Ob Tischler, Schlosser, Maler, Steinmetze oder Putzer und Stuckateure: Diese und viele andere Gewerke tragen zum Erhalt historischer Bausubstanz bei und erzielen dabei in Summe einen Milliardenumsatz.

Zukunft braucht Herkunft. Das Postulat des Philosophen Odo Marquardt könnte auch als Leitsatz für die Baukultur stehen. Ein Deutschland ohne Denkmale? Nicht vorstellbar. Dieses Erbe zu erhalten, entspricht einer Mammutaufgabe. Das Handwerk spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Gut instandgehaltene historische Gebäude gehören laut einer Umfrage der Zeit-Stiftung aus dem Jahr 2015 für 67 Prozent der Bevölkerung zur Lebensqualität. Wer heute durch Görlitz schlendert und die Stadt noch aus DDR-Zeiten kennt, wird das bestätigen.
Statt grauer Tristesse bestimmen restaurierte Bauwerke aus allen Stilepochen von der Romanik bis zum Historismus das farbenfrohe Stadtbild. Für den 2011 verstorbenen Kunsthistoriker Gottfried Kiesow galt Görlitz mit seinen rund 4.000 Bau- und Kulturdenkmalen als schönste Stadt Deutschlands.
Vergleich mit dem Gesundheitswesen
In seinem Standardwerk "Einführung in die Denkmalpflege" zieht Kiesow einen Vergleich zum Gesundheitswesen. Wie ein Patient benötige ein instandsetzungsbedürftiges Baudenkmal Anamnese, Untersuchung, Diagnose und Therapie – Aufgaben, die sich Architekten, Restauratoren, Denkmalpfleger und Handwerker teilen.
In Görlitz war die Therapie erfolgreich. Und Handwerker wie die Tischlermeisterin Erika Rothe sind stolz darauf, dabei mitgewirkt zu haben. Die Kastenfenster am Rathaus wurden in ihrem Betrieb so aufgearbeitet, dass die historische Optik der Fassade erhalten blieb, die Innenfenster aber mit Dichtungen und Wärmeschutzglas energetisch optimiert wurden. Restaurieren und modifizieren, nennt sie das. Als Restauratorin im Handwerk wägt sie bei jedem Auftrag aufs Neue ab, was unbedingt erhalten werden sollte und was an den Zeitgeist angepasst werden kann. "Heute will doch niemand mehr auf ein Plumpsklo gehen, auch wenn er in einem Denkmal wohnt", stellt Erika Rothe klar.
Die ehemalige Lehrerin hat 1986 der Schule den Rücken gekehrt und eine Tischlerlehre abgeschlossen, um in den von ihrem Urgroßvater gegründeten Handwerksbetrieb einzusteigen. Seit Anfang der 1990er-Jahre, inzwischen mit Meisterbrief in der Tasche, führt sie die Tischlerei unter dem Namen Erika Rothe-Püschner, eine Reminiszenz an den Firmengründer Robert Püschner. Heute gilt die Tischlerei mit zehn Mitarbeitern als Spezialist für den Erhalt der Ansichten von Baudenkmälern, den Nachbau historischer Bauelemente und die Restaurierung von Kirchen und Schlössern.
"Heute will doch niemand mehr auf ein Plumpsklo gehen, auch wenn er in einem Denkmal wohnt."
Erika Rothe, Tischlermeisterin
Für das Handwerk ist die Denkmalpflege ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. Der Zentralverband beziffert den jährlichen Umsatz in diesem Bereich auf 7,5 Milliarden Euro. Dabei würden die Maurer und Betonbauer, die Tischler und Metallbauer mit jeweils mehr als einer Milliarde Euro die größten Anteile erzielen, gefolgt von den Dachdeckern, Malern und Lackierern sowie Zimmerern mit mehr als 500 Millionen.
Der Bund spendiert für den Erhalt der rund 1,3 Millionen Denkmale in diesem Jahr 70 Millionen Euro – eine Rekordsumme, wie die Kulturstaatsministerin Monika Grütters betont. Die Gelder kämen vor allem kleinen und mittelständischen Bau- und Handwerksbetrieben in der Denkmalpflege zugute.
Sechs Gewerke unter einem Dach
Gemeint sind Unternehmen wie Fuchs+Girke. Mit Klempnern, Schlossern und Kunstschmieden, Malern und Vergoldern, Steinmetzen und Steinbildhauern, Putzern und Stuckateuren sowie Tischlern vereinigt das 1991 in Ottendorf-Okrilla gegründete Unternehmen sechs Gewerke unter einem Dach. Viele der rund 120 Mitarbeiter verfügen über eine sehr lange Berufserfahrung, einige waren schon beim ehemaligen VEB Denkmalpflege in Dresden beschäftigt."Damit bauen wir zwar auf einen sehr großen Erfahrungsschatz. Gleichzeitig haben wir aber auch einen relativ hohen Altersdurchschnitt von 44 Jahren", erklärt Geschäftsführer Thomas Stiegler. Der Gerüstbaumeister möchte deshalb vor allem die Jugend für die Denkmalpflege begeistern.
"Wir bauen auf einen großen Erfahrungsschatz, haben aber dafür einen hohen Altersdurchschnitt."
Thomas Stiegler, Gerüstbaumeister
Im Durchschnitt stellt das Unternehmen, das seit 2000 zur Werner-Gruppe in Fulda gehört, pro Jahr und Gewerk zwei Lehrlinge ein. Auf eine eigene Ausbildung können die im Denkmalschutz aktiven Betriebe gar nicht verzichten. Denn viele der Handgriffe und Materialen, die bei der Restaurierung unerlässlich sind, können in der Berufsschule oder überbetrieblichen Ausbildung gar nicht vermittelt werden. Deshalb lässt Fuchs+Girke bei seinem Engagement für den Berufsnachwuchs auch unter Corona-Bedingungen nicht nach. Für das nächste Lehrjahr konnten schon zehn Azubis gewonnen werden, freut sich Stiegler.
Retter für den Goldenen Reiter
Auf das Renommee von Fuchs+Girke baut auch das an Denkmalen reiche Dresden. Dort darf sich das Unternehmen über Wartungsaufträge um attraktive Sehenswürdigkeiten wie die Panther-Quadriga auf der Semper-Oper kümmern. Besonders viel Arbeit gibt es am Goldenen Reiter. Das Standbild von August dem Starken gilt als Wahrzeichen der sächsischen Landeshauptstadt. Es zieht aber nicht nur Touristen, sondern zunehmend auch Vandalismus an. Der jüngste Einsatz der Denkmalpfleger war Mitte Mai, nachdem sich ein Mann mit einem Winkelschleifer am Huf des Pferdes zu schaffen gemacht hatte. Der Übeltäter wurde von der Polizei gefasst, den Schaden beheben die Spezialisten von Fuchs+Girke.
In Görlitz war das Unternehmen an einem der wohl aufwändigsten Projekte beteiligt. Drei Jahrzehnte wurde an der ehemaligen Synagoge restauriert. Sie war als einzige Synagoge in Sachsen in der Pogromnacht 1938 nicht zerstört worden, nach dem Krieg aber allmählich verfallen. Mit der Instandsetzung der oberen Kuppelfenster trug die Tischlerei Erika Rothe-Püschner kurz nach der Wende zur Notsicherung des Gebäudes bei. Und im letzten Bauabschnitt wurden dann die Holzkastenfenster restauriert. Inzwischen erstrahlt die Synagoge wieder in neuem Glanz. Die Arbeit aller beteiligten Unternehmen hat sich gelohnt und das Ergebnis zeigt: Denkmalpflege braucht Handwerk.
Expertendatenbank
Handwerksbetriebe mit Expertise in der Denkmalpflege finden sich in einer Online-Datenbank, die in Kooperation des Fraunhofer-Informationszentrums Raum und Bau (IRB) mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) entstand.