Nicht erst seit der Corona-Pandemie sind große Teile des Handwerks entschlossen, ihre Betriebe zu digitalisieren. Allerdings lassen sich keine Pauschalurteile treffen. Der Digitalisierungsgrad eines Unternehmens ist von vielen Faktoren abhängig. Das "Digitalisierungsbarometer" nimmt Chancen für Handwerker in den Blick – und offenbart Schwächen kleinerer Unternehmen.
Steffen Guthardt und Steffen Range

Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung einen kräftigen Schub verliehen. Innerhalb von nur wenigen Monaten sind das Arbeiten im Homeoffice und Konferenzen im virtuellen Raum in vielen Wirtschaftsbereichen selbstverständlich geworden. Doch gilt das auch für das Handwerk? Bäcker, Metzger und Metallbauer können ihren Arbeitsplatz schließlich nicht ins Wohnzimmer verlagern.
360-Grad-Perspektive auf das Handwerk
Konkrete Antworten auf diese und viele weitere Fragen rund um die Digitalisierung im Handwerk liefert die neue Studie "Digitalisierungsbarometer für das Bau- und Ausbauhandwerk in Baden-Württemberg". Erstmals wird der Digitalisierungsgrad des Handwerks in einer 360-Grad-Perspektive betrachtet, die nicht nur die Sicht des Handwerks auf sich selbst, sondern auch die Einschätzung von Kunden und den Fachkräften von morgen, den Jugendlichen, berücksichtigt.
Die Analyse, die teilweise während der ersten Corona-Welle im Frühjahr erhoben wurde, zeigt, dass die Pandemie für das Handwerk nur einen relativ geringen Einfluss auf ihre Digitalisierungsbestrebungen hat. Über alle Altersgruppen hinweg wollen lediglich zehn Prozent der befragten Handwerksunternehmer aufgrund der Corona-Krise verstärkt in diesem Bereich tätig werden.
Aus dem Ergebnis lässt sich jedoch nicht schließen, dass das Handwerk in seiner Gesamtheit wenig Interesse an der Digitalisierung hat. Vielmehr zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Unternehmen, die von Kriterien wie Alter, Betriebsgröße, Bildung, Umsatz und dem Standort des Unternehmens abhängig sind.
Positive Veränderung durch Digitalisierung
Die Mehrheit ist der Ansicht, dass sich das Handwerk durch die Digitalisierung positiv verändern wird. 45 Prozent der Befragten stimmen dieser Aussage zu, nur acht Prozent widersprechen. Bejaht wird diese Aussage vor allem von den Unternehmern unter 50 Jahren. Gleichzeitig schätzen jene Betriebe ihren Stand bei der Digitalisierung besonders selbstkritisch ein, die bereits erste Maßnahmen erfolgreich umgesetzt haben.
Mit zunehmenden Alter der Handwerker ist hingegen eine gewisse Skepsis gegenüber den Folgen des technologischen Wandels zu erkennen. Oft wird in der Gruppe der über 50-Jährigen keine unbedingte Notwendigkeit erkannt, auf den Digitalisierungs-Zug aufzuspringen. Manch Unternehmer fällt es laut den Ergebnissen der Studie schwer, altbekannte und vertraute Routinen aufzugeben und etwas Neues auszuprobieren.
Eine Frage der Ressourcen
Weiterhin zeigt sich, dass größere und umsatzstärkere Betriebe in der Regel deutlich aufgeschlossener sind, ihre Prozesse zu digitalisieren. Dies kann auf die vorhandenen finanziellen und personellen Ressourcen zurückgeführt werden. Den Kleinbetrieben fehlen häufig schlicht die Zeit und die Mittel, sich um andere Dinge als ihr Kerngeschäft zu kümmern.
Ein enormes Hindernis auf dem Weg zur Digitalisierung ist die vorhandene Infrastruktur an den Standorten der Handwerker. Nur in jenen Regionen, die in ausreichender Kapazität über ein schnelles Breitband- und Mobilfunknetz verfügen, kann die Digitalisierung effizient in die Betriebsabläufe integriert werden.
Kaum Digitalisierungsstrategien vorhanden
Bei der Umsetzung der Digitalisierung zeigt sich, dass in den Betrieben die punktuellen Maßnahmen deutlich überwiegen. So geben lediglich zwölf Prozent der Befragten an, über eine langfristige Vision, verbunden mit konkreten Digitalisierungszielen, für ihr Unternehmen zu verfügen.
Als besonders relevant eingestuft werden die IT- und Datensicherheit sowie der professionelle Umgang mit der Datenschutzgrundverordnung. Digitalisierung ist den Betrieben ist demnach dort am wichtigsten, wo ein wirtschaftlicher Schaden in Form eines Datendiebstahls, möglicherweise verbunden mit der Forderung von Lösegeld, oder ein empfindliches Bußgeld droht.
Die Studie zeigt jedoch auch, dass viele Unternehmer die Bedeutung von digitaler Kompetenz im Unternehmern bereits erkannt haben. Immerhin 39 Prozent der Befragten Betriebsinhaber fördern ihre Mitarbeiter durch Weiterbildungen im Umgang mit digitalen Technologien .
Nur teilweise zufriedenstellend ist aus Sicht der Forscher, wie sich das Handwerk um seine Präsenz im Internet kümmert. 95 Prozent der Unternehmen aktualisieren ihre Website mindestens einmal im Jahr, mehr als zwei Drittel sogar alle sechs Monate oder häufiger. Allerdings verbessert nicht einmal jeder zweite Unternehmer seine Sichtbarkeit und Reichweite durch Suchmaschinenoptimierung. Zusätzliche Kundenservices wie einen Online-Konfigurator oder die Online-Terminvereinbarung finden sich nur auf wenigen Websites im Handwerk. Die Nutzung von Messaging-Diensten und sozialen Netzwerken für die Kundenkommunikation bewegt sich auf relativ niedrigem Niveau. Eine weitere Möglichkeit an neue Aufträge über das Internet zu kommen, sind digitale Vermittlungs- und Bewertungsplattformen. Doch deren Nutzung fällt mit 23 bzw. 29 Prozent ebenfalls recht gering aus.
Angebotserstellung per Software schon etabliert
Schon einen Schritt weiter zeigt sich das Handwerk im Bereich der Digitalisierung von Geschäfts- und Verwaltungsprozessen. 73 Prozent nutzen eine Software für die Angebotserstellung und -kalkulation. Auch die digitale Anbindung an Hersteller und Handel wird von mehr als der Hälfte der Befragten bereits genutzt. Weniger verbreitet ist der Einsatz von Software im Bereich der Projektsteuerung und der betrieblichen Kapazitäts- und Ressourcenplanung.
Der digitale Austausch unter den Mitarbeitern und mit anderen Handwerkern ist ausgeprägt. Mehr als 40 Prozent der Betriebe nutzen entsprechende Dienste für die gewerkeübergreifende Zusammenarbeit und fast die Hälfte für die interne Kommunikation. Der mobile Zugriff auf sämtliche Kunden- und Projektunterlagen ist hingegen nur bei 28 Prozent der Befragten möglich. Ein digitales Bautagebuch wird von 22 Prozent geführt.
Größe und Alter sind wichtiger als Branchenzugehörigkeit
Das Digitalisierungsbarometer für das Bau- und Ausbauhandwerk zeigt auch, dass der Grad der Digitalisierung keine Frage des Gewerkes ist. Ob Dachdecker, Schreiner oder Zimmerer – sie alle befinden sich auf einem ähnlichen Niveau. Aufgrund der großen Anzahl an Betrieben wurden zunächst Gewerke des Baus und Ausbaus in die Untersuchung einbezogen: Maler, Stuckateure, Elektroinstallateure, Installateure für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sowie Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Dachdecker, Zimmerer und Schreiner. Die Initiatoren der Studie wollen ihre Untersuchung später auf weitere Gewerke und Bundesländer ausdehnen.
Viel entscheidender sind aus Sicht der Forscher dagegen die bereits erwähnten Kriterien wie das Alter des Betriebsinhabers oder, ob das Unternehmen im ländlichen Raum oder in den Ballungszentren angesiedelt ist.
Welcher Typ Handwerker bin ich?
Aus den gewonnen Erkenntnissen wurde im Rahmen der Studie eine Handwerkertypologie mit sechs verschiedenen Persönlichkeiten erstellt. Etwa 19 Prozent der Befragten gehören demnach zu den "Digitalen Handwerkern". Sie sind im Durchschnitt jünger als 45 Jahre, haben häufig einen mittleren Bildungsabschluss und im Betrieb mindestens fünf Mitarbeiter angestellt. Sie zeichnen sich durch ihre große Offenheit gegenüber innovativen Geschäftsmodellen und neue Technologien aus. Gleichzeitig ist ihr Handwerker-Ethos stark ausgeprägt. Die größte Gruppe entfällt jedoch auf die aufgeschlossenen Handwerker. Sie sind im Schnitt rund 49 Jahre alt und zeigen eine hohe Bereitschaft bestehende Prozesse zu verändern. 72 Prozent von ihnen stimmen der Aussage zu "Ich versuche, im Handwerk neue Wege zu gehen."
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Digitalisierung durchaus im Handwerk angekommen ist. Ganzheitliche Strategien fehlen aber weitgehend noch.
"Das Digitalisierungsbarometer bildet eine wichtige Grundlage, um für das Handwerk zielgenaue Unterstützungsmaßnahmen zur Bewältigung der digitalen Transformation zu entwickeln", sagt die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Der Studien-Mitautor und Chef des Online-Startups "wirsindhandwerk", Andreas Owen, spricht von einem "einzigartigen Forschungsprojekt".
Herausgeber der Studie sind der Baden-Württembergische Handwerkstag und "wirsindhandwerk". An der Umsetzung war das Forschungsinstitut Lab4Innovations beteiligt. Gefördert wurden die Forschungen vom Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg. Unterstützung gab es von der Deutschen Bank und vom Versicherer Signal Iduna.
Weitere Informationen: https://digitalisierungsbarometer-handwerk.de/
Förderprogramme nutzen
Wer seinen Betrieb fit machen möchte für die Digitalisierung, findet bei seiner Handwerkskammer sowie beim Kompetenzzentrum Digitales Handwerk (www.handwerkdigital.de) kundige Experten. Zudem haben viele Bundesländer Förderprogramme aufgelegt. In Baden-Württemberg gibt es die "Digitalisierungsprämie Plus“ (www.l-bank.de/digiplus-zuschuss). In Bayern firmierte das Förderprogramm unter der Bezeichnung Digitalbonus Bayern (www.digitalbonus.bayern). Auch Hessen gewährt einen Digital-Zuschuss (www.wibank.de). In Sachsen existieren mehrere Angebote, die über die Sächsische Aufbaubank beantragt werden können - etwa das Förderprogramm "E-Business". Auch die Investitionsförderung "GRW" kommt für Digitalisierungsvorhaben infrage (www.sab-sachsen.de). Mit dem "Digitalbonus Thüringen" werden kleine und mittlere Unternehmen unterstützt (www.aufbaubank.de/foerderprogramme/digitalbonus-thueringen).