Diskussion um Bildungswende Schluss mit Akademisierung und "Einheitsausbildungen"

Dem Handwerk fehlen Fachkräfte. Abhilfe soll eine "Bildungswende" schaffen. Doch das genügt nicht, um mehr Azubis und Gesellen zu gewinnen. Experten empfehlen dabei auch Kehrtwenden, die im Handwerk Widerstand hervorrufen könnten.

ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer (Mitte) und Wirtschaftsminister Robert Habeck diskutierten auf der Handwerksmesse auch über den Fachkräftemangel. - © GHM

Vertreter des Handwerks fordern eine "Bildungswende". Berufliche und akademische Bildung müssten endlich gleichgestellt werden, sagte Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), beim ZDH-Forum. "Die Überakademisierung muss endlich ein Ende haben.“

Zahlreiche Experten diskutierten kürzlich auf der Internationalen Handwerksmesse (IHM) darüber, wie sich Fachkräfte gewinnen und halten lassen. Bildungsforscher Prof. Hubert Friedrich Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), warnte vor einer dramatischen Entwicklung. Das Interesse junger Leute an einer Ausbildung lasse nach. "Wir werden in zehn Jahren bestimmte Berufe nicht mehr bedienen können."

Abhilfe durch Modularisierung?

Esser plädierte dafür, aus einer vermeintlichen "Einheitsausbildung“ herauszukommen. Die Ausbildung muss nach seiner Vorstellung so weit aufgefächert werden, dass sie unterschiedlichen Personengruppen gerecht wird. Dazu zählen Sonderschüler ebenso wie Menschen mit Migrationshintergrund, Gymnasiasten ebenso wie Studienabbrecher. Dafür sollte sich das Handwerk "ein Stück weit der Modularisierung öffnen". Esser machte sich ebenfalls für eine bessere "horizontale Durchlässigkeit" zwischen den Berufen stark, etwa bei den Lebensmittelhandwerken oder im Sanitär- und Elektrobereich.

Unterstützung vom Bundeskanzler

Dabei hat das Handwerk prominente Unterstützer. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte auf der Internationalen Handwerksmesse: "Die berufliche Ausbildung, eine Ausbildung im Handwerk, eine Meisterausbildung vielleicht noch obendrauf, das ist gleichwertig mit einem Studium." Dies sei ein guter Lebensweg mit guten Aussichten, guten Einkommensperspektiven und viel Freude an der Arbeit. Scholz sprach sich dafür aus, in den Schulen stärker auf Karrierewege im Handwerk aufmerksam zu machen: "Wer sich für eine Ausbildung im Handwerk entscheidet und seinen beruflichen Lebensweg dort fortsetzen will, der macht alles richtig."

Wollseifer hatte bereits bei der Eröffnung der IHM mit Blick auf Wertschätzung und Förderung von akademischer und beruflicher Bildung von einer "Zweiklassengesellschaft" gesprochen. Deshalb brauche Deutschland die Bildungswende. Dazu gehört nach Ansicht des ZDH-Präsidenten ein Gleichwertigkeitsgesetz der beiden Bildungswege. Konkret könnte sich dies zum Beispiel in einer gleichwertigen Ausstattung von Bildungszentren und Universitäten widerspiegeln.

Modernisierung der Berufsschulen

Auch bei den Berufsschulen seien dringend mehr Investitionen erforderlich. Mit Blick auf die Ausstattung "befindet sich manche Berufsschule in erbärmlichen Zustand", was die Verkehrssicherheit oder die Hygienezustände betrifft, so Wollseifer. Auch den akuten Lehrermangel an den Berufsschulen gelte es zu begegnen.

Die Mobilität und Wohnungssituation für Auszubildende im Handwerk sei im Vergleich zur Lage bei den Akademikern ebenso unbefriedigend. Azubi-Tickets und Wohnheime für Azubis seien dabei ein wichtiger Baustein. "Warum könnten Azubis nicht gemeinsam mit Studenten in einem Wohnheim wohnen, wenn wir von einer gleichwertigen Ausbildung sprechen wollen?", fragte Wollseifer in die Runde.

Zuwanderung in den Arbeitsmarkt

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach sich auf der IHM dafür aus, mehr Flüchtlinge ins Handwerk zu bringen. Der Staat habe seit fünf Jahren in diese Leute investiert, man müsse ihr Potenzial für das Handwerk besser nutzen. Um Fachkräfte zu gewinnen, setzen auch einige Handwerksvertreter auf eine "mittelstandsfreundliche Zuwanderungspolitik". Das eben auf den Weg gebrachte Migrationspaket der Ampel-Koalition weise in die richtige Richtung. Langjährig Geduldete sollen bessere Bleibeperspektiven bekommen, Fachkräfte leichteren Zugang zu Integrations- und Sprachkursen erhalten.

Die künftige Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, sagte beim ZDH-Forum: "Ich wünsche mir, dass man in Deutschland kapiert, dass wir ein Einwanderungsland sind." Einig waren sich die Experten, dass die Sprachförderung großzügiger gestaltet werden müsse. ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke stellte fest, dass in der Zuwanderung die Sprache die entscheidende Hürde sei. Nahles sprach sich dafür aus, die Qualifikationsangebote an die Lebenswirklichkeit der Menschen anzupassen.