Interview zum Zustand der Berufsschulen Berufsschule: "Wir sind auf einem guten Weg"

Von einer Gleichstellung mit Hochschulen sind Berufsschulen weit entfernt. Sven Mohr, Vorsitzender des Bundesverbands der Lehrkräfte für Berufsbildung, sieht dennoch positive Ansätze.

Schultafel mit der Aufschrift "Heute kein Unterricht"
An berufsbildenden Schulen fehlen 10.000 bis 15.000 Lehrkräfte. Entsprechend fallen Stunden aus. - © Animaflora PicsStock/stock.adobe.com

Herr Mohr, es wird oft behauptet, Berufsschulen seien in schlechtem Zustand. Finden Sie das auch?

Sven Mohr: Nein. Sicherlich gibt es Schulen, die in schlimmem Zustand sind, weil ihre Kommunen oder Landkreise nicht viel Geld haben. Aus meiner Perspektive gibt es aber weit mehr Kreise und Schulträger, die es gut mit ihren Schulen meinen und sie auch gut ausstatten. In den letzten Jahren sind einige Neubauten entstanden, die sich sehen lassen können.

Warum dann die Klage, Berufsschulen stünden schlechter da
als Hochschulen?

Es geht bei diesem Vergleich nicht darum, ob man noch eine Maschine mehr in die Schule stellt, sondern um das fehlende Anreiz- und Unterstützungssystem. Studierende bekommen ein Semesterticket, mit dem sie im ganzen Bundesland kostenlos fahren dürfen, außerdem gibt es Studentenwohnheime. Das hat kein Auszubildender. Auf den Hochschulgeländen gibt es regelmäßig Schwimmbäder, Sportzentren, riesengroße Mensen und sogar Studienkapellen mit Pastor. Das haben berufliche Schulen alles nicht. Wenn wir wollen, dass berufliche und akademische Bildung gleich attraktiv sind, dann müssen wir da investieren, die Jugendlichen bemerken den Unterschied.

Oft hinken Schulen auch technisch hinterher. Warum?

Es ist für uns extrem schwierig, mitzuhalten, wie man an der Entwicklung im Heizung-Sanitär-Bereich sieht. Rückblickend ist vor einem Jahr die Entscheidung für Wärmepumpen gefallen, sie werden gefördert, alle wollen welche haben. Aber wie sollen wir als Schule unser Labor so schnell erweitern, die Wärmepumpe bekommen, sie in die Laborausstattung integrieren und dann auch noch die Kollegen schulen? Die Investition ist im aktuellen Haushalt nicht vorgesehen, wir brauchen mindestens ein bis zwei Jahre für die Umsetzung. So lange unterrichten wir die Theorie, die Praxis müssen wir nachholen.

Aktuell sollen 10.000 bis 15.000 Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen fehlen. Wie wirkt sich das aus?

Wir haben in vielen Bereichen einen Lehrkräftemangel. Unsere hochdifferenzierten Berufe müssten wir mit viel mehr Lehrern ausstatten, um die Schüler besser betreuen zu können. Hinzu kommt das Problem, wie wir die Fachpraktiker mit Förderbedarf in unsere Klassen integrieren sollen. In einer großen Klasse mit an die 30 Schülern beispielsweise bei den Elektrikern für Energie- und Gebäudetechnik oder in den Bauklassen bei den Zimmerern, hat der Kollege schlicht nicht die Zeit, sich um die Autismusspektrumsstörung eines Schülers zu kümmern …

Sven Mohr
Sven Mohr. - © privat

… oder um die Sprachprobleme seines Sitznachbarn?

Die letzten Jahre waren extrem schwierig. Unsere Lehrkräfte sind es gewohnt, heterogene Klassen zu unterrichten, in denen vom schlechten Hauptschüler bis zum Akademiker alles sitzt. Aber wenn fünf Schüler in der Klasse die Sprache nicht ausreichend verstehen, aus verschiedenen Kulturkreisen kommen und wenn dann noch Ukrainer und Russen im selben Raum sitzen, dafür haben wir einen zu geringen Personalschlüssel. Und wenn wir Lehrkräfte finden, die stundenweise vertreten oder Deutsch als Fremdsprache unterrichten, springen sie bald wieder ab, weil wir sie nicht unbefristet einstellen dürfen.

Gleichzeitig sprechen Politiker gerne von "Exzellenz" in der beruflichen Bildung. Sehen Sie davon etwas?

Ich erhoffe mir zumindest, dass durch die Exzellenzinitiative mehr passiert. Bisher sind nur Marginalien auf den Weg gebracht worden. Das hat auch mit den komplizierten Finanzstrukturen im Föderalismus zu tun. Der Bund darf nicht in Bildung investieren, die Länder sind für die Lehrkräfte zuständig, die Kommunen für die Schulen. Diese Verzahnung läuft nicht gut ineinander. Dass es funktionieren kann, hat aber der Digitalpakt Schule gezeigt. Durch das viele Geld, das den Schulen für die Digitalisierung zur Verfügung gestellt wurde, haben sich auch manche Schulträger bewegt. Wir sind da auf einem guten Weg, es entwickelt sich in die richtige Richtung. Aber es hat viel zu lange gedauert.

Fachkräftemangel fördert Wertschätzung für berufliche Bildung

Zwei Millionen nicht besetzte Arbeitsstellen in Deutschland, 69.000 nicht besetzte Ausbildungsplätze, davon fast 20.000 im Handwerk – diese Zahlen haben die Politik wachgerüttelt. Mit einer Fachkräftestrategie will die Bundesregierung gegensteuern. Ein Baustein darin ist die "Exzellenzinitiative Berufliche Bildung". Die berufliche Orientierung junger Menschen soll ausgebaut werden, gerade an Gymnasien. Das Aufstiegs-Bafög soll besser und die Lernorte für berufliche Bildung "exzellent" aufgestellt werden.

Grafik zum Lehrermangel an Berufsschulen
Bis 2035 können jedes Jahr nur 62 Prozent der freien Lehrerstellen an Berufsschulen besetzt werden. - © Quelle: Datenreport Statistisches Bundesamt, Grafik: DHZ

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) begrüßt die Pläne. Bisher fehlten jedoch konkrete Ausführungen zur Ausgestaltung, zum finanziellen Umfang und zum geplanten Start der Initiative. Das Bildungsministerium verweist darauf, dass alle Akteure – und dazu zählen Arbeitgeber, Beschäftigte, Länder und Kommunen, Sozialpartner, Kammern, die Bundesagentur für Arbeit, (Weiter-) Bildungsanbieter, Forschungseinrichtungen und die Bundesregierung – aufgerufen seien, Maßnahmen in ihren Bereichen anzugehen. Eine bloße Sammlung von Einzelprojekten ergebe aber noch keine Fachkräftestrategie, warnt der ZDH. Es fehle am gesamtstrategischen Ansatz für eine echte Bildungswende.

Dass so viele Partner an der beruflichen Bildung beteiligt sind, macht Veränderungsprozesse kompliziert und langsam. So werden für den "Pakt für berufsbildende Schulen" – vor zwei Jahren in einer Ländervereinbarung skizziert – Inhalte immer noch diskutiert. Gegen den Mangel an Berufsschullehrern verspricht der Koalitionsvertrag eine Qualitätsentwicklung des Seiten- und Quereinstiegs. Außerdem fördern Bund und Länder seit 2014 das Projekt "Qualitätsoffensive Lehrerbildung". Bis diese Maßnahmen greifen, können laut Kultusministerkonferenz jedes Jahr nur 62 Prozent der freien Lehrerstellen an Berufsschulen besetzt werden.