Auch Handwerksfirmen leiden zunehmend unter der Corona-Epidemie. Aufträge werden storniert oder können nicht mehr ausgeführt werden. Doch wer trägt am Ende den Schaden? Einheitliche Antworten gibt es nicht.
Christian Rath

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Epidemie bringen das öffentliche Leben immer mehr zum Stillstand. Und so wie es aussieht, wird sich die Situation in den kommenden Wochen eher noch verschärfen.
Dies betrifft natürlich auch viele Handwerksbetriebe - je nach Branche mehr oder weniger stark.
Auch die möglichen Konstellationen können pro Betrieb ganz unterschiedlich sein. Nehmen wir eine Metzgerei, die auch das Catering für Veranstaltungen übernimmt. Wenn Kongresse abgesagt werden, wird auch kein Catering benötigt. Gute Einnahmen drohen zu entfallen. Aber umgekehrt könnte auch die Metzgerei Probleme bekommen, ihre Aufträge für (weiterhin stattfindende) Familienfeiern zu erfüllen - zum Beispiel, weil Mitarbeiter krank sind oder in Quarantäne müssen oder weil sie keine Kinderbetreuung mehr haben.
Im Folgenden sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Lösung solcher Konflikte skizziert werden. Konkret kommt es natürlich immer auf die Details des Einzelfalles an.
Die Grundregel im Umgang mit Verträgen lautet bekanntlich: Verträge sind einzuhalten. Deshalb werden sie ja geschlossen. Beide Seiten wollen sich binden und vor allem wollen sie, dass die andere Seite gebunden ist. Der Auftraggeber will, dass der Handwerker verbindlich liefert. Und der Handwerker will, dass der Auftraggeber die vereinbarte Summe bezahlt.
Wenn alles klappt, profitieren beide.
In Zeiten der Epidemie klappt aber vieles nicht mehr. Was gilt nun?
Der erste Blick gilt dem Vertrag
Zunächst kommt es auf den Inhalt des konkreten Vertrages an. Enthält er passende Regelungen für das Problem? Je aktueller der Vertrag, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Epidemie und ihre Folgen schon absehbar waren und berücksichtigt wurden.
Auch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) gehören zum Vertrag - sofern sie wirksam vereinbart wurden. Völlig überraschende Bestimmungen sind ebenso unwirksam wie Klauseln, die eine Seite unangemessen benachteiligen.
Manche Verträge bestimmen ausdrücklich, was gilt, wenn "höhere Gewalt" die Umsetzung der Vereinbarung verhindert. Mittlerweile dürfte unstreitig sein, dass die Coronavirus-Epidemie ein Fall höherer Gewalt ist. Allerdings können die vereinbarten Folgen wiederum sehr vielfältig sein: von der automatischen Auflösung des Vertrags bis zu einer Pflicht, darüber zu sprechen, wie es weitergehen soll.
Unmögliches kann nicht verlangt werden
Falls der Vertrag nichts Passendes enthält, muss die Lösung im Gesetz gesucht werden. Wenn nichts anderes vereinbart wurde, gilt das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Weiterhelfen könnten in Corona-Fällen zum Beispiel die Regeln über die Unmöglichkeit (§ 275).
Wenn die Leistung unmöglich erbracht werden kann, entfällt die Leistungspflicht des Auftragnehmers. Er hat dann aber auch keinen Anspruch auf eine Gegenleistung, also auf die Bezahlung. Diese Regeln gelten nicht nur bei objektiver Unmöglichkeit, sondern auch wenn nur der konkrete Auftragnehmer nicht dazu in der Lage ist. Es genügt sogar, wenn die Unmöglichkeit erst nach dem Vertragsschluss eingetreten ist. Im Fall unseres Metzgers ist das Catering aber weiter möglich. Zutaten lassen sich besorgen, notfalls muss eben improvisiert werden. Solange das kranke oder verhinderte Personal ersetzt werden kann, ist auch das kein Fall der absoluten Unmöglichkeit.
Doch als zweiten Fall gibt es in § 275 auch die praktische Unmöglichkeit. Dann ist die Erbringung der Leistung zwar nicht absolut unmöglich, aber der Aufwand für den Auftragnehmer steht in keinem Verhältnis zum Erfüllungsinteresse des Auftraggebers. Wenn im Catering-Beispiel die Zubereitung von Straußen-Steaks durch einen australischen Koch vereinbart war, so könnte im Fall von dessen Verhinderung zwar ein anderer Koch aus Australien eingeflogen werden, doch das wäre völlig unverhältnismäßig. Hier könnte sich der Auftragnehmer ebenfalls auf die Unmöglichkeit der Leistung berufen, hätte aber wiederum keinen Anspruch auf Gegenleistung. Der Metzger müsste dabei dem Auftraggeber auch keinen Schadensersatz zahlen, denn er ist ja nicht schuld daran, dass sein Koch unpässlich ist.
Wegfall der Geschäftsgrundlage
Auch wenn die Leistung noch möglich ist, können sich doch die Bedingungen nach Vertragsschluss so verändert haben, dass ein Festhalten am ursprünglichen Vertrag für eine oder beide Seiten nicht mehr zumutbar ist. So können Krieg und sprunghafte Inflation zum Wegfall der Geschäftsgrundlage führen. Dasselbe gilt aber auch für Verhältnisse im Kleinen, die unausgesprochen dem Vertrag zugrunde lagen.
Mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage wird zwar häufiger argumentiert, als dass er tatsächlich passt, diesmal dürfte das aber anders sein. Eine Epidemie mit einem Erreger, der bis vor Kurzem noch unbekannt war, dürfte durchaus in diese Kategorie fallen. Dass die Behörden zur Eindämmung einer Epidemie die Durchführung von Kongressen verbieten werden, damit hatte vor Monaten sicher niemand gerechnet, weder Veranstalter noch Metzger. Und auch unser Metzger hatte sicher nicht erwartet, dass er wegen einer derartigen Epidemie plötzlich ohne eigenes Personal dasteht.
Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage gehört auch, wenn sich das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung für eine Seite extrem ungünstig entwickelt. Wenn etwa der Metzger zwar neues Personal für die Familienfeier finden würde, es aber aufwändig einlernen müsste, dann könnte das am Ende seine gesamte Kalkulation über den Haufen werfen. Man spricht in solchen Fällen auch von "wirtschaftlicher Unmöglichkeit"(obwohl es gerade kein Fall der oben angesprochenen "Unmöglichkeit" ist).
Voraussetzung für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage ist immer, dass das Risiko nicht zur Sphäre der beeinträchtigten Seite gehört und sie es deshalb tragen muss. So muss der Metzger zwar mit Krankheiten seines Personals rechnen, aber nicht mit einer bislang unbekannten Epidemie.
Auch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses kann es hier ankommen. Wer erst nach dem Auftauchen des Coronavirus einen Vertrag schloss, hätte mit der Epidemie-Gefahr rechnen müssen. Wer sie einfach nicht ernst nahm, kann sich später nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen.
Der Wegfall der Geschäftsgrundlage ist seit 2002 ausdrücklich im BGB geregelt (§ 313). Vorgesehen ist dort eine zweistufige Rechtsfolge.
Zunächst hat die benachteiligte Seite Anspruch auf Anpassung des Vertrags. Der Vertrag gilt dann mit dem Inhalt, den man vereinbart hätte, wenn die unerwarteten neuen Umstände schon bekannt gewesen wären.
Dabei kann die vertraglich vorgeschriebene Leistung ebenso angepasst werden wie die Gegenleistung, also die Vergütung. Denkbar ist hier vieles, von einer Erhöhung des Honorars für den Caterer bis zur Verschiebung des Termins der Leistung. Zunächst ist das wieder Verhandlungssache. Im Streitfall müssten dann Gerichte entscheiden, was gilt.
Nur wenn die Vertragsanpassung nicht möglich oder zumutbar ist, kann als zweite Stufe die benachteiligte Seite vom Vertrag zurücktreten. Wenn zum Beispiel völlig unklar ist, wie lange die Corona-Krise noch dauern wird, dann kann eine Rückabwicklung des Vertrags in Frage kommen.
Faire Lösungen suchen
Die Rechtslage ist also komplex und hängt von vielen Wertungen ab. Was ist unverhältnismäßig, was ist unzumutbar? In vielen Fällen dürfte am Ende nur ein Anspruch auf Vertragsanpassung stehen.
Es kann daher sinnvoll sein, wenn die Vertragsparteien auch ohne juristische Analyse erst einmal selbst versuchen, auf dem Verhandlungsweg faire Lösungen zu finden. Schließlich hat hier ja in der Regel niemand den anderen über den Tisch gezogen. Alle sind nur Leidtragende des gleichen Schlammassels. Und oft wird man ja auch in Zukunft zusammenarbeiten wollen.
Zu beobachten ist dabei auch noch, wie weit der Staat am Ende der Wirtschaft und dem Handwerk unter die Arme greift. In der vorigen Woche wurde die Zahlung von Kurzarbeitergeld erleichtert, zudem wurden Liquiditätshilfen auf Kreditbasis versprochen. Sollte die Corona-Krise sehr lange dauern, und geplatzte Geschäfte deshalb häufig nicht mehr nachgeholt werden, wird der Staat vermutlich auch Subventionen geben, um Unternehmen in unverschuldeten Notlagen zu retten. Bei der Suche nach fairen Lösungen zwischen den Vertragspartnern sollte auch diese Möglichkeit einbezogen werden.
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