Mitarbeitergesundheit Hohe Fehlzeiten im Betrieb: Das sollten Chefs tun

Die Gesundheit des Teams ist für Unternehmer unbezahlbar. Wenn die Fehltage trotz Gesundheitsförderung nicht abnehmen, lohnt ein Blick in die Tiefe.

Unternehmerin Andrea Wittig
Handwerkschefin Andrea Wittig hat schlechte Erfahrungen mit Gesundheitstagen gemacht: "Von den Gesundheits­tagen war keiner begeistert. Alle saßen die Zeit nur ab und wollten lieber wieder arbeiten." - © privat

Als Andrea Wittig 2013 den elterlichen SHK-Betrieb in Neumarkt übernahm, hatte sie ein klares Ziel: "Ich wollte eine gute Chefin sein." Die Betriebswirtin des Handwerks veranstaltete für die 35 Mitarbeiter der Knixa Industrie und Haustechnik Gesundheitstage, bot ihnen einen Zuschuss zum Fitnessstudio und organisierte Betriebsausflüge.

Doch die Mitarbeiter hatten kein Interesse daran. Statt sich mit rückenschonenden Arbeitsweisen oder gesunder Ernährung zu beschäftigen, wollten sie lieber weiterarbeiten. Das Programm der Betriebsausflüge fanden sie zwar attraktiv, aber ihre Freizeit mochten sie dafür nicht opfern. Und auch ins Fitnessstudio ging keiner. "Ich habe unheimlich viel Energie und Zeit auf das alles verwandt, aber die Realität im Handwerk sieht eben anders aus", sagt Wittig heute ernüchtert.

Arbeit nur, um Geld zu verdienen

Mario Göhring, ihr Betriebsberater bei der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz, gibt zu: "Wenn ein Beschäftigter seine Arbeitsstelle nur als Mittel betrachtet, um zu Geld zu kommen und wenn das seine einzige Motivation ist, dann wird man ihn schwer mit solchen Angeboten erreichen."

Trotzdem sei dies kein Grund aufzugeben. Wenn er in seinen Beratungen erfahre, dass Maßnahmen nicht greifen, frage er gezielter nach. "Fehlzeiten können viele Gründe haben; die schwere körperliche Arbeit; dass man mit den Kollegen nicht kann; vielleicht ist es auch der Umgang zwischen Chef und Mitarbeitern", zählt er mehrere Beispiele auf, auch aus Bereichen, die auf den ersten Blick nichts mit Gesundheit zu tun haben.

Mehr Schmerzen bei schlechtem Klima

Der Zusammenhang zwischen Betriebsklima und körperlichen Beschwerden ist klar belegt. Der AOK Fehlzeitenreport 2020 hat 2.500 Beschäftigte danach befragt, wie fair sie sich von ihrem Chef behandelt fühlen.

Die Ergebnisse wurden in Bezug gesetzt zu den Krankheitstagen. 25,8 Prozent derjenigen, die sich in der Arbeit ungerecht behandelt fühlten, litten auch an Rücken- und Gelenkbeschwerden. Wo sich Beschäftigte fair behandelt fühlten, waren es weniger als halb so viele, 11,9 Prozent.

Für Chefs wie Andrea Wittig ist das frustrierend: Sie versuchen, ihren Mitarbeitern etwas Gutes zu tun und trotzdem ändert sich nichts; die vielen Fehltage bleiben.

Prinzip von Außen funktioniert nicht

Warum das so ist, erforscht Stephan Gronwald seit Jahren: "Das Problem ist meist, dass man von Außen hineinspricht", erklärt der Arbeits- und Sozialwissenschaftler. Das Prinzip "Ich sage dir, was du brauchst" funktioniere aber nicht. An seinem Lehrstuhl an der Technischen Hochschule Deggendorf arbeitet der Professor eng mit dem Handwerk zusammen, um ein wirksames Gesundheitsmanagement zu entwickeln. Ein häufiger Fehler sei dabei, den Menschen wie eine Maschine zu betrachten. Ein einzelner Aspekt wie richtiges Heben und Tragen solle es dann richten. Tatsächlich beeinflusse aber das gesamte Umfeld das Wohlbefinden.

An diesem Wohlbefinden hänge auch die Leistungsfähigkeit des Menschen. "Ein Gesundheitstag hin und wieder reicht da nicht. Das sind Alibiversuche", warnt er. Es gehe vielmehr darum, zu entdecken, was jeden Einzelnen antreibt. Der Chef könne das dem Mitarbeiter nicht sagen, betont Gronwald und fügt hinzu: "Er kann ihn höchstens anleiten, es selbst herauszufinden."

Jeder Mensch hat Lust, sich zu engagieren

Gronwald ist überzeugt, dass jeder Mensch Lust hat, sich zu engagieren, wenn er seine besonderen Fähigkeiten in der Arbeit einsetzen kann. Zu erkennen, was diese Fähigkeiten sind, ist kein schneller und auch kein bequemer Prozess, genauso wenig wie das Ändern von ungünstigen Bedingungen, gibt der Wissenschaftler zu.

Viele Beschäftigte hätten in ihrem Arbeitsleben nie die Erfahrung gemacht, dass sie durch ihr eigenes Zutun ihre Situation verbessern können; viele steckten auch so in ihrer täglichen Arbeit fest, dass sie keine Veränderungsmöglichkeiten sähen.

Mit Beispielen aus anderen Betrieben können aber der Chef oder ein externer Berater Überlegungen und frische Ideen bei solchen Betroffenen anregen. Immer wieder neu müsse sich das Team mit der Frage auseinandersetzen: Was hemmt uns bei der Arbeit, wie könnte es besser laufen?
Gronwald betont: "Die Zufriedenheit der Mitarbeiter ist die Grundlage für den unternehmerischen Erfolg. Doch so lange wir den Menschen nicht so akzeptieren, wie er ist und ihn nicht da abholen, wo er gerade steht, wird nichts, was wir anstellen, von Erfolg gekrönt sein."