Fallen Aufträge langfristig weg oder muss ein Arbeitgeber sein Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen umstrukturieren, steht nicht selten auch die ein oder andere betriebsbedingte Kündigung an. Aber welcher Arbeitnehmer muss dann als Erstes gehen? Der Arbeitgeber muss unter Umständen eine sogenannte Sozialauswahl treffen. So läuft sie ab.

Volle Auftragsbücher sind zwar im Handwerk meist noch der Regelfall, doch die hohen Energiekosten, anhaltende Probleme in den Lieferketten und die hohe Inflation belasten viele Betriebe. Die Baubranche spürt schon, dass im Neubaubereich die Aufträge zurückgehen. Verändert sich die wirtschaftliche Situation eines Betriebs stark und ist auch nicht absehbar, dass sich diese kurzfristig wieder ändert, kommt es oftmals zu betriebsbedingten Kündigungen.
"Es kann auch sein, dass Abteilungen wie etwa die Buchhaltung ausgelagert und von einem externen Dienstleister übernommen werden", erklärt Nils Wigger von der Kanzlei Wittig Ünalp eine weitere typische Situation für eine betriebsbedingte Kündigung. Als Fachanwalt für Arbeitsrecht muss er sich häufig mit betriebsbedingten Kündigungen beschäftigen. Gerade bei der Frage, wer dann zuerst gehen muss, kommt es häufig zu Rechtsstreitigkeiten.
Dabei entscheidet die sogenannte Sozialauswahl. Sie gibt soziale Kriterien vor, nach denen ein Arbeitgeber oder eine Arbeitgeberin abwägen muss. "Eine solche Auswahl muss man aber nur dann treffen, wenn es sich um gleichwertige Positionen im Betrieb handelt – also etwa, wenn man von fünf angestellten Malergesellen zwei betriebsbedingt kündigen möchte", sagt Nils Wigger. Ist nur ein Malergeselle angestellt und soll dieser den Betrieb verlassen und gleichzeitig kündigt man auch der Reinigungskraft, ist dagegen keine Sozialauswahl nötig.
Welche Kriterien entscheiden bei der Sozialauswahl?
Die Kriterien, die bei einer Sozialauswahl eine Rolle spielen, richten sich je nachdem, wie schutzwürdig eine Person ist. Dazu gehören:
- Die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter einer Person: "Viele Unternehmen wollen gerne die jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten, die statistisch gesehen weniger häufig krank sind und tendenziell weniger verdienen. Doch der Gesetzgeber will verhindern, dass den Älteren, die schwieriger eine neue Anstellung bekommen, zuerst gekündigt wird", sagt der Fachanwalt. Außerdem soll mit der Festlegung auf diese Kriterien eine Betriebstreue des Arbeitnehmers belohnt werden.
- Unterhaltspflichten: Bei der Sozialauswahl muss man berücksichtigen, wie stark ein Arbeitnehmer auf das Einkommen, das er mit einer angestellten Beschäftigung erzielt, angewiesen ist – vor allem dann, wenn noch weitere Personen wie Kinder von diesem Einkommen leben.
- Schwerbehinderung, die nach § 152 SGB IX vorliegt: Liegt eine Schwerbehinderung vor, gilt der betreffende Arbeitnehmer ebenfalls als besonders schutzwürdig. Auch dieses Kriterium spielt eine Rolle, wenn es darum geht, dass ein Unternehmen nach sozialen Aspekten entscheiden muss, wem er betriebsbedingt kündigt.
Betriebsbedingte Kündigung: Wie läuft die Sozialauswahl ab?
Geregelt muss die Sozialauswahl so sein, dass das betreffende Unternehmen eine Art Punktesystem erstellt. Dieses muss ein logisch nachvollziehbares Schema ergeben, nachdem die Auswahl erfolgt ist. "Beispielsweise kann man festlegen, dass es für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters einen Punkt gibt und, dass Unterhaltspflichten genauso wie vorliegende Schwerbehinderungen Sonderpunkte mit sich bringen. Dies zählt man dann pro Arbeitnehmer aus", erklärt Nils Wigger.
Das Schema könne aber auch anders aussehen, hierzu gibt es keine Vorgaben des Gesetzgebers. "Die jeweilige Gewichtung kann mit Argumenten, die individuell zum Betrieb passen, erläutert werden", sagt der Anwalt für Arbeitsrecht. So kann die Gewichtung etwa bei einem Familienbetrieb anders sein als bei einem eher größeren Unternehmen. Außerdem kann man bestimmte Leistungsträger im Betrieb von der Sozialauswahl ausnehmen – ebenfalls mit gut vorbereiteter Begründung. Gemeint sind hier besondere Fähigkeiten oder Qualifikationen, die ein Mitarbeiter hat – etwa eine Fremdsprache, die nur er oder sie spricht, so dass nur der betreffende Arbeitnehmer Absprachen mit einem wichtigen Geschäftspartner treffen kann.
Genau das sind die Fallstricke, über die Unternehmen immer wieder stolpern bei der Sozialauswahl einer betriebsbedingten Kündigung. "Kommt es zu einem Gerichtsverfahren, weil sich der Arbeitnehmer gegen die betriebsbedingte Kündigung wehrt, muss der Arbeitgeber seine Auswahl logisch begründen können", so Wigger. Er rät jedem Unternehmen dazu, sich gut vorzubereiten – schon bevor eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen wird.
Wichtig: Arbeitgeber muss Gründe für die betriebsbedingte Kündigung darlegen
Und das gilt sogleich dafür, dass die betriebsbedingte Kündigung an sich, angezweifelt wird. "Auch das geschieht häufig", berichtet der Fachanwalt. Anders als bei einer verhaltensbedingten Kündigung, wenn es um das individuelle Verhalten eines einzelnen geht und meist um Fehler, die der oder die Betreffende gemacht hat, geht es bei der betriebsbedingten Kündigung um den Arbeitsbedarf des gesamten Betriebs.
"Verringert sich dieser langfristig und kann der Arbeitgeber das belegen, so kommt eine betriebsbedingte Kündigung in Frage. Wichtig ist aber auch hier die Begründung, die der Unternehmer vorbereiten sollte", sagt Wigger. Der Arbeitgeber muss seine unternehmerische Entscheidung, die zum Personalabbau führt, nachvollziehbar begründen. Dabei spielt es außerdem eine Rolle, ob der Arbeitnehmer an anderer Stelle im Betrieb eingesetzt werden kann oder ob der Bedarf an seiner Arbeitskraft grundsätzlich wegfällt.