Ernährungswissenschaftler Leif-Alexander Garbe erwartet, dass Insekten im Essen in Zukunft auf eine größere Nachfrage stoßen werden. Skeptischer ist er hingegen beim Verzehr von Fleisch aus dem Labor.

Herr Garbe, die Inflation ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Wie wirkt sich das auf unser Ernährungsverhalten aus?
Zwar haben viele Menschen ein Gesundheitsbewusstsein und denken mehr über ihre Ernährung nach als früher, aber das Geld ist letztlich immer noch ein entscheidender Faktor beim Einkauf. Menschen mit geringen Einkommen neigen deshalb dazu, die Gesundheitsaspekte von Lebensmitteln auszublenden.
Wovon hängt die Kaufentscheidung noch ab?
Viele Verbraucher achten auf die Einfachheit der Zubereitung von Speisen oder greifen direkt zum Fast Food. Sie sind immer weniger dazu in der Lage, zu Hause selbst hochwertiges Essen zuzubereiten. Hier spielt auch der Faktor Zeit eine Rolle. In vielen Familien sind auch die Frauen heute berufstätig und haben keine Zeit, Stunden in der Küche zu verbringen.
Welche Gesundheitsrisiken sehen Sie bei dieser Art der Ernährung?
Fertigprodukte und Fast Food enthalten häufig viel Zucker und der ist in größeren Mengen bekanntlich ungesund. Wir sollten auch mit zu vielen Kohlenhydraten aufpassen. Weißmehl-Produkte und rotes Fleisch empfehle ich sehr maßvoll zu verzehren, aber ein kompletter Verzicht ist nicht notwendig.
Was sind gesunde Alternativen?
Proteinhaltige Produkte, Hülsenfrüchte und Nüsse sind eine gute Wahl. Alte Getreidesorten können verträglicher sein und Hafer ist für eine ausgewogene Ernährung ebenfalls empfehlenswert. Hafergetränke sind zudem ein guter Ersatz oder eine Ergänzung zur Kuhmilch.

Viele Lebensmittel tragen heute ein Bio-Siegel. Sind diese Produkte wirklich besser als konventionelle Erzeugnisse?
Bio ist nicht automatisch besser, aber die Kennzeichnung hat ihre Berechtigung. Dabei muss man zwischen dem Label der EU-Verordnung und höheren Standards wie etwa dem Demeter-Label differenzieren. Grundsätzlich geht es Tieren aus Bio-Haltung in der Regel besser. Bio-Lebensmittel sind zudem weniger Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt und enthalten weniger Rückstände. Andererseits können Schimmelpilze auf Bio-Produkten besser wachsen. Deshalb müssen die Hersteller solcher Lebensmittel ein Monitoring von Schimmelpilzgiften durchführen.
"Ich sehe keine Relevanz für Laborfleisch in den nächsten 20 Jahren. Zudem stellt sich die Frage, ob die Kunden ein solches Fleisch auch kaufen werden. Das Wort Labor hat für viele etwas Bedrohliches."
Sogenannte Superfoods wie Heidelbeeren oder Chiasamen finden ebenfalls einen zunehmenden Käuferkreis. Sind diese super gesund?
Diese Produkte können eine gesundheitsfördernde Wirkung haben, aber das ist nicht so einfach nachzuweisen. Nur wenn Hersteller die Wirkung mit umfassenden Studien wie bei einem Medikament wissenschaftlich belegen können, dürfen sie nach der Health-Claims-Verordnung der EU auch damit beim Kunden werben. Ich denke, beim Kauf solcher Produkte spielt auch der psychologische Faktor eine Rolle, sich etwas Gutes zu tun.
Forscher tüfteln derzeit an gezüchtetem Fleisch aus dem Labor. Meinen Sie, das ist eine Lösung für die Zukunft, um die Produktion klimafreundlicher zu machen?
Es ist beeindruckend, welche Fortschritte hier in den vergangenen Jahren erzielt wurden. Allerdings ist die Herstellung von Laborfleisch zurzeit immer noch sehr aufwendig und kostenintensiv. Bis diese Produkte den Massenmarkt erreichen, wird es noch einige Zeit dauern. Ich sehe keine Relevanz in den nächsten 20 Jahren. Zudem stellt sich die Frage, ob die Kunden ein solches Fleisch auch kaufen werden. Das Wort Labor hat für viele etwas Bedrohliches. Aus gesundheitlicher Sicht bietet es keinen Vorteil, da die Züchtung aus einer Tierzelle erfolgt. Es ist weder vegan noch vegetarisch. Hinsichtlich des Klimas haben wir durch eine gezieltere Fütterung und modernere Stallboxen zudem andere Möglichkeiten, etwa den Methan-Ausstoß von Kühen in der Umwelt zu reduzieren.
Die EU hat kürzlich Hausgrillen und Larven für die Lebensmittelverarbeitung zugelassen. Sind Insekten ein künftiger Ernährungstrend?
Insekten in Lebensmitteln haben Potenzial. Sie sind Proteinlieferanten und können durchaus eine gesundheitsfördernde Wirkung haben. Insekten sind zudem bereits in großer Zahl verfügbar und können kostengünstig verarbeitet werden. Allerdings sind wir den Verzehr nicht gewohnt und viele werden Berührungsängste haben. Es könnte noch eine Generation dauern, bis es sich durchsetzen wird.
Wo besteht weiteres Potenzial für die Ernährung der Zukunft?
Auf technologischer Ebene können wir noch viel erreichen. Neue, schonende Methoden machen es möglich, Lebensmittel so einzufrieren, dass keine Zellen kaputtgehen und beim Auftauen nichts matschig wird. Zudem können wir Hochdruckbehandlungen mit mehr als 1.000 bar durchführen, um empfindliche Produkte zu konservieren. Das ist ein großer Zukunftsmarkt.
Wie schätzen Sie die Rolle des Handwerks in der Lebensmittelversorgung der Zukunft ein?
Einen Markt für hochwertige und höherpreisige Produkte aus dem Handwerk wird es weiter geben. Besonders in Sachen Regionalität können Handwerker punkten.