Vielen deutschen Flüssen geht es nicht gut – entsprechend leiden die Fische. Einige Bundesländer wollen dies durch eine Verschärfung sogenannter Mindestwassererlasse ändern. Damit fließt weniger Wasser direkt in Wasserkraftanlagen. Vergessen werden dabei oftmals die kleinen Wassermühlen. Müller fordern nun individuelle Bewertungen der Standorte statt pauschal strengerer Auflagen.

Wind- oder Wasserkraft – seit Jahrhunderten sind das die Energiequellen der Getreidemühlen – im Norden mehr den Wind, im Süden die Wasserkraft. Während es Windmühlen zur Getreideverarbeitung kaum mehr gibt, ist die Wasserkraft bei den Mühlen noch vielfach im Einsatz. Dabei braucht es zum Betreiben einer Mühle so viel an Strom, dass man die Technik durchaus als "energieintensiv" bezeichnen kann. Kleine Mühlen – und das ist die Mehrheit in Deutschland – können im Wettbewerb meist nur deshalb mithalten, weil sie den Strom selbst erzeugen und damit Kosten sparen.
So treibt auch das Wasser der Ulster in Osthessen Turbinen an, deren Stromproduktion direkt vor Ort genutzt wird. Jeden Tag vermahlt die Ulstermühle rund zehn Tonnen Getreide. Was viel klingt, ordnet Müllermeister Ralf Zinn dennoch als "kleine Mühle" ein. Seine Wasserkraftanlage kann allerdings noch mehr als nur Getreide zu mahlen. "Wir versorgen zusätzlich einen Großteil der Haushalte hier in Tann mit Strom", sagt Ralf Zinn. Seine Heimatstadt hat rund 3.500 Einwohner.
Wassermühlen: Wasserkraft zur Mehlherstellung
Wasserkraftanlagen produzieren klimafreundlichen Strom. Sie zählen zu den erneuerbaren Energien und dennoch müssen sie derzeit mancherorts um ihr "grünes" Image kämpfen. Naturschutz- und Wassersportverbände sehen sie kritisch, da in den künstlich angelegten Gefällen, Stauwehren und in den Turbinen Fische verenden und an ihren natürlichen Wanderungen flussauf- und flussabwärts gehindert sind. Außerdem wird der Wasserkraft vorgeworfen, zu wenig relevant zu sein für die Energiewende.
Nur etwas über drei Prozent der Gesamtenergiemenge in Deutschland erzeugt die Wasserkraft. Der Anteil an erneuerbarem Strom liegt bei rund acht Prozent. Insgesamt sind es aber dennoch rund 20 Milliarden Kilowattsunden Energie pro Jahr. Zudem bietet sie eine konstante Grundlast. Anders Wind, der nicht immer weht, und Sonne, die nicht durchgehend scheint, fließen die Flüsse immer weiter und treiben die Turbinen an. "Die Wasserkraft spielt eine immer wichtigere Rolle für das zukünftige Energiesystem, wenn es bei langfristig 100 Prozent Erneuerbaren darum geht, Regelenergie bereitzustellen, die Netze zu stabilisieren und zusätzliche Netzausbaukosten zu vermeiden", sagt Helge Beyer von der Arbeitsgemeinschaft Hessischer Wasserkraftwerke (AHW). Gemeinsam mit Anlagenbetreibern kämpft er derzeit gegen eine drastische Verschärfung des hessischen Mindestwassererlasses – und auch real darum, dass Wassermühlen nicht aufgegeben werden.
Anlagen können nur einen Teil der Wasserkraft ausschöpfen
Das Problem: Wasserkraftanlagen brauchen Flüsse mit Höhenunterschieden, durch die möglichst große Wassermengen fließen – in bergigen Lagen lässt sich dies einfacher realisieren. Das ist auch der Grund, warum man Wassermühlen hauptsächlich im Süden Deutschland findet – vornehmlich in Bayern, Baden-Württemberg und im mitteldeutschen Raum. Rund 70 Prozent der bayerischen und baden-württembergischen Mühlen nutzen nach Angaben des Verbands der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft (VGMS) die Wasserkraft zur Mehlherstellung. Dabei können allerdings die Anlagen zunehmend nicht mehr die volle Wasserkraft ausschöpfen. Es kommt nicht mehr genügend Wasser an den Turbinen an. Das schmälert ihren Ertrag und bringt auch einige Müller dazu, an der Wirtschaftlichkeit ihrer Betriebe zu zweifeln.
Der VGMS formuliert es drastischer: "Wegen überzogener, wenig angepasster umweltpolitischer Vorgaben beim Wasserschutz stehen viele moderne Wasserkraftanlagen, die die energieintensive Mühlentechnik versorgen, vor dem wirtschaftlichen Aus." Mit dieser Warnung hat sich der Verband an die Öffentlichkeit gewendet. Er weist auf ein Problem hin, dass sich in mehreren Bundesländern abzeichnet und in Hessen schon Realität geworden ist: Verschärfte sogenannte Mindestwassererlasse sorgen dafür, dass immer mehr Wasser an den Turbinen vorbeigeleitet werden muss. Das Ziel ist der ökologische Schutz der Gewässer und der darin lebenden Fische.
So bangt Ralf Zinn derzeit jeden Tag, ob er so weitermachen kann wie bisher. Noch kann seine Anlage den Großteil der Wasserkraft nutzen, um daraus Energie zu gewinnen. Doch ein verschärfter Mindestwassererlass sorgt dafür, dass dieser Großteil der Wassermenge schrumpfen soll. "Dann wird das Betreiben der Wasserkraftanlage unrentabel", sagt Zinn. In Gefahr wäre dann die 500 Jahre alte Mühle und die regionale Mehlversorgung in Tann. Noch hat Ralf Zinn keinen offiziellen Brief bekommen zum bereits 2018 verabschiedeten Mindestwassererlass in Hessen, den die Landkreise individuell umsetzen. Doch der Müllermeister kennt Kollegen, die bereits zum Handeln aufgefordert wurden.
Sind Wasserkraftanlagen umweltschädlich?
Das Problem ist ein deutschlandweites und es bringt Wasserkraftanlagen, die eigentlich für eine nachhaltige Energieproduktion stehen, in Verruf umweltschädlich zu sein. Naturschutz versus Klimaschutz. Hintergrund bildet die EU-Wasserrahmenrichtlinie. Sie formuliert das Ziel, die ökologische Qualität der Gewässer zu verbessern – unter anderem für mehr Artenvielfalt der darin lebenden Tiere. Vorgaben für Mindestwassermengen schreibt außerdem das Wasserhaushaltgesetz des Bundes vor. Um hierbei Pflichten zu erfüllen, gibt es die Mindestwassererlasse der Bundesländer, die wiederum von den Kreisverwaltungsbehörden durchgesetzt werden sollen. Das machen diese mal mehr, mal weniger streng. Außerdem haben die Länder unterschiedliche Mindestmengen bestimmt.
Mindestwassererlasse gibt es grundsätzlich schon sehr lange. Probleme, die sich jetzt zeigen, beziehen sich auf entweder bereits verabschiedete Verschärfungen wie in Hessen oder Pläne dazu wie etwa in Bayern. In Nordrhein-Westfalen dagegen will man an den geltenden Regelungen festhalten und keine verschärften Anforderungen umsetzen. "Hessen ist hier der Vorreiter und deshalb wollen wir darauf aufmerksam machen, welche Probleme entstehen", sagt Ralf Zinn, der sich auch in der Kampagne "Wasserkraft muss bleiben" der AHW einsetzt. Denn durch den neuen Erlass wird das Mindestwasser an vielen Standorten gegenüber der bisherigen Regelung bis zu verdrei- und sogar vervierfacht.
Wassermühlen verlieren bis zu 70 Prozent an Energie
Bislang ziehen also andere Bundesländer noch nicht nach. Doch in Bayern, dem Bundesland mit den meisten Wasserkraftanlagen und entsprechend vielen Wassermühlen, sind die Mindestwassererlasse auch immer wieder Thema. So berichtet Josef Rampl, der Geschäftsführer des Bayerischen Müllerbunds, dass es Pläne für Verschärfungen des Erlasses gab, die bei den Betrieben einen Verlust der Energieerzeugung von bis zu 70 Prozent ergeben hätten. "Das hätte besonders Mühlenbetriebe hart getroffen", sagt er. Derzeit sind diese Pläne vom Tisch, erledigt ist die Diskussion darum aber in Bayern wohl noch nicht.

Ralf Zinn hat für seine Wassermühle einen Verlust von 50 Prozent ausgerechnet, wenn denn sein Landkreis von ihm die Umsetzung des Mindestwassererlasses fordert. "Die Ulstermühle trägt sich kostenmäßig nur, wenn wir den Strom selbst erzeugen mit der Wasserkraftanlage", erklärt der Müllermeister. Doch seine Anlage sei auf eine bestimmte Wassermenge ausgelegt. Außerdem sieht er seine Art der Energieerzeugung auch als grundlegend dafür an, dass er seine Mahlerzeugnisse direkt an die Kunden in der Region verkaufen kann – ob an Bäckereien oder diejenigen, die in seinen Hofladen kommen. "Die Leute wollen Produkte aus nachhaltiger Herstellung, sie wollen damit auch etwas gegen den Klimawandel tun", sagt Zinn, der sich über den Streit um die Wasserkraft ärgert.
Wassermühlen fordern individuelle Bewertung
So werfen etwa Naturschutzverbände den Wasserkraftbetreibern vor, Fischbestände massiv zu bedrohen. "Da werden Fotos von geschredderten Fischen gezeigt, aber die sind Jahrzehnte alt", sagt der Müller. Wasserkraftanlagen, die heute in Betrieb sind, hätten Auf- und Abstiegshilfen für verschiedene Fischarten integriert. Feine Rechen seien eingebaut, die verhindern, dass überhaupt ein Fisch in die Turbinen kommt. Das bestätigt auch Helge Beyer und berichtet von vielfältigen technischen Möglichkeiten zum Schutz der Fische, die heute zur Verfügung stehen. "Dass wir hier immer in die Ecke der Umweltsünder gedrängt werden, stimmt mit der Realität in der Wasserkraft nicht überein", sagt er. Philipp Hawlitzky, Geschäftsführer der AG Wasserkraftwerke NRW, berichtet sogar, dass durch erhöhte Wasserabgaben in den Hauptlauf des Gewässers und veränderte Wasserführungen, die Funktionsfähigkeit bestehender Fischtreppen eingeschränkt werde.
Ralf Zinn kämpft dafür, dass man jeden Standort individuell betrachtet. "Wir brauchen eine Einzelfallentscheidung, denn nicht jedes Gewässer ist gleich gefährdet. Wenn eine Belastung vorliegt, muss man doch erst einmal die Gründe ermitteln und nicht pauschal einfach den Wasserkraftanlagen die Schuld geben", sagt er. Ähnliches fordert auch der VGMS: "Es wäre sinnvoll, die Überlegungen im Hinblick auf die Gewässerökologie wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Dabei helfen nur Einzelfallbetrachtungen bei den jeweiligen Anlagen vor Ort unter Berücksichtigung der Gewässereigenschaft und Fischpopulation", teilt der Verband auf Anfrage mit. Eine allgemein gültige, für alle Gewässer zutreffende und unter ökologischen Aspekten zielführende Mindestwasserregelung gäbe es nicht.
Viele Gründe, warum Gewässer belastet sind
Die Gründe, warum die ökologische Qualität eines Gewässers leidet, sind in der Tat vielschichtig. Nährstoffeinträge in die Gewässer, Belastungen des Abwassers aus Kläranlagen mit Hormonen und Pharmazeutika, die in die Flüsse gespült werden, zu starke Begradigungen und entsprechend unnatürliche Verläufe, die schwierig zu durchqueren sind für Fische und vieles mehr kann Gewässer und Fische belasten. Auch Wasserkraftanlagen – vor allem, wenn es zu viele an einem Fluss sind – können dazugehören, aber nicht grundsätzlich und nicht überall. Verbände wie der BUND fordern deshalb auch, dass keine neuen Anlagen gebaut werden sollten. Zudem sollten vorhandene Wasserkraftanlagen auf ihre Umweltwirkungen geprüft werden.
Dass an den Wasserkraftanlagen auch viele Getreidemühlen wirtschaftlich gekoppelt sind und dass diese zu 100 Prozent ihren Strom aus der Wasserkraft bekommen, gerät aus Sicht von Müller Zinn dabei den Politikern oft aus dem Blick. "Meine Alternative wäre ein Blockheizkraftwerk mit Dieselgenerator, wenn der Erlass so streng kommt", sagt er und fügt hinzu: "Das will heute ja keiner mehr – weder ich noch meine Kunden."