Johanna Röh ist im achten Monat schwanger und steht dennoch täglich in der Werkstatt. Während Arbeitnehmerinnen vom Gesetzgeber geschützt und unterstützt werden, beschreibt die selbstständige Tischlermeisterin ihre Schwangerschaft als wirtschaftliches Risiko.

"Eine Schwangerschaft ist für selbstständige Handwerkerinnen existenzgefährdend", erklärt Tischlermeisterin Johanna Röh. Den Grund dafür sieht sie unter anderem in der besonderen Verletzlichkeit. Um ihre Gesundheit und die ihres Kindes zu schützen, müssen Schwangere auf schwere Tätigkeiten verzichten. Auch der Umgang mit bestimmten Chemikalien und Maschinen ist monatelang nicht möglich. In manchen Branchen muss ein Betrieb deshalb fast vollständig heruntergefahren werden. Fixkosten bestehen jedoch weiterhin. "In Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern führt eine Schwangerschaft definitiv zu finanziellen Ausfällen", ist die 34-jährige überzeugt.
Finanzielle Rücklagen sind erforderlich
Hartmut Drexel, Betriebsberater bei der Handwerkskammer München, schätzt die Lage ähnlich ein. Allerdings stelle er trotzdem kaum Nachfrage zu dem Thema fest. "Unsere Unternehmerinnen erleben wir als sehr strategisch denkend. Sie gehen kreativ an das Thema heran und haben in der Regel immer einen Plan B."
Der Experte rät dringend dazu, vorsorglich Liquiditätspuffer anzulegen. Dies gelte grundsätzlich für alle Führungskräfte: "Ein Betriebsinhaber muss immer auf den Fall vorbereitet sein, dass er über einen längeren Zeitraum nicht arbeitsfähig ist." Neben Rücklagen empfiehlt er, einen Notfallordner anzulegen. Dieser sollte Vollmachten beinhalten und alle wichtigen Fragen der Vertretung und Zuständigkeiten klären. Trotz allem könne man aber nicht leugnen, dass der Ausfall einer Person in einem kleinen Handwerksbetrieb wirtschaftlich spürbar sei.
Hilfsgelder gleichen Umsatzeinbußen nicht aus
Eine Erfahrung, die Johanna Röh teilt. Sie ist im achten Monat schwanger und dennoch täglich in der Werkstatt anwesend, um ihrer Pflicht als Ausbilderin nachzukommen. Außerdem koordiniert sie die Arbeit ihrer zwei Angestellten. Die Umsatzeinbußen, die sie in den letzten Monaten erlebe, könne sie so nicht ausgleichen. Auch die Zuschüsse des Staates und der Krankenkasse würden bei weitem keine Balance schaffen. "Für selbstständige Frauen ist eine Schwangerschaft vor allem privates Pech oder Glück, je nachdem, ob Rücklagen existieren", sagt die Tischlermeisterin.
Sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt können Mütter das sogenannte Mutterschaftsgeld von der Krankenkasse beziehen. "Es ist wichtig zu wissen, dass dies bei Unternehmern nicht immer automatisch in der Versicherungsleistung enthalten ist", hält Hartmut Drexel fest. Passende vertragliche Vereinbarungen müssen im Voraus mit der Krankenkasse geschlossen werden.
Nach der Geburt des Kindes können Mütter und Väter Elterngeld oder Elterngeld Plus beziehen. Der Maximalbetrag liegt bei 1.800 Euro im Monat und wird vorbehaltlich ausgezahlt. Werden im Bezugszeitraum Einkünfte erzielt, werden sie unter Umständen mit dem Elterngeld verrechnet. Eine Rückzahlung kann die Folge sein. Außerdem dürfen durchschnittlich höchstens 32 Stunden pro Woche in eine berufliche Tätigkeit einfließen. Wird dieses Limit überschritten, müssen die Gelder im betreffenden Zeitraum ebenfalls zurückerstattet werden.
In Anbetracht der Umstände rechnet Johanna Röh nach der Geburt ihres Kindes mit weiteren Einbußen. Denn obwohl ihr Partner die Kinderbetreuung übernehmen kann, ist es ihr nicht möglich, sich in vollem Ausmaß ihrer Arbeit zu widmen. Auf diese Weise sei es unmöglich, den geringeren Umsatz in der Schwangerschaft im Nachhinein aufzuholen. Die Tischlermeisterin wünscht sich eine Reform des Elterngelds, durch die die Situation von selbstständigen Müttern gesondert bewertet wird. Einkünfte und das Ausgleichen schwangerschaftsbedingter Verluste sollten ihrer Meinung nach nicht zu Abzügen bei den finanziellen Hilfen führen.
Individuelle oder institutionelle Lösung?
Wie der Wiedereinstieg in den Beruf aussehen könnte, sollte rechtzeitig durchdacht werden, erklärt der Berater der Handwerkskammer München. Dabei sollte auch die Möglichkeit einkalkuliert werden, dass die Arbeit aus gesundheitlichen oder pädagogischen Gründen länger ruhen muss als erwartet. Auch hinsichtlich der Betreuung müssen Wege gefunden werden. "Die Unternehmerinnen sind sehr einfallsreich und organisieren passende Modelle", erzählt Hartmut Drexel. Prinzipiell sei es vorteilhaft, wenn ein Partner gut hinzuverdient und auch zeitlich flexibel ist.
Die Abhängigkeit von Ideenreichtum und einem gutverdienenden Partner sieht Johanna Röh kritisch. Die Lösung könne nicht auf individueller Ebene stattfinden. Daher müsse die institutionalisierte Hilfe ausgebaut werden. Um Aufmerksamkeit auf das Problem zu lenken, hat sie eine Petition gestartet. Darin fordert sie nicht nur eine bessere Absicherung für selbstständige Schwangere und Mütter, sondern auch Unterstützung für den Betrieb. Leistungen wie Mutterschaftsgeld, Elterngeld, Kindergeld oder Krankentagegeld gebe es zwar. Aber sie seien nicht geeignet, einen Betrieb vor den wirtschaftlichen Konsequenzen zu schützen. Deswegen brauche es Notfalltöpfe, die der Staat zur Verfügung stellen müsse. Ein weiterer wichtiger Punkt seien unbürokratische Wege, Arbeitskräfte vorübergehend zu ersetzen. Im Bereich der Landwirtschaft gebe es dafür die Betriebshilfe, die von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau getragen wird.
Jeder fünfte Betrieb wird von einer Frau geführt
Die Reaktionen auf ihre Forderungen in den sozialen Medien fallen gemischt aus, berichtet Röh. Sie reichen demnach von Zustimmung bis hin zu Überraschung. Eine geringe Anzahl von Nutzern hätte darauf verwiesen, dass ihre Situation ein Einzelfall sei.
Inwieweit das zutrifft, ist fraglich. Laut dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) wird jeder fünfte Handwerksbetrieb von einer Frau geführt. Darüber hinaus seien 75 Prozent Familienbetriebe, die von einem Paar oder Ehepaar geführt werden. In diesen Unternehmen ist es möglicherweise einfacher, die Betreuung eines Kindes zu gewährleisten und finanzielle Lücken aufgrund einer Schwangerschaft abzufedern. Der Handwerkskammer München sind auch Fälle bekannt, in denen manche Frauen gerade wegen der zeitlichen Flexibilität einen Handwerksberuf ergriffen hätten.
Vor allem Solo-Selbstständige und kleine Betriebe betroffen
Die wirtschaftlichen Folgen einer Schwangerschaft treffen vor allem Solo-Selbstständige und Inhaberinnen kleiner Betriebe. Bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, ist ein wichtiges Anliegen des ZDH. So engagiert sich der Verband für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Gleichstellung ist ein großes Thema. Die Zahlen des ZDH zeigen eine positive Entwicklung: Aktuell erfolgt jede vierte Gründung durch eine Frau.
Johanna Röh gehen die existierenden Schritte nicht weit genug. Mit ihrer Petition möchte sie innerhalb von vier Wochen nach Kampagnenstart 50.000 Unterschriften sammeln. Erreicht sie dieses Ziel, muss sich der Petitionsausschuss des Bundestags mit der Thematik auseinandersetzen. "Es geht um die Frage, ob Frauen sich beruflich genauso ausleben können wie Männer. Angesichts der Debatten um Fachkräftemangel und Gleichberechtigung stehen die Chancen gerade gut", schätzt sie.