Lohnkosten im Lebensmittelhandwerk.
"Wer aktuell gute Mitarbeiter findet, der ist gerne bereit, auch gute Löhne zu zahlen. Für zwölf Euro kommen die Fleischer schon lange keine qualifizierten Mitarbeiter mehr. Jede Steigerung der Mindestlöhne führt jedoch zu weiteren Diskussionen um generelle Lohnerhöhungen. Dies wird die Inflation nicht senken", betont Herbert Dohrmann, Präsident des Deutschen Fleischer-Verbandes. Dem pflichtet der Bäcker-Präsident bei: "Die Schmerzgrenze ist erreicht", so Wippler.
Mangel an Personal
Die extrem gestiegenen Lohnkosten sind allerdings für viele Betriebe nicht einmal das Hauptproblem im Personalbereich. Stärker wiegt, dass Handwerksunternehmen überhaupt keine Mitarbeiter mehr finden. "Es ist extrem schwierig geworden Personal zu bekommen und auch zu halten. Gerade in unserer Branche, mit dem saisonal stark schwankenden Bedarf an Personal. Aber man kann einen solchen Betrieb auf Dauer nicht allein führen. Das wird zu weiteren Schließungen von Eisdielen führen", sagt Stefano Bortolot, Präsident der Union italienischer Speiseeishersteller.
Auch Konditor-Präsident Gerhard Schenk sieht eine sehr angespannte Situation: "Qualifizierte Fachkräfte zu finden und Nachwuchs zu generieren, ist vor allem im Verkauf ein Problem. Im Kernberuf sieht es etwas besser aus, aber es gibt auch hier offene Stellen für Konditoren."
Gründer und Nachfolger fehlen
Mit Blick auf die Zukunft bereitet den Lebensmittelgewerken nicht zuletzt das rückläufige Interesse an Existenzgründungen und Betriebsübernahmen Sorgen. "Heute eine Brauerei zu gründen, ist sicherlich kein leichtes Unterfangen, da der Markt als gesättigt bezeichnet werden kann", sagt Brauer-Chef Stefan Stang. Aber er fügt hinzu: "Mit der richtigen Strategie und Unternehmensausrichtung sowie der nötigen Authentizität lässt sich auch in schwierigen Zeiten eine Existenz aufbauen."
Dem pflichtet Fleischer-Präsident Dohrmann bei. "Fleischereien, die an der richtigen Stelle mit dem richtigen Konzept gegründet werden, können sehr gut funktionieren. Es braucht jedoch viel Engagement und Fleiß." Stefano Bortolot von Verband der Speiseeishersteller bemerkt: "Die junge Generation ist vorsichtiger geworden, was die Selbstständigkeit betrifft. Man ist bereit weniger Risiko einzugehen und auch die Arbeitshaltung und Philosophie haben sich geändert. Unseren Beruf lässt sich aber nur mit Lust und Leidenschaft erfolgreich ausüben.“
Die Stimmen aus dem Lebensmittelhandwerk zeugen von einer deutlich angespannten Situation. Die Belastungen wiegen stark, doch sie spiegeln nur eine Momentaufnahme wider. Auch in Zukunft können sich Handwerksbetriebe auf ihre Stärken verlassen, mit denen die meisten erfolgreich durch diese Krise manövrieren dürften.