Die Klischees stimmen: Führungskräfte arbeiten besonders viel, genauso Anwälte und Ärzte. In der Statistik der meisten Überstunden sind aber auch Hoch- und Tiefbauer, Metallbauer und Maurer vorne mit dabei. Überstunden gehören für viele zum Alltag. Aber wann sind sie zulässig und in welchen Fällen müssen sie ausbezahlt werden?

Arbeit nach Feierabend gehört in Deutschland zum Arbeitsalltag. Nach Angaben des Sozioökonomischen Panels variiert die Mehrbelastung zwar je nach Branche recht deutlich. In den Top Ten der Profession mit der höchsten Arbeitsbelastung finden sich allerdings auch diverse Handwerksberufe. So arbeiten vor allem Hoch- und Tiefbauer, Metallbauer und Maurer mehr als sie laut Arbeitsvertrag müssten.
Dieses Engagement ist einerseits lobenswert, wirft aber auch viele juristische Probleme auf. Was Arbeitnehmer und Arbeitgeber wissen sollten.
Wann sind Überstunden erlaubt?
Chefs dürfen Mehrarbeit nur für die vertraglich vereinbarte Tätigkeit verlangen, sagt Helga Nielebock. Die Rechtsexpertin beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Berlin verweist hier auf den Arbeitsvertrag, der das Ausmaß der Überstunden bestimmen muss. „Legen Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge engere Grenzen fest, gelten die.“
In der Regel ermächtigen Arbeitsverträge den Chef zudem dazu, Mitarbeiter zur Mehrarbeit zu verpflichten – etwa, wenn zu befürchten ist, dass ein besonders wichtiger Auftrag sonst nicht rechtzeitig erfüllt wird. Dennoch gilt: Kein Mitarbeiter ist verpflichtet, ständig mehr zu arbeiten, als in seinem Vertrag vereinbart ist. „Wenn dieser ein 40-Stunden-Woche vorsieht, bedeutet das nicht die Mindest, sondern Regelarbeitszeit“, sagt Michael Felser, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Brühl bei Köln. Arbeitgeber können zwar anordnen, dass ein Beschäftigter bei Bedarf länger bleiben muss. Grenzenlose Mehrarbeit dürfen sie aber auch von engagierten Mitarbeitern nicht verlangen. Vielmehr müssen sie sich in Sachen Überstunden an die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes halten.
Darin ist geregelt, dass Arbeitnehmer pro Woche normalerweise nicht mehr als 48 Stunden arbeiten sollen. Ein angestellter Schreiner, Fließenleger oder Dachdecker darf also grundsätzlich von Montag bis Samstag jeweils acht Stunden seiner Arbeit nachgehen, ohne gegen die Vorgaben des Gesetzes zu verstoßen. Sieht der Arbeitsvertrag eine klassische 40 Stunden Woche von Montag bis Freitag vor, sind daher acht Überstunden pro Woche problemlos erlaubt.
In Einzelfällen kann die Arbeitszeit sogar auf bis 60 Stunden pro Woche steigen. Grund: Das Arbeitszeitgesetz erlaubt ausnahmsweise auch eine tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden. Dann allerdings muss sichergestellt sein, dass sich die Durchschnittsbelastung für den betreffenden Kollegen innerhalb von sechs Monaten wieder auf acht Stunden pro Tag einpendelt. „Außerdem müssen zwischen zwei Schichten mindestens elf Stunden Ruhezeit liegen“, sagt Felser.
Darf ein Mitarbeiter “Nein“ zu Überstunden sagen?
Grundsätzlich müssen Arbeitgeber, die Mehrarbeit anordnen, auf die Belange ihrer Mitarbeiter Rücksicht nehmen. Wehrt sich also ein Kollege dagegen, länger zu bleiben, muss der Chef prüfen, ob nicht eine andere Person den Job übernehmen kann oder ob die Aufgabe wirklich so dringend ist. „Wenn der Angestellte zu einer bestimmten Zeit sein Kind aus der Krippe holen muss oder andere private Verpflichtungen hat, muss die Firma das akzeptieren“, sagt Rechtsanwalt Felser. „Arbeitnehmer haben grundsätzlich das Recht, Überstunden zu verweigern, wenn sie nicht durch echte Notfälle zur Mehrarbeit verpflichtet sind“, so der Jurist.
Regeln zu Überstunden im Überblick
1. Wer muss Überstunden leisten?
Nicht jeder Arbeitnehmer muss Überstunden leisten. Nur, wenn dies im Arbeits- oder Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung niedergelegt wurde, darf der Chef längere Arbeitszeiten einfordern.
2. Wie viele Überstunden sind in Ordnung?
Das Arbeitsgesetz regelt, dass nicht mehr als 48 Stunden pro Woche gearbeitet werden darf. Im Einzelfall ist eine 60-Stunden-Woche in Ordnung, wenn sie binnen 24 Wochen wieder ausgeglichen werden. In einem halben Jahr dürfen die 48 Wochenstunden also im Schnitt nicht überschritten werden. Die Gewerbeaufsicht verhängt hohe Bußgelder, wenn regelmäßig länger gearbeitet wird.
3. Was kann der Betriebsrat regeln?
Gibt es einen Betriebsrat, muss er der Überstundenregelung zustimmen und auch im Einzelfall zur Anordnung von Überstunden ja sagen. Rahmenvereinbarungen helfen zu vermeiden, dass man jeden Einzelfall diskutieren muss. Nur in Notfällen, zum Beispiel bei Naturkatastrophen, können Überstunden auch ohne Zustimmung des Betriebsrates angeordnet werden. Ein kranker Kollege ist in diesem Sinne kein Notfall.
4. Wie sollten Überstunden dokumentiert werden?
In vielen Unternehmen gibt es eine elektronische Zeiterfassung. Falls diese im Betrieb nicht vorhanden ist, sollten die Überstunden aufgeschrieben und vom Arbeitgeber unterzeichnet werden. Das schafft Rechtssicherheit für alle Beteiligten, denn ohne eine solche Dokumentation ist Streit über die Bezahlung programmiert.
Besteht ein Ausgleichanspruch bei Überstunden?
Wenn Arbeits- oder Tarifverträge keine konkreten Angaben zur Überstundenvergütung machen, gilt der alte juristische Grundsatz: Es kommt darauf an. Wenn der Chef die Mehrarbeit angeordnet oder stillschweigend den Stundenzettel abgezeichnet hat, der die Überstunden dokumentiert, kann der Arbeitnehmer ohne Weiteres eine Vergütung für die Extraschicht verlangen.
Gibt es hingegen weder eine ausdrückliche Regelung noch eine Anordnung oder Billigung, besteht kein genereller Anspruch auf eine Vergütung. Die Rechtsprechung entscheidet in solchen Fällen danach, ob der Arbeitnehmer nach den konkreten Umständen des Einzelfalles eine Vergütung erwarten durfte (BAG, Az. 5 AZR 765/10). In den meisten Fällen wird das allerdings der Fall sein. So hat das Bundesarbeitsgericht zum Beispiel klargestellt, dass vor allem Arbeitnehmer mit einem geringen Gehalt in der Regel Anspruch auf Extra-Geld für Extra-Leistungen haben. Im konkreten Fall ging es um einen Spediteur, der ein monatliches Bruttogehalt von 1.800 Euro bezog. Sein Arbeitsvertrag sah eine wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden vor und enthielt eine Klausel, wonach der Arbeitnehmer bei Bedarf zur Mehrarbeit ohne eine besondere Vergütung verpflichtet war.
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Mann eine Vergütung für insgesamt 968 in den Jahren 2006 bis 2008 geleistete Überstunden. Und er bekam Recht: Die Begründung der Bundesrichter: „Angesichts der Höhe des vereinbarten Bruttoentgelts war die Leistung von Überstunden nur gegen eine zusätzliche Vergütung zu erwarten". Außerdem habe der Mann gar nicht abschätzen können, wieviel Extraarbeit auf ihn zukommen werde. Der vertragliche Ausschluss jeder zusätzlichen Vergütung von Mehrarbeit im Arbeitsvertrag war daher wegen Intransparenz unwirksam (BAG, Az. 5 AZR 765/10).
Die Kehrseite der Medaille: Besserverdiener, deren monatliches Bruttogehalt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigt, dürfen nicht erwarten, ohne Weiteres Geld für Überstunden zu bekommen. (BAG, Az. 5 AZR 765/10). Wer ein Monatsbrutto von derzeit 6.700 Euro in den alten und 6.150 Euro in den neuen Bundesländern bezieht, muss also nach dem regulären Feierabend auch mal gratis arbeiten, wenn es keine anderslautenden vertraglichen Reglungen gibt.
Tipp: Arbeitgeber versuchen zum Teil, die Vergütung von Überstunden ganz zu umgehen, indem sie den Arbeitsvertrag mit einer Klausel versehen, wonach „etwaige Überstunden mit dem regulären Gehalt abgegolten sind.“ Derartig allgemeine Formulierungen reichen aber nicht aus, um Ansprüche der Beschäftigten abzuwenden. Damit eine Abgeltungsklausel gerichtsfest ist, muss der Arbeitsvertrag vielmehr klar definieren, bis zu welcher Menge Überstunden mit der regulären Vergütung abgegolten sind. Die Rechtsprechung lässt eine pauschale Abgeltung von bis zu 20 Überstunden pro Monat in der Regel zu.
Überstunden auszahlen lassen oder abfeiern?
Eine beliebte Alternative zur Vergütung von Überstunden ist es, den betroffenen Arbeitnehmern einen Freizeitausgleich zu gewähren, sie also in Zeiten geringerer Auslastung für ein paar zusätzliche Tage in Urlaub zu schicken. Das ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, klappt aber nur, wenn diese Möglichkeit ausdrücklich im Arbeitsvertrag niedergelegt ist. Steht dort hingegen zu lesen, dass Mehrarbeit in Geld bezahlt wird, muss dieses Geld auch tatsächlich fließen. Der Chef kann dann nicht anordnen, dass der Arbeitnehmer die Mehrarbeit abfeiert (BAG, Az. 9 AZR 307/00).
Wichtig ist zudem: Arbeitnehmer, die ein Recht auf Freizeitausgleich haben, können nicht nach eigenem Gutdünken festlegen, wann sie Überstunden abfeiern, sondern müssen die Termine mit dem Chef abstimmen.