Viele Handwerksbetriebe können sich derzeit vor Arbeit kaum retten. Die Digitalisierung deshalb hinten anzustellen, kann aus Sicht von Experten jedoch eine fatale Entscheidung sein. Doch mit dem Kauf von digitalen Produkten ist es nicht getan. Diese Fehler sollten Handwerker unbedingt vermeiden.

Wenn sich bei Christian Jurasz-Kischka ein Handwerker meldet, der seinen Betrieb digitalisieren möchte, stellt der Digitalisierungsberater der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main gerne eine Gegenfrage: "Was verstehen Sie unter Digitalisierung?" Viele Handwerker reagieren dann häufig verdutzt und offenbaren im weiteren Gespräch, dass sie sich bislang gar nicht so viele Gedanken darüber gemacht haben, was Digitalisierung in ihrem Betrieb eigentlich bedeuten soll.
Ähnliche Erfahrungen macht auch Johanna Erlbacher, Projektleiterin des Mittelstand-Digital Zentrums Handwerk in Bayreuth. "Oftmals haben die Handwerker etwas über die Digitalisierung aufgeschnappt oder es wird geschaut, was andere Betriebe machen", sagt Erlbacher. Einen konkreten Plan hätten viele jedoch nicht in der Tasche.
Doch das ist nur ein Aspekt von vielen, der die Digitalisierung im Handwerk zur Herausforderung macht. Digitalexperten berichten, wo nach ihrer Erfahrung die häufigsten Stolperfallen für Betriebe lauern.
1. Das Ziel ist nicht klar festgelegt
"Digitalisierung sollte nicht zum Selbstzweck stattfinden, sondern um langfristig Ressourcen effizienter einzusetzen und sich Freiräume zu schaffen", sagt Georg Räß, Beauftragter für Innovation und Technologie der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Deshalb sei es unverzichtbar, klare Ziele von Digitalisierungsmaßnahmen im Unternehmen im Vorfeld zu benennen.
Dazu sollten die Betriebe analysieren, wo der Schuh am meisten drückt und wie durch die Digitalisierung echte Mehrwerte für das Unternehmen entstehen können. "Am Ende geht es darum, mit dem geringsten Aufwand das zu machen, was mir den größtmöglichen Effekt bringt", betont Knuth Ensenmeier, Beauftragter für Innovation und Technologie der Handwerkskammer für Schwaben.
Und das könne je nach Unternehmen und Branche eine ganz anderer Schwerpunkt sein. Wenn sich durch die Digitalisierung neue Geschäftsfelder und Produkte entwickeln ließen, sei diese besonders sinnvoll. "Es gibt aber auch Prozesse, bei denen Digitalisierung nichts bringt", ergänzt Jurasz-Kischka.
2. Analyse der eigenen Prozesse fehlt
"Eine gute Prozesskenntnis fehlt in mehr als 80 Prozent der Handwerksunternehmen in Deutschland“, sagt Christoph Krause, Leiter des Mittelstand-Digital Zentrums Handwerk in Koblenz. Diese ist aus Sicht des Experten jedoch die Grundlage für jede Digitalisierungsstrategie. "Der Betrieb sollte wissen, wie der Prozess vom Kunden durch das Unternehmen und wieder zurück genau aussieht", so Krause. Und dieser Prozess sollte gemeinsam mit den zuständigen Mitarbeitern in einem Modell veranschaulicht werden. Nur dann könnte ein Handwerker richtig einschätzen, welche Schnittstellen es zwischen verschiedenen Unternehmensbereichen gibt und welche Datensätze erzeugt werden.
Knuth Ensenmeier bremst die Erwartung, dass Digitalisierung das Allheilmittel zur Lösung bestehender Organisationsprobleme sein könne. "Wenn ein Prozess analog schon nicht gut funktioniert, wird er durch die Digitalisierung nicht besser werden."
3. Digitalisierung ist mehr als ein Produkt zu kaufen
"Manche Handwerker denken, sie kaufen eine Software und sind damit digitalisiert", sagt Thomas Gebhardt, Beauftragter für Innovation und Technologie der Handwerkskammer Region Stuttgart. Dass Digitalisierung weit umfassender und die richtige Integration in die bestehenden Prozesse entscheidend ist, werde dabei oft vergessen.
Dies erlebt Gebhardt in seinen Gesprächen mit Handwerkern, wenn es etwa heißt, dass die neue Software nicht richtig funktioniere oder nicht viel bringe. Oft liege das Problem jedoch nicht am Produkt selbst, sondern an der Einbindung ins Unternehmen. Ähnliche Erfahrungen macht Experte Christoph Krause: "Ich sehe Handwerker, die mit dem digitalen Tool mehr Zeit brauchen als vorher, weil dieses nicht sauber integriert und auf die Schnittstellen abgestimmt ist."
4. Mitarbeiter werden nicht abgeholt
"Gute Kommunikation im Betrieb ist das A und O für eine gelungene Digitalisierung“, meint Johanna Erlbacher. Deshalb sollte der Chef keine Alleingänge machen, sondern seine Mitarbeiter frühzeitig in seine Pläne einbeziehen. Gemeinsam mit der Belegschaft könne erörtert werden, wo das Unternehmen aktuell steht und wo es hin will mit der Digitalisierung. "Wenn dem Mitarbeiter der Sinn der Maßnahme erklärt wird, ist das eine große Motivationshilfe, baut Ängste und Vorurteile ab und erleichtert am Ende die Umsetzung der Digitalisierung", sagt Erlbacher.
Ähnlich sieht das etwa Christian Jurasz-Kischka, der betont, dass Digitalisierung auch immer etwas mit Veränderung zu tun habe und sich Menschen nicht gerne verändern. Deshalb müsse die Sinnhaftigkeit des Schritts vermittelt werden. Ganz wichtig ist aus seiner Sicht, dass dabei auch die älteren Mitarbeiter nicht vergessen würden. "Wenn es gelingt, diese von meiner Idee zu überzeugen, hole ich die Jüngeren automatisch mit ab."
5. Es fehlt am Wissen, worauf es eigentlich ankommt
Die Digitalisierung sollte durch Experten begleitet werden."„Erste Anlaufstelle können die Digitalisierungsberater der Handwerkskammern sein", empfiehlt Johanna Erlbacher. Sie haben eine Lotsenfunktion, können ein Wegweiser im Dickicht der Förderprogramme sein und Kontakte zu IT-Partnern vermitteln.
Die Berater leisten dabei in gewissem Maß auch eine Übersetzungsleistung zwischen den Anforderungen des Handwerkers und dem Angebot des Programmierers. "Denn oftmals scheitert die Digitaliserung daran, dass beide Seiten nicht die gleiche Sprache sprechen", weiß Christoph Krause. Der Handwerker selbst müsste dafür nicht zum IT-Experten werden und könne sich das notwendige Wissen, etwa für die Integration einer Software, von extern holen, meint Berater Jurasz-Kischka. Dennoch sei ein Grundwissen von Vorteil und Schulungen der Mitarbeiter sinnvoll, damit die Nutzung der digitalen Helfer im Betriebsalltag funktioniert.
6. Die Kosten werden falsch eingeschätzt
Die Kosten einer Digitalisierung im Betrieb können stark variieren. Für die meisten Anwendungsfälle gibt es jedoch nach Ansicht der Experten gute und bezahlbare Standardprogramme auf dem Markt. Die Nachfrage nach Lösungen aus der Cloud mit festen monatlichen Preisen nehme deutlich zu "Das ist ein bisschen wie All-inclusive-Urlaub", sagt Thomas Gebhardt von der Handwerkskammer Region Stuttgart. Neben der Software sind in den Paketen auch Service und Updates enthalten oder lassen sich dazubuchen.
Die Kosten würden sich bei kleineren Anwendungen, wie einer digitalen Zeiterfassung, durch die gesparte Arbeitszeit schnell rechnen. Die Programmierung einer maßgeschneiderten Software lohnt sich nach Meinung von Gebhardt hingegen nur in Einzelfällen: "Da können die Kosten schnell aus dem Ruder laufen."
7. Es wird auf den richtigen Moment gewartet
"Die Digitalisierung lässt sich nicht hopplahopp nebenher machen“, meint Thomas Gebhardt. Sie koste Zeit, die man sich nehmen muss. Doch Zeit sei etwas, dass die wenigsten Handwerker haben, weiß Knuth Ensenmeier aus seinen Beratungsgesprächen bei der HWK Schwaben.
Viele Betriebe würden aufgrund der gut gefüllten Auftragsbücher deshalb komplett auf die Digitalisierung verzichten oder auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, um dann alles auf einmal zu machen. Doch das ist aus Sicht der Experten die falsche Strategie. "Es geht darum, jetzt zu digitalisieren, damit die Betriebe in der von digitalen Plattformen geprägten Zukunft noch eine Rolle spielen", sagt Christoph Krause. Deshalb lautet sein Rat: "Lieber in kleinen Schritten starten als gar nicht."
Gastkommentar: Digitalisierung ist kein Selbstzweck
Bürokratie in der Verwaltung, Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt, stockende Lieferketten bei horrenden Rohstoffpreisen – die Herausforderungen, vor denen Handwerksbetriebe heutzutage stehen, sind vielseitig. Und dann kommt auch noch diese Digitalisierung dazu.
Die Art und Weise, wie Wirtschaft heute funktioniert hat sich bereits vollständig verändert und wird sich in Zukunft noch stärker transformieren. Gegenstände werden heute "smart" und durch vernetzte Objekte entstehen ganz neue Möglichkeiten, um zum Beispiel Ressourcen effizienter zu nutzen oder sogar neue Produkte und Dienste anzubieten. Das Fundament dieser Transformation sind digitale Geschäftsprozesse. Es reicht nämlich nicht, ausschließlich immer intelligentere Maschinen einzusetzen, sondern es gilt ebenfalls, die eigene Organisation "smart" aufzustellen, so kompatibel zur digitalen Wirtschaft zu werden und selbst von den Vorteilen zu profitieren. Das gilt für einen Großkonzern genauso wie für Augenoptiker, Raumausstatter oder einen Friseursalon.
Wenn das Thema nun so wichtig ist und die Chancen so groß sind, warum sind viele Organisationen in Deutschland dann noch nicht weiter? Nun ja, die digitale Transformation wirkt komplex und Digitalisierungsprojekte sind keine Selbstläufer. Es gilt zunächst zu verstehen, dass Digitalisierung kein Selbstzweck ist, sondern konkrete Probleme adressiert werden sollten. Probleme, die beispielsweise den reibungslosen Ablauf von Geschäftsprozessen stören oder entstehen, weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wertvolle Zeit mit wertlosem Papierkram verbringen.
Wer einen schlechten Prozess digitalisiert, erhält einen schlechten digitalen Prozess! So oder so ähnlich lautet ein weit verbreiteter Digitalisierungsleitsatz. Entsprechend ist ein einfaches "Weiter so" in der Regel keine Option und so lösen Digitalisierungsprojekte standardmäßig Veränderungen aus.
Daher gilt es von Beginn an, die Expertise der Mitarbeitenden zu nutzen und als Kooperationspartner im Projekt einzubinden. Digitalisierung umfasst daher nicht nur Technologie, sondern tangiert auch fortlaufend das organisatorische und rechtliche Umfeld.
Wenn das bei der Durchführung von Digitalisierungsprojekten von Beginn an berücksichtigt wird, sind die Erfolgsaussichten gut. Entsprechend sollte Digitalisierung in Handwerksbetrieben als Chance verstanden werden, um die Herausforderungen unserer Zeit besser zu meistern.