Schloss Steinort in Masuren gilt während des Zweiten Weltkriegs als Kommunikationszentrale des Widerstands im Osten. Der letzte Schlossherr Heinrich von Lehndorff wird nach dem Hitler-Attentat hingerichtet. Nun helfen deutsche Bautechniker, dieses Stück Geschichte vor dem Verfall zu retten.

Dumpf hallt jeder Schlag vom Gerüst über die Anhöhe hinunter zum See. Drei Schläge, dann eine Pause. Georg Hallweger und Tizian Henninger bücken sich, verdrehen ihre Köpfe, prüfen, wie sich der Gesimsbalken unterhalb des Daches von Schloss Steinort einfügt. Die beiden haben keinen Blick für die schöne Aussicht auf den Steinort-See (Sztynorckie) mit dem kleinen Hafen, in dem sich die Masten der Segelboote sanft hin und her wiegen.
Nur zwei Wochen haben 18 Schüler, sieben Ehemalige und vier Lehrer der Fachschule für Bautechnik und Meisterschule für das Bauhandwerk München, um Schloss Steinort in Masuren weiter vor dem Verfall zu retten. "Nur wenige haben die Chance, auf so einer Baustelle zu arbeiten", sagt Zimmerer Georg Hallweger und meint damit, die Herausforderung, ein Stück deutsche Geschichte in Ostpreußen zu bewahren.
Schloss drohte einzustürzen
Denn das Schloss galt als Kommunikationszentrale des Widerstands gegen Hitler im Osten. Von hier aus versuchte Heinrich Graf von Lehndorff Mitverschwörer zu gewinnen, wofür er im September 1944 hingerichtet wurde.
Als das denkmalgeschützte Schloss 2009 in den Besitz der Polnisch-Deutschen Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz kam, drohte es einzustürzen. Das Dach undicht, eindringende Feuchtigkeit beschädigte Wände. Hausschwamm zersetzte Deckenbalken und Holzkonstruktionen. Schließlich wölbte sich auch das Mauerwerk.
>> Link zur Schwesterstiftung Deutsch-Polnische Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz
Eine Notsicherung und der Einsatz von Prof. Wolfram Jäger von der Technischen Universität Dresden verhindern das Schlimmste. "Wenn nichts unternommen worden wäre, würde das Schloss heute nicht mehr existieren", ist sich Bernd Drumm, Lehrer an der Fachschule für Bautechnik und Meisterschule für das Bauhandwerk, sicher. Prof. Jäger ist es auch, der 2017 auf der Messe "Bau" die Zusammenarbeit in die Wege leitet. Das Projekt startete 2019 und wird durch das EU-Programm "Erasmus+" gefördert. Zum dritten Mal sind nun Schüler vor Ort, die sich sonst in Vollzeit zum Bautechniker und meist gleichzeitig zum Zimmerer- oder Maurermeister weiterbilden.
Ihre Motivation liegt darin, mehr über moderne Bautechniken im historischen Bestand zu erfahren. "Ich kann hier Erfahrungen im Denkmalschutz sammeln, wie ich es in Deutschland bisher nicht konnte", sagt Zimmerer Michael Fischer aus Freising. Dem stimmt Maurer Dominic Kügler aus Ehekirchen zu: "Mich interessieren die Einblicke in den Denkmalschutz sehr." Die Reise nach Polen ist auch für Zimmerin Sabrina Schmid aus Fuchstal "eine einzigartige Möglichkeit".
Trotz der langjährigen Bemühungen ist der Zustand des Schlosses heute noch immer erschütternd. "So schlimm haben wir es uns nicht vorgestellt", sagt Katharina Schmid, Zimmerin wie ihre Schwester Sabrina. Der Putz fällt ab. Der Dachstuhl ist weiterhin marode. Auf dem Dach bildet sich wieder Moos. Innen wird das Schloss von einem Wald aus Stützpfeilern gehalten. Um die verfaulten Balken freizulegen, wurden die Decken entfernt, so dass man bis ins Dach schauen kann.
Zimmerer sanieren den riesigen Dachstuhl
Die Hauptarbeit liegt in diesem Jahr darin, die Deckenbalken und den Dachstuhl zu sichern sowie Brandschutz aufzutragen. Der große Dachstuhl hat es den Handwerkern besonders angetan: "Wenn man als Maurer oder Zimmerer in diesen Dachstuhl kommt: Das ist einfach der Wahnsinn", sagt Thorben Rievesehl, der zum dritten Mal mit nach Masuren gefahren ist.
Vor dem Schloss hantieren die Zimmerer und Maurer mit Maschinen und Werkzeugen. Eine Säge kreischt. Der Rasen ist bedeckt mit Holzspänen und Sägemehl. Michael Fischer und Felix Kaudelka bearbeiten einen Scherzapfen, der im Dachstuhl eingesetzt werden soll. Dort fügt sich schon an vielen Stellen frisches helles Holz nahtlos in verwittertes altes. Der Akt ist anstrengend. Der Zimmerer und der Maurer wechseln sich ab, mit einem flachen Brett und einem Hammer, das neue mit dem alten Holz zu verbinden. Doch bald sitzt der Scherzapfen.
Es gehört zur Philosophie der Schule, dass die Gewerke zusammenarbeiten. "Wir wollen, dass jeder in ein anderes Gewerk reinschnuppern kann", sagt Lehrer Michael Nicklas, der das Projekt koordiniert. Das kommt auch gut bei den Schülern an. "Mir gefällt es, bei den anderen Gewerken mitzuarbeiten", sagt Zimmerin Katharina Schmid.
Unterstützt wird die Restaurierung auch in Deutschland. Zehn Deckenbalken von je zehn Metern Länge durften aus Polen ausgeführt werden, berichtet Julia Burgbacher, Geschäftsführerin von Burgbacher Holztechnologie in Trossingen. Die Balken seien bis tief ins Innere zerstört gewesen. "Wir haben versucht, so viel wie möglich zu erhalten." Wo jedoch nichts mehr zu retten ist, kappen die Spezialisten das kaputte Holz. Mit einer Generalkeilzinkung wird der alte, intakte Kieferbalken mit einem neuen Vollholzteil verbunden. So ergebe sich wieder eine kraftschlüssige Verbindung. Im November werden die Balken nun zurück nach Polen transportiert.
Teepavillon von Carl Gotthard Langhans
Schloss Steinort lässt nur noch erahnen, wie stattlich es einmal war. Um 1689 als barocke Gutsanlage errichtet, wird es Ende des 19. Jahrhunderts zu einem neugotischen Schloss umgebaut. An herrschaftlicher Ausstattung spart die Familie nicht. Das Teehaus im Park soll vom Architekten des Brandenburger Tores, Carl Gotthard Langhans, entworfen worden sein. Noch heute können Besucher an den mehr als 300 Jahre alten Eichen vorbei zu diesem Pavillon spazieren – die Eichenallee, durch die auch Heinrich von Lehndorff geritten ist.
Hier organisierte er den Widerstand, nur 20 Kilometer von der Wolfsschanze, dem Ort des Hitler-Attentats, entfernt. Im Kriegsjahr 1941 quartierte sich NS-Außenminister Joachim von Ribbentrop im Westflügel des Schlosses ein. Auf alten Bildern ist er beim Kaffeetrinken vor dem Schloss zu sehen oder beim Ponyreiten mit Lehndorffs Töchtern.
Die adelige Familie lebt ein gefährliches "Doppelleben", das die Grünen-Politikerin Antje Vollmer in ihrem gleichnamigen Buch beschreibt. Regelmäßig finden auf der Baustelle kleine Lesungen daraus statt. "Man sitzt am Lagerfeuer und kann nicht glauben, dass das wirklich hier passiert ist", sagt Maurermeister Thorben Rievesehl. Immer wieder zitieren die jungen Handwerker Anekdoten, erinnern an vergangene Situationen und Bilder, sprechen von "Heini", wie Lehndorff im Buch genannt wird. "Es ist wichtig, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Das geht nicht besser als hier", sagt Georg Hallweger. Mit ihrem Einsatz und ihrer Arbeit zollen sie dem Haus und seiner Geschichte Respekt.
Um Schloss Steinort zu erhalten, muss aber noch viel getan werden. Neben motivierten Menschen und ihrer Arbeitskraft brauche es daher Spenden. Willkommen seien auch Maschinen als Leihgabe für die Schüler. "Damit es endlich mal vorangeht", sagt Michael Nicklas. Allein bis alle Gesimsbalken rund um das Schloss erneuert seien, würden noch Jahre vergehen. Viele der Teilnehmer können sich vorstellen, wiederzukommen. Und Thorben Rievesehl betont: "Es ist toll, dass wir beitragen können, dieses Stück Geschichte zu retten."