Der Gerüstbau gilt als hart, anstrengend und potenziell gefährlich. Ein Spezialgerüstbauer zeigt, wie er mit nachhaltiger Arbeit Mitarbeiter und Ressourcen schont und trotzdem Profit macht

"Wir wollen nicht mehr wachsen", sagt Walter Stuber. Dem agilen Geschäftsführer von Gemeinhardt Service fällt es sichtlich schwer, diese Aussage beim Gegenüber sacken zu lassen. Schnell schiebt er nach: "Für uns steht das Wohl von Mensch und Umwelt an erster Stelle des Wirtschaftens."
Der 60-Jährige hat zusammen mit seinem Kollegen Dirk Eckart einen Betrieb für Sondergerüstbau aufgebaut, in dem gut 40 Mitarbeiter beschäftigt sind. Den idealistischen Unternehmern ist klar, dass ein gesundes Unternehmen einen wirtschaftlichen Gewinn erzielen muss, um handlungsfähig zu bleiben, aber eben nicht um jeden Preis. "Wir wollen die begrenzten Ressourcen schonen, denn letztlich wollen wir unseren Kindern doch eine bessere Welt hinterlassen", so Eckart.
Faire Bedingungen
Seit Jahren ticken deswegen die Stechuhren des sächsischen Handwerksbetriebes anders. Wenn Monteure für ihre Arbeit quer durch die Republik reisen, läuft die Arbeitszeit bereits, wenn sie in den Lkw steigen und nicht erst an der Baustelle. Das sei nur fair, findet Stuber und gibt gleichzeitig zu, dass der Stundenlohn etwas geringer ist als bei manchem Konkurrenten. Aber am Ende des Monats bekommen seine Angestellten meist doch ein höheres Gehalt.
Das liegt an einem Bonusprogramm des Unternehmens. Für einen Kindergartenplatz können bis zu 80 Euro monatlich dazukommen. Besondere Arbeitsleistungen und Verbesserungsvorschläge werden honoriert. Raucher, die während der Arbeitszeit nicht rauchen, bekommen ein paar Cent auf den Stundenlohn – was sich läppert. Dass Nicht-Raucher neidisch werden könnten, stört die Geschäftsführung weniger. Es gehe hier um die Gesundheit.
Gesundheitsschutz in Arbeitsverträgen verankert

An der liegt den beiden Geschäftsführern so viel, dass sie dies in den Arbeitsverträgen verankern. Jede Woche bieten sie eine Rückenschule für die Mitarbeiter an und die Gerüstbauer, die regelmäßig unterwegs sind, bekommen bis zu 600 Euro jährlich als Unterstützung, wenn sie in einem Sportstudio für ihre Fitness und Gesundheit sorgen. Außerdem bietet das Unternehmen einen Kochkurs an, der auf die Umstände während der Montage eingeht. Am Stammsitz lädt eine Küche mit ausreichenden Kochgelegenheiten zum Umsetzen des Gelernten ein.
Achtsam ist Gemeinhardt Service nicht nur mit Mitarbeitern, sondern auch mit dem Material. Ein besonders umweltfreundliches Unternehmen kann ein Gerüstbaubetrieb nie werden, schließlich ist allein die Herstellung der Stahl- und Aluminiumgerüste immens energieintensiv. Doch die Roßweiner organisieren ihr Lager sehr strukturiert: Die Teile werden pfleglich behandelt und sind übersichtlich geordnet. Dadurch halten Gerüste, Stangen und Verschraubungen länger.
Waschstraße für Gerüstteile
Den nächsten Schritt hat Gemeinhardt bereits gemacht: Rund 200.000 Euro hat der Betrieb in Corona-Zeiten in eine Waschstraße für Gerüstteile investiert. Wenn alle Rückstände entfernt werden, erspart das den Gerüstbauern Gewicht, außerdem reißen die Handschuhe weniger.
Jedes Jahr gibt der Betrieb 150.000 Euro für den Arbeitsschutz seiner Mitarbeiter aus. Die jährliche Höhenrettungsschulung ist obligatorisch, ebenso das Tragen der kompletten Persönlichen Schutzausrüstung (PSA). Umgehen Mitarbeiter Sicherheitsmaßnahmen, gibt’s einen kollegialen Anpfiff.
Der Sondergerüstbauer ist in der Branche bekannt für sein großes Engagement im Arbeitsschutz. Während viele über gesetzliche Verschärfungen wie etwa die TRBS 2121 klagen, schätzt Stuber die höheren Anforderungen: "Es geht um die Gesundheit, vielleicht sogar das Leben meiner Mitarbeiter. Das muss jedem verantwortlich handelnden Inhaber vor höherem Profit gehen."
Mitarbeiter honorieren ethische Grundeinstellung

Diese Grundhaltung honorieren nicht nur die Mitarbeiter, sondern interessiert auch Gerüstbauer, die ganz woanders arbeiten – vor zwei Jahren etwa einen 25-jährigen Gerüstbauermeister, der größere Herausforderungen suchte. Er zog von Düsseldorf nach Roßwein und arbeitet inzwischen als Projekt- und Bauleiter bei Gemeinhardt, sammelt Führungs- und unternehmerische Erfahrungen. "Es gibt genügend jüngere Menschen, die grundsätzlich wollen und sinnvolle Tätigkeiten suchen", weiß Stuber aus langjähriger Erfahrung, denen müssten Firmen etwas bieten.
Allein für dieses Jahr sucht er acht neue Azubis, weil er seine Mannschaft selbst aufbauen und fachlich wie persönlich entwickeln will. Deshalb hat er sich in den vergangenen Jahren als "älteres Semester" in die sozialen Medien und Kommunikationskanäle jüngerer Menschen reingefuchst. Seine Werbekampagne läuft über Instagram, Tiktok, Youtube und Facebook. Sie animiert zum Mitmachen – zu gewinnen gibt’s eine iWatch. Dadurch erreicht Gemeinhardt Service vor allem unter Jugendlichen eine wesentlich größere Reichweite als mit klassischen Mitteln wie etwa Zeitungsanzeigen.
Gemeinwohl-zertifizierter Handwerksbetrieb
Seit vergangenem Jahr ist Gemeinhardt Service Gemeinwohl-zertifiziert. Bei diesem Zertifikat geht es um ein ethisches wirtschaftliches Handeln. Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und demokratische Beteiligung werden von unabhängigen Gutachtern bewertet.
Lediglich 600 Unternehmen im deutschsprachigen Raum erhielten bisher nach einem aufwändigen Prozess diese Auszeichnung, davon nur drei in Sachsen. "Ich bin mir sicher, vor allem durch Corona, dass etwa Schulabgänger noch stärker auf das Miteinander und die Arbeitsweise achten werden", so Geschäftsführer Walter Stuber.