CDU-Politiker Elmar Brok im Interview "Der Brexit ist schädlich für beide Seiten"

Warum ist auch der deutsche Mittelstand vom Brexit betroffen? Und ist es möglich, dass Großbritannien seinen Austrittsantrag zurücknimmt? Antworten gibt Elmar Brok, CDU-Europaabgeordneter, im Interview mit der Deutschen Handwerks Zeitung.

Hajo Friedrich

Elmar Brok ist Mitglied des Europäischen Parlaments. - © Elmar Brok

DZH: Herr Brok, warum geht der Brexit auch den deutschen Mittelstand an?

Elmar Brok: Viele der deutschen KMUs produzieren Güter, die in das Vereinigte Königreich entweder direkt oder als Teil der Wertschöpfungskette anderer Unternehmen exportiert werden. Einen solchen wichtigen Absatzmarkt zu verlieren hat seinen Preis. Es gibt keine Hinweise, dass viele Unternehmen der Industrie und der Finanzdienstleistungen, auch aus Asien und den USA, ihre Investitionen in die EU der 27 verlagern werden. Der Brexit ist schädlich für beide Seiten. Die EU will den Schaden, der für Großbritannien größer sein wird, in Grenzen halten, vor allem ist es aber nach Ansicht der EU-Institutionen und der 27 Länder wichtig, die Einheit und Handlungsfähigkeit des EU-Binnenmarktes nicht zu gefährden, was von größter Bedeutung für die deutsche Wirtschaft ist.

DHZ: Was passiert im schlimmsten Fall für die KMUs?  

Brok: Der schlimmste Fall, nicht nur für KMUs, sondern für alle Unternehmen in der EU, wäre der sogenannte "harte Brexit", wenn also keine Vereinbarung erzielt wird und es stattdessen zur Rückkehr zu den Regeln der Welthandelsorganisation käme. Das würde die Einführung von Zöllen und nicht–tarifären Handelshemmnissen bedeuten.

DHZ: Dabei war der Binnenmarkt immer ein gemeinsames und starkes Interesse von Deutschland und Großbritannien. Was kann davon bei einem Brexit realistisch betrachtet noch aufrecht erhalten werden?  

Brok: Der Binnenmarkt bleibt erhalten und wird um den digitalen Binnenmarkt erweitert. GB will ihn wie auch der Zollunion nicht mehr angehören, weil es die damit verbundenen Lasten – im Gegensatz zur Schweiz, Norwegen und Island – nicht tragen sowie die Binnenmarktgesetzgebung und den Europäischen Gerichtshof nicht anerkennen will. Ein Land, das die Lasten und Verpflichtungen nicht anerkennt, kann nicht dieselben Vorteile haben wie die Länder, die das tun. Das sagen alle 27 Mitgliedsländer. Deshalb wird versucht, einen Freihandelsvertrag wie mit Kanada auszuhandeln.

DHZ: Schon jetzt zeichnet sich ein schwieriges und langes Scheidungsverfahren ab. Ist der vorgesehene Austrittstermin März 2019 realistisch?  

Brok: Der Vertrag von Lissabon schreibt zwingend vor, dass exakt zwei Jahre nach dem Austrittsantrag, also am 29. März 2019, Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU ist. Wir versuchen nun, den Scheidungsvertrag zeitgerecht bis dahin unter Dach und Fach zu bringen. Es gibt viele detaillierte Fragen wie die Bürgerrechte, die finanziellen Verpflichtungen der Briten, die komplizierte und eventuell für den Frieden in Nordirland wesentliche Fragen, die sich aus der Tatsache ergeben, dass die Grenze zwischen Irland und Nordirland zur EU-Außengrenze wird – insbesondere in den Fragen des Personen- und Warenverkehrs. Das sind aber nun die entscheidenden Punkte für den Beginn der Verhandlungen. Da die britische Regierung durch Neuwahlen Zeit verplempert hat und aus innerer Schwäche noch keine Verhandlungslinie hat, könnte die Zeit knapp werden. Wenn es gut gehen sollte, wird man eine Übergangsfrist brauchen, bis etwa 2021 der zukünftige Freihandelsvertrag ausgehandelt sein wird.

DHZ: Halten Sie einen ‚Ausstieg vom Ausstieg‘ für möglich oder wünschenswert? Sollten die Briten die Entscheidung noch einmal überdenken? Noch einmal abstimmen – etwa über eine zwischen London und Brüssel erzielte Einigung?  

Brok: Die Frage eines Referendums ist Sache der britischen Bürger und der britischen Regierung. Wir werden ihre Entscheidung respektieren, wie auch immer sie ausfallen wird. Wir können bereits sehen, dass sich die Meinung der britischen Öffentlichkeit über die EU Mitgliedschaft ändert. Sobald die Bürger realisieren, was für ein Deal das Vereinigte Königreich erhalten wird, wird vielleicht die Nachfrage nach einem Referendum über den Deal aufkommen. Ich glaube, dass es einen Moment geben wird, in dem die Menschen begreifen werden, dass die EU Mitgliedschaft in jedem Fall besser ist als irgendein anderes Abkommen, das die UK mit der EU in Zukunft haben wird. Offiziell kann das Vereinigte Königreich den Austrittsantrag durch die Aktivierung von Artikel 50 auch wieder zurücknehmen und ich glaube, dass die anderen Mitgliedstaaten dies wahrscheinlich auch akzeptieren würden. Jedoch habe ich noch keine Indizien gesehen, dass die britisch Regierung dies tun möchte. Deshalb halte ich aus heutiger Sicht eine Rücknahme nicht für wahrscheinlich.