Weil eine Auszubildende 114 Tage im Betrieb fehlte, durfte sie ihre Abschlussprüfung nicht vorzeitig absolvieren. Ausbildungsberater Peter Braune erklärt in seiner aktuellen Kolumne, wann Fehlzeiten die Zulassung behindern und wie sie sich ausgleichen lassen.

Die Berufsausbildung hat eine breit angelegte berufliche Grundbildung und die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln. Außerdem hat sie den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrung zu ermöglichen. Dieses Ziel wird in aller Regel nur derjenige erreichen, der sich aktiv an der Berufsausbildung beteiligt hat.
Auszubildende kommt auf 114 Fehltage
Ich habe von einer Auszubildenden gehört, die den Aubsildungsberuf Fahrzeuglackiererin lernt. Im Wege einer einstweiligen, gerichtlichen Anordnung hatte sie die vorzeitige Zulassung zur Abschlussprüfung beantragt. Das lehnte die Geschäftsführung der zuständigen Stelle ab, weil sie in der dreijährigen Ausbildungszeit 114 Tage gefehlt hat. Ihre Leistungen im Betrieb und in der Berufsschule lagen zudem erheblich unter dem Durchschnitt, das Ausbildungsziel wurde nicht erreicht.
Nach dem Berufsbildungsgesetz wird – unabhängig von den weiteren Voraussetzungen – zur Abschlussprüfung zugelassen, wer die Ausbildungszeit zurückgelegt hat. Sie gilt auch dann als zurückgelegt, wenn sie nicht später als zwei Monate nach dem Prüfungstermin endet. Diese Anforderung ist im vorliegendem Fall nicht erfüllt, da die Auszubildende insgesamt 114 Ausbildungstage fehlte. Der kalendarische Ablauf der Ausbildungszeit allein reicht nicht aus. Die Ausfallzeiten können der Zulassung entgegenstehen.
Was gilt bei kurzfristigen Fehlzeiten?
Nicht jede Ausfallzeit behindert die Zulassung zur Abschlussprüfung. Kurzfristige Fehlzeiten, wie sie aufgrund kurzfristiger Erkrankungen oder sonstiger Verhinderungen üblich sind, dürfen nicht ins Gewicht fallen.
Wenn die Ausbildenden aufgrund der hohen Fehlzeiten keine gesicherte Beurteilung abgeben können, geht das zu Lasten der Azubis. Im Falle des Beispiel bedeutet das: Bei der Gesamtwürdigung durfte die Geschäftsführung der zuständigen Stelle aus dem Leistungsniveau der Azubine zu Recht folgern, dass sie trotz des kalendarischen Ablaufs der Ausbildungszeit das Ausbildungsziel nicht erreicht hat. Dagegen ist nicht von ausschlaggebendem Gewicht, ob sie die Aussicht hat, die Prüfung zu bestehen.
Bei der Beurteilung solcher Fälle sollte die aktuelle Rechtssprechung berücksichtigt werden:
- Danach ist bis zu einer Abwesenheit von zehn Prozent von einer Geringfügigkeit auszugehen, sodass ohne weitere Einzelfallprüfung eine Zulassung erfolgt. Für die Berechnung der Fehlzeiten wird von jährlich 220 Arbeitstagen ausgegangen, sodass bei einer dreijährigen Ausbildung zehn Prozent entsprechend 66 oder aufgerundet maximal 70 Fehltage ohne besondere Prüfung toleriert werden. Hierbei werden die Urlaubstage nicht eingerechnet.
- Wird die Abwesenheitsgrenze von zehn Prozent über die gesamte Ausbildungszeit überschritten, erfolgt eine Einzelfallprüfung. Das gilt unabhängig von den Gründen des Fehlens. Für die Einzelfallprüfung fordert die Sachbearbeitung der zuständigen Stelle eine Stellungnahme mit einer aktuellen Leistungsbeurteilung von den Ausbildenden, den Lehrkräfte der Berufsschule und gegebenenfalls auch von den an der Berufsausbildung beteiligten Bildungsträgern. Auf dieser Grundlage wird im Einzelfall geprüft, ob die geforderte berufliche Handlungsfähigkeit trotz der Fehlzeiten erreicht wurde.
Entscheidend für die Zulassung ist, ob die betroffene Person trotz der Fehlzeiten alle wesentlichen Ausbildungsinhalte kennengelernt und die notwendige berufliche Handlungskompetenz entwickelt hat, um im jeweiligen Beruf erfolgreich arbeiten zu können. Neben der Fachkompetenz gehören dazu auch Sozialkompetenzen (zum Beispiel Kommunikationsfähigkeit), personale Kompetenzen (zum Beispiel Zeitmanagement), Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit. Bewertet wird auch die Methodenkompetenz, also die Fähigkeit, die berufsspezifischen Methoden in der Praxis anwenden zu können. Es kommt bei der Einzelfallprüfung immer auf das Gesamtbild an. Je höher die Fehlzeiten sind, desto geringer ist grundsätzlich die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Zulassung.
Ohne die rechtzeitige Einreichung der Dokumente kann keine Entscheidung über die Zulassung zur Abschlussprüfung erfolgen. Das hat zur Folge, dass die Auszubildenden bei dem anstehenden Prüfungsdurchlauf nicht berücksichtigt werden und die Prüfung nicht zum gewünschten Zeitpunkt abgelegt werden kann.
Ausbildungszeit kann jederzeit verlängert werden
Die Meisterin oder der Meister sollte in so einem Fall bereits bei Bekanntwerden hoher Fehlzeiten unbedingt darüber entscheiden, ob und wie die verpassten Ausbildungsinhalte nachgeholt werden können. Eine Verlängerung der Ausbildungszeit zur Erreichung des Ausbildungsziels kann – auf Antrag des Auszubildenden – zu jedem Zeitpunkt der Ausbildung erfolgen.
In diesem Zusammenhang fällt mir wieder das leidige Thema der Führung von Ausbildungsnachweisen ein. Diese sind sorgfältig, gewissenhaft und regelmäßig zu verfassen, sonst kann die Zulassung zur Abschlussprüfung gefährdet werden. Ein gutes Mittel, um säumigen Lehrlingen etwas Dampf unter dem Hintern zu machen: Denn die regelmäßige Führung bestätigt die Meisterin oder der Meister bei der Anmeldung zur Abschlussprüfung oder eben auch nicht. Wer keine Ausbildungsnachweise führt, hat auch keinen Anspruch auf die Zulassung zur Abschlussprüfung.
Ihr Ausbildungsberater Peter Braune
Peter Braune hat Farbenlithograph gelernt, war Ausbilder und bestand in dieser Zeit die Ausbildungsmeisterprüfung. Er wechselte als Ausbildungsberater zur Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main. Dort baute er dann den gewerblich-technischen Bereich im Bildungszentrum auf und leitete die Referate gewerblich-technischen Prüfungen sowie Ausbildungsberatung, zu der auch die Geschäftsführung vom Schlichtungsausschuss gehörte. Danach war er Referent für Sonderprojekte.