Entwicklung nach Maß So kommen Handwerker zur eigenen Software

Standardprogramme können nicht immer die speziellen Anforderungen von Handwerkern erfüllen. Der Weg zur eigenen Software ist allerdings mühsam. Für wen sich Individualsoftware eignet und welche Förderung es gibt.

Steffen Guthardt

Digitales Werkzeug: Für die eigene Software sollte der Handwerker einen "Bauplan" erstellen. - © StockPhotoPro – stock.adobe.com

Vor rund drei Jahren kam Dachdecker Simon Schlögl aus München auf die Idee, eine Online-Plattform für Handwerker aufzubauen, über die Lagerbestände und Materialreste untereinander gehandelt werden können. Daraus ist inzwischen ein vielversprechendes Geschäftsmodell erwachsen, das mehrere Auszeichnungen erhalten hat (siehe Unternehmensporträt) .

Doch bis dahin war es ein beschwerlicher Weg. Um sein Start-up im Handwerk zu verwirklichen, benötigte Schlögl zunächst eine Software für die Vermittlungsplattform. Schnell stellte er jedoch fest, dass keine der auf dem Markt angebotenen Software-Baukästen seine speziellen Anforderungen erfüllen. Schlögl entschied sich deshalb dazu, eine eigene, maßgeschneiderte Software entwickeln zu lassen.

Anfragen diverser Branchen

Damit steht er nicht allein da. Immer mehr Handwerker benötigen für ­Arbeitsprozesse, Maschinenkommunikation oder Online-Shops spezielle Softwarefunktionen, die von den auf dem Markt vorhandenen Programmen nicht abgedeckt werden.

"Wir bekommen dazu Anfragen querbeet durch alle Branchen", sagt Georg Räß, Technologie- und Innovationsberater der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Räß nennt zum Beispiel einen Zimmerer, der eine Zeiterfassung und eine Baudokumentationssoftware in Auftrag gegeben hat, einen SHK-Handwerker, der seine Kundendienstdokumentation digitalisiert hat oder einen Schreiner, der seinen Kunden einen Online-Konfigurator für Möbel anbietet.

"Eine Individualsoftware programmieren zu lassen, ist jedoch nur sinnvoll, wenn es die gewünschte Funktionalität in einer Standardlösung nicht gibt", schränkt Michael Heil, Repräsentant des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums Planen und Bauen – Teilzentrum Mitte (Handwerk), ein. Nach seiner Einschätzung wird der Funktionsumfang der auf dem Markt vorhandenen Softwareprodukte und Branchenanwendungen oft nicht vollständig durchdrungen. "Viele Betriebe kennen die Möglichkeiten ihrer Standardsoftware gar nicht. Oft kann sie deutlich mehr als gedacht", sagt Heil. Er sieht den Bedarf für Individualsoftware vor allem bei sehr technisch orientierten Betrieben, wie etwa Anlagentechniker oder Zulieferer der Kfz-Branche, die spezielle Software zur Maschinensteuerung benötigen, um individuell gefertigte Teile herstellen zu können. "Für einen Maler, Fensterbauer oder Fliesenleger deckt die erhältliche Branchensoftware in der Regel alle Bedürfnisse ab."

Branchenlösungen prüfen

Bevor ein Handwerker sich für die in der Regel kostspielige Entwicklung einer Individualsoftware entscheidet, sollte deshalb geprüft werden, ob es nicht schon ein Produkt gibt, das den Einsatzzweck erfüllt. Heil empfiehlt Handwerksbetrieben, sich im ersten Schritt an die Hersteller ihrer Maschinen zu wenden und zu erfragen, ob sie keine Software zur Verfügung stellen können, mit der die im Betrieb befindlichen Geräte miteinander kommunizieren können. "Die Maschinenhersteller müssen dazu ihre Schnittstellen offenlegen", erklärt Heil.

Betroffene Unternehmen könnten sich auch an ihre Fachverbände oder die Handwerkskammern wenden. Diese geben den Betrieben Auskunft darüber, ob ihnen nicht eine andere Firma in der Branche bekannt ist, die vor einem ähnlichen Problem steht oder gestanden hat. "Möglicherweise gibt es die Möglichkeit, in einer Art Crowdfunding-Projekt gemeinsam mit anderen Betrieben eine Branchensoftware zu entwickeln und die Kosten untereinander aufzuteilen", sagt Heil. Georg Räß von der Handwerkskammer für München und Oberbayern empfiehlt ebenfalls, dass betroffene Betriebe sich im ersten Schritt umfassend informieren und beraten. "Die Kammer kann Kontakte zu Betrieben mit ähnlichen Erfahrungen herstellen. Meistens profitieren die Betriebe stark davon, sich mit anderen Handwerkern auszutauschen, die die gleiche Sprache sprechen, bevor sie sich an einen Programmierer wenden", sagt Räß.

Mein Freund der Entwickler

Er beobachtet, dass sich vor allem IT-affine Handwerker mit Individualsoftware beschäftigen. "Oft sind es Leute, die schon in der Familie oder im Bekanntenkreis Kontakte zu Programmierern haben und so auf die Idee kommen, ein spezielles Produkt für ihre Firma anfertigen zu lassen."

So war es auch bei Simon Schlögl. Sein Bruder und Mitgründer konnte bei der Programmierung der Software auf einen befreundeten Entwickler zurückgreifen. Aus Sicht von Schlögl war das ein echter Glücksfall, da es nach seiner Erfahrung äußerst schwierig ist, einen guten Programmierer mit freien Ressourcen zu finden. "In München werden im Radio schon Werbespots von Firmen geschaltet, um Programmierer für sich zu gewinnen", berichtet er. Schlögl hat sich dennoch nicht sofort für die Bekanntschaft seines Bruders entschieden, sondern ein weiteres Angebot eingeholt, um Leistungen und Preise miteinander vergleichen zu können. "Ich habe umfangreich im Internet recherchiert und mir die Referenzen der Anbieter angeschaut", sagt Schlögl. Nach seiner Meinung geben die Referenzen schon einen guten Hinweis darauf, ob es sich um ein seriöses und etabliertes Softwarehaus handelt.

Berater zur Seite holen

Michael Heil empfiehlt bei der Suche nach einem geeigneten Anbieter auch den Kontakt zu den regionalen Kompetenzzentren des digitalen Handwerks zu suchen. "Handwerker brauchen einen neutralen Berater, der über den Tellerrand hinausschaut, den Markt und spezifische Branchenkenntnis hat", sagt Heil. Aus seiner Sicht wäre es ein Kardinalfehler, ohne jegliche Beratung direkt ein Softwarehaus mit einer Programmierung zu beauftragen. "Die Gefahr ist groß, dass ich als Handwerker dann am Ende nicht das bekomme, was ich mir eigentlich versprochen habe, weil mir die Kompetenz in dem Bereich fehlt", so Heil. Er schränkt allerdings ein, dass die Experten von Kammern und Kompetenzzentren zwar beraten und das Projekt begleiten, aber nicht direkt ein bestimmtes Softwarehaus empfehlen dürfen. "Das wäre sonst die Bevorzugung eines Anbieters", sagt auch Georg Räß.

Die genannten Stellen können jedoch Zugang zu Informationen mit Marktvergleichen bieten und kennen die Referenzen und Partner der Softwarehäuser. Außerdem können sie Handwerker an die geprüften Berater in der Förderdatenbank von "Go-Digital" vermitteln, einem Programm des Bundeswirtschaftsministeriums, das die Digitalisierung von Geschäftsprozessen in kleinen und mittleren Unternehmen fördert (siehe Kasten).

Bauplan für Software erstellen

Trotz aller Hilfestellung liegt es am Ende am Handwerksbetrieb selbst, sich darüber bewusst zu werden, wofür er die Software genau benötigt und was sie können muss, stimmen Räß und Heil überein.

Simon Schlögl hat dies bei der Planung seiner Software genau befolgt. "Das war vergleichbar mit einem Hausbau. Ich habe einen Bauplan entworfen und diesen so gut wie möglich vom Papier in die Software gebracht", sagt Schlögl. Neben Skizzen auf Papier hat sich Schlögl von einem Grafikdesigner so genannte Mock-ups erstellen lassen. Das sind Anschauungsmodelle der Software in Form von digital erstellten Mustern. "Je genauer die Vorlagen sind, desto leichter ist es später, dem Programmierer zu vermitteln, was ich haben möchte." Schlögl hält es außerdem für unverzichtbar, die Programmierung von Anfang bis Ende zu begleiten. Die Entwürfe einfach abzugeben und dann zu warten, bis die Software fertig ist, wäre aus seiner Sicht fatal, weil sich im Nachhinein größere Korrekturen nur noch mit erheblichem Mehraufwand und Zusatzkosten umsetzen ließen.

Nicht zurücklehnen

So hat sich Schlögl alle paar Wochen mit den Programmierern zusammengesetzt und mit ihnen über die Zwischenstände diskutiert. "Dabei ist es ganz wichtig, dass die Chemie stimmt, damit die Übersetzungsleistung zwischen Handwerker und Programmierer funktioniert und das Projekt gelingt", sagt Schlögl. Man brauche dafür nicht zwangsläufig Programmierkenntnisse, aber es sei sicher von Vorteil, Interesse für digitale Themen mitzubringen.

Von der ersten Idee bis zur einsatzbereiten Software hat es bei ­Simon Schlögl insgesamt eineinhalb Jahre gedauert. Doch damit ist die Entwicklung noch immer nicht abgeschlossen. "Das ist ein fortwährender Prozess. Immer wieder fallen uns oder unseren Kunden Verbesserungsvorschläge ein, die wir in die Software einfließen lassen."

Für jede Aktualisierung am Produkt muss Schlögl für den Programmierer ein Stundenhonorar von circa 100 Euro einkalkulieren. Die gesamte Entwicklung der Individualsoftware hat ihn bereits einen mittleren fünfstelligen Betrag gekostet. Hinzu kommen die laufenden Kosten für die Wartung und Aktualisierung des Produkts, damit es z.B. kein Einfallstor für Hackerangriffe bietet. "Bei einer Individualsoftware sind die Wartungskosten ungleich höher als bei einer Standardsoftware", weiß Fachexperte Heil.

Fördermittel nutzen

Die Investitionen hat Schlögl zum größten Teil aus eigener Tasche ­finanziert, weil er zum Zeitpunkt der Entwicklung kein für ihn passendes Förderprogramm gefunden hat. Für ein nachträglich eingebautes Feature in der Software hat er sich 50 Prozent der Kosten fördern lassen.

Die Experten Heil und Räß empfehlen, sich unbedingt über die verschiedenen Fördermöglichkeiten zu informieren. Oft ließen sich erhebliche Teile der Investitionen fördern und damit lasse sich das Entwicklungsrisiko senken. Für innovative Entwicklungsvorhaben können Kooperationen mit Forschungseinrichtungen wie dem Fraunhofer-Institut oder mit Hochschulen sinnvoll sein. Die Fachleute raten außerdem dazu, alle Mitarbeiter im Betrieb intensiv im Umgang mit der neuen Software zu schulen und einen Softwareverantwortlichen zu benennen. "Hier wird oft am falschen Ende gespart", merkt Heil an.

Rechtliche Stolperfallen

Und die Experten weisen auf noch ein wichtiges Thema hin, dass oftmals stiefmütterlich behandelt wird: Die rechtlichen Spielregeln beim Einsatz von Software. "Der Betrieb muss sich etwa damit beschäftigen, ob der Einsatz seines Produkts konform mit der Datenschutz-Grundverordnung ist, wenn dort zum Beispiel personenbezogene Daten verarbeitet und gespeichert werden", sagt Heil. Mindestens genauso wichtig sei für Betriebe die Einhaltung der Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD). Räß fügt hinzu, dass es etwa auch rechtliche Vorgaben gibt, die einen Weiterverkauf oder eine Sublizenzierung der Individualsoftware untersagen, wenn diese zum Teil mit Fördermitteln ­finanziert wurde.

Für alle Handwerker, die sich von diesen Hürden nicht abschrecken lassen und mit einer maßgeschneiderten Software liebäugeln, hat Schlögl noch einen Tipp parat: Ganz wichtig sei es, alle Rechte am Produkt zu besitzen und sich vom Entwickler den Quellcode der Software aushändigen zu lassen. Nur so habe der Handwerker die Weiterentwicklung seines Produkts selbst in der Hand und kann sicherstellen, nicht für alle Zeiten auf denselben Programmierer angewiesen zu sein.

"Ansprechpartner für Bau- und Ausbaubetriebe"

Michael Heil
m.heil@ebusiness-kompetenzzentrum.de

Kostenloser Digitalisierungscheck unter ebusiness-kompetenzzentrum.de