Drei Konzepte aus drei Branchen 3 Beispiele erfolgreicher Digitalisierung im Handwerk

Das Handwerk wird oft als Nachzügler bei der Digitalisierung genannt. Zwei Start-ups und ein alteingesessener Handwerksbetrieb zeigen, wie sich mithilfe digitaler Prozesse ein erfolgreiches Geschäftsmodell aufbauen lässt.

Steffen Guthardt

Das Maßschuhgeschäft von Matthias Vickermann (li.) und Martin Stoya ist längst etabliert. Nun startet Vickermann ein Reparatur-Start-up. - © Shoedoc

Beispiel I: Reparaturplattform für Schuhe

Ob abgebrochene Absätze, eingerissene Laschen oder abgelaufene Sohlen – trotz ruckläufiger Zahlen werden noch rund acht Millionen Schuhe pro Jahr in Deutschland repariert. Das geht aus Zahlen des ­Statistischen Bundesamtes hervor. "Wenn wir von diesem großen Markt in ein paar Jahren nur ein Prozent abbekommen, wären das 80.000 zu reparierende Schuhe", sagt Matthias Vickermann euphorisch. Seit knapp drei Monaten ist Vickermann mit seinem Schuhreparatur-Start-up Shoedoc auf dem Markt. Über die Website des Unternehmens können die Kunden ihren Reparaturauftrag starten und ihr abgenutztes Schuhwerk per Paketsendung einschicken. Nach wenigen Tagen bekommt der Kunde seine reparierten oder gereinigten Schuhe wieder zurück.

Marktumfeld verändert sich

Die Idee für das Start-up ist Vickermann gekommen, weil immer mehr Kunden den Reparaturservice des Maßschuhgeschäfts in Baden-Baden genutzt haben. Den Handwerksbetrieb, der längst über die Kurstadt im Schwarzwald hinaus bekannt ist, hat Vickermann vor 15 Jahren mit seinem Geschäftspartner Martin Stoya gegründet.

"Ich habe mir dann überlegt ein PDF zum Ausdrucken auf unsere Website zu stellen, auf dem Kunden eintragen können, was an ihren Schuhen gemacht werden soll", sagt Vickermann. Kunden aus ganz Deutschland und sogar der Schweiz haben sich das PDF ausgedruckt und ihr marodes Schuhwerk zur Reparatur zugesendet. "Das lief wie von selbst, ohne dass wir dafür Werbung gemacht haben", erinnert sich Vickermann.

Viele der Pakete kamen aus Städten und Regionen, in denen es kaum noch klassisch ausgebildete Schuhmacher gibt. Denn das Handwerk kämpft mit einem veränderten Marktumfeld. Kostengünstig produzierte Schuhe aus Billiglohnländern verleiten Verbraucher dazu, ihre Schuhe nach ein paar Jahren wegzuschmeißen und sich neue zu kaufen, anstatt sie zur Reparatur zu bringen.

Service steht an erster Stelle

Aus dem PDF auf der Website von ­ Vickermann und Stoya ist inzwischen eine eigene digitale Plattform geworden. Das Angebot soll in den nächsten Monaten stetig verbessert werden. Geplant ist u. a. ein Premiumservice. Dieser enthält einen Retourenkarton samt Rücksendeaufkleber, Schuhbeutel und Füllmaterial, der den Kunden direkt nach Hause gebracht wird. Das Paket mit den zu reparierenden Schuhen wird dann am nächsten Tag vom Postboten wieder abgeholt und in der Werkstatt von Vickermann & Stoya bearbeitet. "Wir planen ein Rundum-sorglos-Paket. Der Kunde muss sich um nichts weiter kümmern." Auch über eine App denkt Vickermann nach, mit der die Kunden an einem Foto des Schuhs markieren können, was repariert werden soll.

Trotz der Digitalisierung soll der Service persönlich bleiben . Jedem Paket liegt eine Grußkarte mit der Unterschrift des Handwerkers bei, der den Schuh repariert hat. Auch ein Schuhbeutel mit dem Logo des Unternehmens gehört dazu. "Unser Ziel ist es, dass für den Kunden gar kein Zweifel besteht, auch sein nächstes paar Schuhe bei uns reparieren zu lassen." Wichtiger als die Zahl der Neukunden ist Vickermann deshalb die Nachbestellerquote.

Pro Kunde erwirtschaftet Shoedoc bereits kurz nach dem Start einen Umsatz von 80 Euro . In circa zwei Jahren will Vickermann mit seinem Start-up Gewinn machen und dann weiter wachsen. Sein Ziel ist eine eigene Gewerbehalle für Shoedoc mit mehreren neuen Mitarbeitern.

Beispiel II: Mit dem Videochat zum neuen Bad

Mareike Wächter und Michael Dreimann haben sich nach ihrer Studienzeit bei einer Beraterfirma kennengelernt. Einige Jahre später haben sie das Handwerker-Start-up Banovo gegründet, das auf die digitale Badplanung spezialisiert ist. Die Idee dazu entstand während einer Haussanierung von Dreimann. Er empfand den Markt an Anbietern als sehr intransparent und suchte vergeblich nach einem Komplettpaket inklusive Festpreis für die gesamte Badsanierung. "Das ist ein sehr komplexes Thema. Wer ein Bad nach seinen Vorstellungen sanieren will, muss in der Regel erstmal eine Großhandelsausstellung besuchen und dann die benötigten Gewerke alle unter einen Hut bekommen", sagt Wächter. Über die Plattform will Banovo die Vorteile von lokalen Anbietern und Online-Handel vereinen.

Badplanung per Software

Kunden können über die Website zunächst ein Beratungsgespräch vereinbaren, während dem sie dem Badplaner von Banovo erklären, wie ihr neues Bad aussehen soll. Anschließend schickt der Interessent Fotos und eine Skizze von seinem bisherigen Bad per E-Mail an Banovo. Im nächsten Schritt findet die 3-D-Planung des neuen Bades über eine Webanwendung am Computer statt. Dabei tritt der Kunde per ­Videochat mit dem Berater von Banovo in Kontakt. Die Software greift auf die originalen Produktdaten der Hersteller zu, um ein detailgetreues Modell des Bades erstellen zu können. Danach findet ebenfalls digital ein Kalkulationstermin statt und der Kunde erhält einen Kostenvoranschlag. Erst nach dem folgenden Aufmaß vor Ort muss sich der Kunde entscheiden, ob er den Auftrag erteilen möchte. "Bis hierhin entstehen keinerlei Kosten", betont Wächter und versichert: "Das Angebot was der Kunde erhält, ist ein Festpreis. Spätere Kostenüberraschungen bleiben aus."

Bei einer Haussanierung sind Michael Dreimann und Mareike Wächter auf die Idee eines digitalen Badplaners gekommen. - © Banovo

Bei der Werkplanung, Bauleitung und Projektsteuerung setzt Banovo auf eigene Mitarbeiter. Dagegen zieht das Unternehmen bei der Ausführung vor Ort neben einem kleinen Team an angestellten Handwerkern auch andere Handwerksbetriebe hinzu. Damit soll der Service von Banovo fast bundesweit verfügbar sein.

"Wir richten uns vor allem an Handwerksbetriebe mit freien Auftragsspitzen. Der Handwerker hat keinen Verwaltungsaufwand und muss sich nur um die Dienstleistung vor Ort kümmern. Alles andere erledigen wir", so Geschäftsführerin Wächter. Vertragspartner des Kunden und in der Haftung ist Banovo.

Ein Selbstläufer war das Geschäftsmodell zunächst nicht. Manche Handwerker beäugten den neuen Marktteilnehmer skeptisch, gibt Wächter zu. Rund vier Jahre später hat sich die Plattform jedoch etabliert und ist auch in der Handwerksorganisation anerkannt. "Wir engagieren uns zum Beispiel in der SHK-Innung München", sagt Wächter.

Viel Potenzial im Markt

Mit finanzstarken Investoren im Rücken ist es Banovo gelungen, sehr schnell zu wachsen. Deutlich mehr als 1.000 Badsanierungen hat der Betrieb bereits ausgeführt und den Umsatz jährlich verdoppelt. Das Potenzial sieht Wächter noch lange nicht ausgeschöpft: "Bei deutschlandweit mehr als einer halben Million Badsanierungen pro Jahr ist unser Marktanteil noch sehr überschaubar", so die Geschäftsführerin.

Investieren will Banovo in den nächsten Jahren in die Digitalisierung. Die Weiterentwicklung der eigenen Unternehmenssoftware soll die Prozesse noch effizienter, genauer und kundenfreundlicher machen.

Beispiel III: Eine Software für alle Prozesse

Ein bisschen verrückt, aber im positiven Sinne. So beschreiben seine Kollegen Malermeister Frank Oswald aus dem hessischen Geisenheim. Mit großer Leidenschaft hat er sich der Digitalisierung seines Handwerksbetriebs verschrieben und steht dabei jeder neuen Idee und Innovation offen gegenüber. Oswald sieht in sich so etwas wie einen Botschafter des Handwerks, der seinem Berufsstand ein modernes Image verleihen möchte.

Diensthandys für Belegschaft

Angefangen hat alles Anfang der 2000er-Jahre, als er das Familienunternehmen Adam Oswald GmbH von seinem Vater übernommen hat. "Damals war die Digitalisierung bei uns noch ein Fremdwort", erinnert er sich. Als erste Maßnahme hat Oswald eine Branchensoftware angeschafft, mit der die Arbeitsprozesse im Betrieb abgebildet werden können. Kurz danach, zu einer Zeit, als das iPhone noch längst nicht entwickelt war, wurden für die gesamte Belegschaft Diensthandys angeschafft. Das gefiel zunächst nicht jedem der damals rund 15 Mitarbeiter. "Sie hatten Bedenken, dass sie mit den Handys nun rund um die Uhr überwacht werden. Ich habe ihnen dann in einer Betriebsversammlung die Ängste genommen und erklärt, dass es nur darum geht, einfacher die Arbeitszeiten auf der Baustelle zu erfassen."

Seit Frank Oswald (re.) den Maler- und Lackiererbetrieb von seinem Vater übernommen hat, setzt er konsequent auf Digitalisierung. - © Adam Oswald GmbH

Über die Jahre hat Oswald vor allem die Branchensoftware weiterentwickelt, bei der er von Anfang an seine Ideen eingebracht hat. Die Automatisierung von Prozessen ist ihm dabei ganz wichtig. "Wenn z.B. ein Kunde in der Firma anruft, geht ­direkt ein Anrufformular am Computer auf, in dem Gesprächsnotizen vermerkt werden können", erklärt Oswald. Die gesamte Projektabwicklung wird von der Software erfasst, kategorisiert und mit Statusmeldungen versehen. Bis zum Auftragsabschluss erhalten die Mitarbeiter vom System Hinweise, was noch zu erledigen ist, welche Genehmigungen einzuholen sind und welches Material bestellt werden muss.

Oswald gibt zu, dass bei der Softwareentwicklung nicht immer alles reibungslos funktioniert. "Das Ganze läuft nach dem Try-and-error-Prinzip. Es gibt immer wieder frustrierende Momente, wo etwas nicht funktioniert oder nach einem Update nicht mehr läuft", sagt Oswald. Auf die Technik zu verzichten ist jedoch keine Option. Das sei wie mit elektrischen Fensterhebern im Auto. "Wenn ich mich daran gewöhnt habe, will ich auch nicht mehr kurbeln wie früher." Dabei achtet Oswald stets darauf, alle seine Mitarbeiter bei der Digitalisierung mitzunehmen. Regelmäßig veranstaltet er interne IT-Schulungen für neue Anwendungen. Unter dem Strich würde die Technik die Arbeit erleichtern, beschleunigen, standardisieren und damit Fehler minimieren. "Mit unserem Digitalkonzept können wir auch bei der Suche nach Fachkräften punkten", sagt Oswald.

Pilotbetrieb in der Forschung

Damit der Betrieb bei der Digitalisierung vorne dabei bleibt, beteiligt er sich regelmäßig an Forschungsprojekten der Bundesministerien. Pilotbetrieb war die Firma zum Beispiel beim Förderprojekt SmartWerk, das den Einsatz intelligenter Assistenzsysteme im Bauhandwerk mit Hilfe von Datenbrillen untersucht. Auch bei Projekten zum Einsatz von Building Information Modeling oder der Gefährdungsbeurteilung von Handwerkern mit Sensoren und Wearables ist Oswald dabei. Dass er irgendwann genug von der Digitalisierung hat, kann sich der Malermeister nicht vorstellen. Gerade ist er dabei, eine Online-Buchungsplattform für seine Kunden aufzubauen.