Familienbetrieb im Wandel der Zeit "Wenn man nichts Neues zu bieten hat, fällt man aus der Zeit"

Simon Sand wird einmal die Landmetzgerei seiner Familie übernehmen. Damit der Betrieb eine Zukunft hat, muss er am Puls der Zeit bleiben. Dabei setzt er auf neue Technik und traditionelle Qualität.

Stefan Guggenberger

Während der Arbeit halten Simon Sand (rechts) und sein Lehrling Maximilian (links) Abstand und tragen Masken. - © Stefan Guggenberger

Als zwei Polizeifahrzeuge vor dem Hoftor stehen, bekommt er ein mulmiges Gefühl. Es ist halb neun abends. Die Dezembernacht ist tiefschwarz, nur der Schein einer Straßenlaterne erhellt den Mannschaftsbus und den Streifenwagen. Aus der Beifahrertür des Busses steigt ein junger Polizist aus. Genervt ruft er in sein Funkgerät. "Was wollt ihr denn jetzt? Wir sind da". Die Antwort kann Simon Sand auf seinem zehn Meter entfernten Balkon nicht verstehen. Eine Polizistin, vielleicht Ende 30, steigt aus dem Streifenwagen. "Ich habe die Liste hier. Hoffe, du hast noch Geld dabei".

In diesem Moment versteht der 25-jährige Metzgermeister, der mit Jogginghose und T-Shirt am Balkongeländer lehnt, dass die Beamten nicht zum ihm wollen, sondern zu seinem Wurstautomaten. Bei dem kann man zwar nicht mit Bargeld zahlen, aber das werden sie noch früh genug merken.

Einige Wochen später sitzt Simon am Frühstückstisch. Es ist halb acht, die ersten Sonnenstrahlen erhellen das loftartige Wohnzimmer. Auf dem großen Tisch aus Naturholz steht ein Cappuccino. "Mittlerweile haben wir uns an die Polizeibesuche gewöhnt. Nach Übungen und Einsätzen holen die sich gerne noch Proviant, das kann dann auch Mitten in der Nacht sein". Auf einem Tablet checkt er die Verkaufszahlen von gestern. "Ziemlich leer. Vielleicht waren sie gestern wieder da", schmunzelt er.

Noch ein Schluck Kaffee, dann muss er los. Seit neun Jahren arbeitet er im heimischen Familienbetrieb, eine Landmetzgerei mit eigener Schweinehaltung im mittelfränkischen Ornbau. Erst als Lehrling, dann als Geselle und seit er 18 Jahre alt ist als Meister. Die typische Arbeitskleidung, weiße Hose und weißes Hemd, hat er schon an. Der Arbeitsweg ist kurz. Er muss nur ein Stockwerk nach unten und über den Hof. Neben den Verkaufsraum mit Glasfront ist eine silberne Tür, die in die Metzgerei führt. Der Arbeitsraum ist kühl und vom Boden bis zur Decke mit weißen Fliesen ausgelegt. Noch ist es ruhig. Der Brühkessel ist leer, die scharfen Messer hängen an der Wand und Fleischwolf steht stumm neben der Arbeitsfläche.

Familiengeführter Betrieb

Nur im Hintergrund hört man seinen Vater Robert Sand, der den Tumbler, eine Art Betonmischer für Fleisch, leert. "Der Tumbler massiert die Teile für den Kochschinken über Nacht im Vakuum. Dadurch tritt das Eiweiß aus, was für die Formung entscheidend ist und sie werden schön zart", erklärt Robert San. Wenn der 59-jährige Metzgermeister über die Kniffe seines Handwerks spricht, kann er den Stolz nicht verbergen. Er hat den Betrieb vor 21 Jahren gegründet .

In der Zwischenzeit ist auch Azubi Maximilian Bittel eingetroffen. Seit vier Monaten lernt der 16-Jährige das Fleischerhandwerk. Ein Bürojob kam für ihn nicht in Frage, er wollte einen ‚handfesten‘ Beruf. Der Lehrling und die zwei Meister arbeiten jetzt wie ein Uhrwerk. Sie wiegen, schneiden, würzen, stellen Kisten mit Fleisch von einem Ende des Raums zum anderen und immer wieder Waschen sie Hände und Schürzen. Jeder Weg ist bekannt, jeder Handgriff geübt. Zur Absprache brauchen sie nur kurze Kommentare. "Ich brauch fünf Schmetterlinge" oder "Mach mir mal sieben Kilo Eis". Stillstand gibt es hier nicht, aber es verfällt auch niemand in Hektik. Bis zum Mittag fertigen sie Wiener, Fleischwürste, Bierschinken und drei Sorten Schinkenwurst.

Kurz vor der Mittagspause kommt eine Verkäuferin mit einer leeren Schale in den Arbeitsbereich. "Eine Kundin braucht genau 800 Gramm Schweinelende", erklärt sie Simon Sand. "Vor allem die Jüngeren Kunden kochen heute strikt nach Rezept, das gibt es klare Anweisungen". Er wiegt eine Lende ab, die bringt es aber nur auf 750 Gramm. Also schneidet er noch ein Stück einer anderen ab. "Zwölf Gramm zu viel, dafür gibt es eine Scheibe Gelbwurst extra für die Tochter", bewertet er sein Ergebnis, während er die Schale wieder an die Mitarbeiterin übergibt.

Kundschaft wandelt sich mit der Zeit

In den letzten Jahren hat sich viel geändert, aber die obligatorische Gelbwurst bleibt. Früher haben eher die Hausfrauen eingekauft. Da gab es Aufschnitt für das Abendbrot und den klassischen Sonntagsbraten. Heute sind die Kunden diverser und haben andere Wünsche. Da gibt es beispielsweise die BBQ-Fanatiker, die eine Stück Schweinebauch zwölf Stunden im Smoker zubereiten. Oder die gesundheitsbewussten Singles, die kleinere Portionen mageres Fleisch bevorzugen, welches man schnell anbraten kann. "Tradition ist wichtig, aber wenn man nichts Neues zu bieten hat, fällt man aus der Zeit", stellt Sand in der Mittagspause fest. Um den Corona-Abstand zu halten, isst er allein. Während er seine Currywurst verspeist, erstellt er Postings für Facebook und Instagram. Mit den sozialen Netzwerken erreicht er die neuen Zielgruppen und kann über die Produkte Informieren. " Heute wollen die Kunden wissen wo ihr Essen herkommt. Für uns ist das kein Problem, wir haben nichts zu verstecken", erklärt er gelassen zwischen zwei Bissen.

Eigene Schweinehaltung

Am Nachmittag fahren Robert und Simon Sand dorthin, wo ihre Schweine untergebracht sind. Ein Höhlenstall, der etwa drei Fahrminuten von der Metzgerei entfernt liegt. Ihre weißen Hosen und Hemden haben sie gegen Jeans und wetterfeste Jacken eingetauscht. Von weitem ist nur die Überdachung der Stallmitte zu erkennen, die etwa einen Meter über den künstlich angehäuften Hügel hinausragt. Die beiden Metzger steigen über eine Rampe in den Mittelgang zwischen den Pferchen hinab. Links und rechts von ihnen bietet die Anlage Platz für etwa 180 Tiere. Pro Jahr verarbeiten sie etwa doppelt so viele. Hier leben die Schweine das ganze Jahr an der frischen Luft , können sich aber in warme Höhlen zurückziehen, die an den Enden der Pferche in das Erdreich führen. Einige Tiere stehen grunzend am Gitter zum Mittelgang und warten auf Futter. Simon Sand krault kurz die Stirn eines Tieres. Die Freude über die Zutraulichkeit der Sau ist erkennbar, ein weiches Lächeln zeichnet sein Gesicht. "Ich kann zwischen Nutz- und Haustieren unterscheiden, dass muss ich auch", stellt er klar. Montags schlachten sie etwa acht Tiere, genug für eine Woche.

Während sie das Wasser in den Tränken auffüllen, fällt Robert Sand eine Begegnung ein. Vor kurzem haben sie hier einen Landwirtschaftsstudenten getroffen. Die Hochschule Triesdorf ist nur einige Gehminuten entfernt. Der habe ich sehr über die fetten Schweine gewundert. "In der Industrie werden Schweine nur bis 90 Kilo gemästet, weil sie danach langsamer zunehmen und mehr Futter brauchen", erklärt er. "Uns ist das egal. Bei uns leben sie länger und setzen mehr Masse an. Dadurch wird die Qualität der Endprodukte besser", ergänzt Simon.

Wieder an der Metzgerei angelangt, packt der junge Metzgermeister einen Korb mit Waren für den Automaten. "Gestern Nacht sind uns die Pfefferbeißer ausgegangen, heute nehme ich lieber mehr mit, damit die Polizei auch bei Kräften bleibt", scherzt er. Mit dem vollen Korb schlendert er über den Hof zur 24/7-Brotzeitmaschine. Dort gibt eine ältere Frau gerade ihre Bestellung ein. Gekonnt tippt sie auf den großen Touchscreen, der an die Mittelkonsole eines Teslas erinnert. Eigentlich war der Automat für die Jüngeren gedacht, genutzt wird er aber von allen Altersgruppen. Gerade wegen Corona wollen viele unnötige Kontakte vermeiden und lassen sich daher lieber von der Maschine bedienen. "Eins hab ich schnell gelernt: Man darf die Kunden nie unterschätzen", sagt Sand, nachdem er sich von der Dame verabschiedet hat.

Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Reportage-Projekts des Master-Studiengangs Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt entstanden. Kooperationspartner war die Deutsche Handwerks Zeitung.