Mit einem Theaterstück zieht ein Zimmerermeister durch Hessen und weckt das Interesse von Schülerinnen und Schülern für das Handwerk.
Jonas Rosenberger

"Wisst ihr, was ein Zimmerer macht?“ Das ist die erste Frage, die Paul Ballmer den Schülern im Publikum stellt. Es schweigt. "Kennt ihr Leonardo da Vinci?" Das ist die zweite Frage. Danach verlässt er den Raum und die Zuschauer sind erst einmal perplex.
Es ist Donnerstagvormittag und in der Geschäftsstelle der Kreishandwerkerschaft Hanau haben sich etwa 40 Schülerinnen und Schüler in einem Seminarraum versammelt, um von Zimmerermeister Ballmer zu hören, was es mit dem Handwerk auf sich hat. Die Rolle des Ballmer wird von Richard Betz gespielt, einem wahrhaftigen Zimmerermeister. Als er mit einem munteren Pfeifen auf seinen Lippen zurück in den Raum kommt, trägt er zu der zunfttypischen schwarzen Kleidung auch einen großen schwarzen Zimmererhut. Es ist ein Hingucker.
Und direkt geht es weiter mit den Fragen: "Habt ihr eigentlich schon mal selber was gebaut, so wie wir früher Pfeil und Bogen?" Und: "Habt ihr schon mal Handwerkern zugeguckt, wie die so arbeiten?" Die erste Frage wird komplett, die zweite mehrheitlich verneint. Dann holt Paul lautstark zum Frontalangriff aus: "Ihr habt mit Handwerk nix am Hut! Euch interessiert das auch gar nicht!" Harte Worte.
Er schließt eine Kettensäge und einen Bohrer an den Strom an. Die Säge ist so laut, dass sich manche der Jugendlichen die Ohren zuhalten. Der Bohrer so druckvoll, dass die Späne in hohem Bogen durch die Luft fliegen. Die Schülerinnen und Schüler sind begeistert. "Einen Vortrag halte ich euch keinen", sagt er. "Ich will was bauen."
Mehr Begeisterung fürs Handwerk wecken
Das Stück, das Richard Betz alias Paul Ballmer aufführt, heißt "Mit Herz und Hand" und ist genau auf das jugendliche Publikum zugeschnitten. Zusammen mit einer Autorin, einer Regisseurin und zwei Theater-AGs wurde es in anderthalbjähriger Arbeit entwickelt. "Den Aufwand habe ich am Anfang total unterschätzt", sagt Betz. Der Auftritt ist Teil einer Tour durch Hessen, die ihn von ganz im Süden nach ganz in den Norden führt. Auf dem diesjährigen Hessentag in Hofgeismar soll das große Finale stattfinden. In der Nähe führt er seinen Zimmereibetrieb.
"Die Verbindung der Jugend zum Handwerk ist nicht mehr da. Das Problem ist ja bekannt", sagt Betz nach dem Auftritt. Sein Ziel und das Ziel seiner Reise ist es, die Jugendlichen wieder für das Handwerk zu begeistern. "Was wird den Eltern und den Schülern seit 30 Jahren erzählt? Wer nicht studiert, hat schon verloren. Was ein Schmarrn!", beschwert sich Paul Ballmer in dem Stück. Es sei dieser Unterschied in der Wertigkeit, der ihn aufrege.
"Oft ist das Einzige, was von Ständen auf Berufsmessen übrig bleibt, ein Kugelschreiber."
Und Darsteller Betz muss es wissen, denn er selbst hat nach der Schule erst einmal studiert. Architektur. Als er seine Lehre überhaupt erst anfing, war er schon 30 Jahre alt. Viele Jahre arbeitete er gleichzeitig als Architekt und Zimmerer, bis er irgendwann feststellte, dass die Möglichkeiten des Handwerks, auch die der Selbständigkeit, für ihn die Besseren sind: "Ich bin eher der praktische Typ." Das Stück ist auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst und mit seiner eigenen Biografie, sagt er. Man müsse über viele Hürden gehen und Ängste überwinden .
Eine der Hürden möchte Betz’ Figur im Theaterstück abbauen: die zwischen Jugend und Handwerk. Dazu baut er im Laufe der gut einstündigen Aufführung nach und nach an einer großen Holzkonstruktion. Ein Teil nach dem anderen wird ineinander verschränkt. "Wisst ihr, was das wird?", fragt Ballmer die Schüler. "Ein Dach?" "Ein Tisch?" "Ein Stuhl?" So wirklich weiß es keiner von ihnen. Ballmer lässt sie erst einmal im Unklaren.
Dass ein Zimmerermeister mit der Schauspielerei anfängt, ist erstmal ungewöhnlich. Aber das macht die Besonderheit der Aufführung aus. "Das Handwerk muss in der Nachwuchswerbung aktiver werden", sagt Betz. Mit Ständen auf Berufsmessen stehe man bei den Jugendlichen auf verlorenem Posten. "Da greifen die einen Kugelschreiber ab und das war es dann. Da ist noch Arbeit da. Ein neuer Wind muss wehen, innovative Ideen müssen her", sagt er.
Sein Stück sei vor allem eine Chance für die Handwerksverbände, sich überhaupt erst mal einen Platz bei den Jugendlichen zu sichern. "Wenn man sie begeistert und ihr Interesse geweckt hat, dann erst kann man über das Handwerk reden." Den besten Beweis dafür liefert die Fragerunde nach Ende der Vorstellung: "Verdient man gut als Zimmerer?"", fragt einer der Schüler. Ein anderer möchte wissen, wie lange die Ausbildung dauert. Dann eine kurze Pause. Plötzlich fragt jemand in Anspielung auf die Geschichte von Betz’ Figur Ballmer: "Waren Sie wirklich im Knast?" Diese Fragen kommen immer, sagt Betz. "Man kann daran erkennen, dass man die Jugendlichen wirklich erreicht hat."
Mit viel Einsatz die Tour auf die Beine gestellt
An 18 Stationen macht Betz auf seiner Tour durch Hessen in diesem Mai halt und spielt meistens in den Aulen von Schulen. Organisiert wurde die Reise von mehreren hessischen Kreishandwerkerschaften (KH), die auch die Spielorte und Schulen ausgesucht haben. Besonders den Geschäftsführer der KH Kassel, Erich Horbrügger, hebt Betz hervor. "Er hat mit einem unglaublichen Einsatz diese Tour auf die Beine gestellt. So viel Überzeugungsarbeit, wie man da erst mal leisten muss, das hätte ich nicht für möglich gehalten." Es sei zum Teil eine "enorme Kraftanstrengung" nötig gewesen, andere für die Idee seiner Schauspielreise zu gewinnen. Bei einigen KH, wie in Hanau, sei es aber gar kein Problem gewesen. Auch in anderen Bundesländern soll das Stück noch aufgeführt werden.
"Etwas nur fürs Geld machen, das reicht meiner Meinung nach nicht aus", sagt die Figur Ballmer am Ende des Stücks und fixiert das letzte Holzstück an seiner Konstruktion. Es ist eine Brücke geworden. Die, die Leonardo da Vinci einst in seinem Notizbuch festhielt. Und noch eines gibt er den Schülern mit auf den Weg: "Was auch immer ihr mal macht: Macht es gern und macht es gut."