Betriebe beklagen unerfüllbaren bürokratischen Aufwand. Die Belastungen steigen seit Jahren. Zwei Handwerksunternehmerinnen berichten aus ihrer Praxis.

Die bürokratischen Belastungen haben in den vergangenen fünf Jahren merklich zugenommen – das spüren Handwerkinnen und Handwerker tagtäglich, geht aber auch aus aktuellen Umfragen hervor. Gegenüber Handwerk BW gaben beispielsweise 83 Prozent der Betriebe an, dass der bürokratische Aufwand gestiegen sei. Besonders die Notwendigkeit, sich ständig an neue Regelungen anpassen zu müssen, habe dazu beigetragen. Dazu kämen eine steigende Zahl neuer Nachweis-, Dokumentations- und Meldepflichten und die Dauer von Verwaltungsverfahren.
In der Konsequenz sagten rund zwei von drei Betrieben (64 Prozent), dass die Selbstständigkeit zunehmend unattraktiv werde. Genauso viele sprechen von weniger Zeit für die Kunden und damit längeren Wartezeiten. Unnötige Bürokratie ist überdies nicht nur lästig, sondern schreckt junge Leute auch davor ab, einen Betrieb zu gründen oder Verantwortung zu übernehmen.
Haupttätigkeit sollte nicht am Schreibtisch sein
Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ulm, kommentierte die Umfrage: "Handwerkerinnen und Handwerker wollen ihre Arbeit beim Kunden machen und nicht als Haupttätigkeit am Schreibtisch sitzen, Formulare ausfüllen oder Dokumentationen machen." Es brauche zwar Bürokratie, um den Rechtsstaat umzusetzen und zu sichern. "Zu viel davon bewirkt allerdings das Gegenteil: schlechte Stimmung und Staatsmüdigkeit. Und davon haben wir an vielen Stellen im Land mittlerweile sehr viel", so der Hauptgeschäftsführer.
Zuletzt hatten zahlreiche Fachverbände der Regierung Vorschläge zum Abbau von Bürokratie unterbreitet. Mehr als 300 Anregungen wurden zusammengetragen. Sie reichen von einer Vereinfachung des Steuerrechts bis zur Ausgestaltung von Verträgen.
Die Wirtschaft hofft, dass sich möglichst viele dieser Anregungen in einem neuen Bürokratieentlastungsgesetz wiederfinden. "Den wiederholten Ankündigungen der Bundesregierung müssen nun schnell Taten folgen", sagte ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke. "Die Vorschläge waren bereits zu Beginn der Legislatur weitgehend bekannt. Wir dürfen keine weitere Zeit verspielen, die die Betriebe nicht haben."
Summe an Auflagen, Gebühren und Verboten
Aus der Politik gab es Unterstützung für das Anliegen der Verbände. Manfred Todtenhausen, handwerkspolitischer Sprecher und Berichterstatter für Bürokratieabbau der FDP-Bundestagsfraktion, sagte: "Ob es um die Verkürzung der Genehmigungsverfahren von Anlagen, Vereinfachungen bei der Dokumentation im Arbeits- und Steuerrecht oder die Aufhebung der Schriftformerfordernis in vielen Fällen geht: Bürokratieabbau ist die einfachste und sogar kostensparende Maßnahme, um aus der Wirtschaftskrise herauszukommen." Die Vorsitzende der unionsnahen Mittelstandsvereinigung (MIT) und aktuelle "Brotbotschafterin", Gitta Connemann, kommentierte Vorschläge des Bäckerhandwerks: "Das Problem für die Betriebe ist oft nicht die einzelne Regelung. Die Summe an Auflagen, Gebühren und Verboten macht den Bäckereien das Leben schwer." Bäckerpräsident Michael Wippler bestätigte: "Die Dosis macht bekanntlich das Gift."
"Produktzulassungen müssen auf breitere Beine gestellt werden. Das ist ein Nadelöhr.“
Dagmar Fritz-Kramer, Geschäftsführerin
Das sind für Dagmar Fritz-Kramer, Geschäftsführerin von Bau-Fritz in Erkheim und Chefin von 500 Mitarbeitern, vor allen Dingen langwierige Baugenehmigungsverfahren. Während sie alle Unterlagen in Papierform einreichen müsse, sei das in anderen Ländern längst anders. "In England laufen Baugenehmigungsverfahren schon seit fünf Jahren digital. Da hinken wir in Deutschland hinterher."
Ein weiteres Ärgernis sei, dass es keine Bagatellgrenze gebe, wenn Bauunterlagen nicht ganz vollständig abgegeben werden. "Bei uns haben einmal drei Fahrradstellplätze gefehlt, dann kamen alle fünf Mappen, die wir einreichen mussten, zurück und alle gingen wieder in eine Bearbeitungsschleife", erinnert sie sich. "Das ist fast schon Schikane. Warum wird in so einem Fall keine Baugenehmigung erteilt mit der Auflage, drei zusätzliche Fahrradstellplätze einzurichten?", schlägt sie vor.
Bürokratie hemmt Markteinführung neuer Produkte
Obwohl gerade angesichts der Energiewende und des Klimawandels innovative Produkte gebraucht würden, hemme die Bürokratie deren Markteinführung. "In Deutschland vergibt nur ein einziges Institut, das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBT), die bauaufsichtliche Zulassung für neue Produkte in der Baubranche. Das ist zu wenig", stellt Dagmar Fritz-Kramer fest. Die Wartezeiten seien daher mitunter lang und ohne Zulassung dürfe ein neues Produkt nicht verbaut werden. "Wir haben jetzt ein Jahr nur auf einen Prüfplan gewartet. Da gibt es viele Engpässe. Wir haben tolle Produkte im Köcher, aber wir dürfen nicht schießen", sagt die Baufritz-Chefin. Sie fordert: "Produktzulassungen müssen auf breitere Beine gestellt werden. Das ist ein Nadelöhr."
Im Lebensmittelhandwerk stellen sich Esther Straub diese bürokratischen Hürden: "Für uns als Biounternehmen sind die gesamten Regelungen und Nachweispflichten unglaublich hoch", sagt die Geschäftsführerin der Brauerei Clemens Härle in Leutkirch. "Allein die Vorschriften, wie ein Etikett auszusehen hat, bringen einen fast um den Verstand." Alles sei bis aufs Kleinste vorgeschrieben, die Schriftgröße wie auch die Anordnung der Angaben auf zehntel Millimeter genau festgelegt.
Erhöhter Aufwand durch Neuregelungen zur Arbeitszeiterfassung
Das Arbeits- und Sozialrecht ist für Esther Straub ein weiterer Bereich, der für Bürokratie in ihrem Alltag verantwortlich ist. Neuerungen wie die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entpuppten sich als aufwendiger als vorher. Auch weil "die DSGVO verhindert, dass die Daten automatisch übermittelt werden dürfen". So kommt Esther Straub zu dem Schluss: "Die Bürokratie schießt oft über das Ziel hinaus."
Ärgerlich findet die Chefin von 50 Mitarbeitern auch, wenn fachfremde Leistungen wie die Energiepauschale von Arbeitgebern ausgegeben werden müssen. "Der Staat hat uns diese Aufgabe einfach übertragen, was für uns Aufwand bedeutet, obwohl wir nichts damit zu tun haben." Erhöhten Aufwand befürchtet Esther Straub nun bei den geplanten Neuregelungen zur Arbeitszeiterfassung. Diese stünden dem Wunsch der Arbeitnehmer entgegen, ihre Arbeitszeit flexibel gestalten zu können. "Die brauchen wir aber, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Wir leiden unter dem Fachkräftemangel und brauchen moderne Lösungen", sagt Esther Straub.
Die Stimmen der beiden Unternehmerinnen werden neben den Anregungen und Vorschlägen des Handwerks zum Bürokratieabbau sicherlich in Berlin gehört, denn beide sind Mitglied im Mittelstandsbeirat beim Bundeswirtschaftsministerium.