Bayern dominiert die Sitzenbleiber-Statistik: Hier mussten im vergangenen Schuljahr die meisten Schüler eine Klasse wiederholen. Wie es in den anderen Bundesländern aussieht und was das Sitzenbleiben beeinflusst.

Etwa 20 von 1.000 Schülern blieben im Durchschnitt im Schuljahr 2014/15 sitzen und mussten eine Schulklasse wiederholen. Und das kostet: Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind es für jede einzelne Klassenwiederholung stolze 34.000 Euro. Als Basis für die Kosten bezieht die OECD sich auf künftige Steuereinbußen, die durch den verspäteten Arbeitsmarkteintritt des Sitzenbleibers entstehen.
Der Durchschnitt der Schülerzahlen in Deutschland, die jedes Jahr nicht in die nächste Jahrgangsstufe versetzt werden, sagt allerdings nicht viel aus, denn die Sitzenbleiber verteilen sich sehr unterschiedlich auf die Städte in Deutschland.
Sitzenbleiber-Hochburgen Coburg, Fürth und Hof
Mitarbeiter des Preis- und Produktvergleichsportals billiger.de haben die Daten von 122 deutschen Städten – alle haben in der Regel mehr als 100.000 Einwohner – ausgewertet. Dafür haben sie die Kultusministerien und deren Schul- und Kommunalbehörden sowie die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder und einige Schulen direkt befragt.
Im Ergebnis zeigt sich, wo Deutschlands Sitzenbleiber-Hochburgen liegen. Die Berechnungen berücksichtigen sowohl Nichtversetzte als auch freiwillige Wiederholer eines Schuljahres. Die Anzahl der Nichtversetzten bezieht sich auf alle Schüler der Städte. Für die Top-15 wurde eine Quote bezogen auf je 1.000 Schüler berechnet.
Die Top-15 der Sitzenbleiber-Städte
- Coburg mit 38 Sitzenbleibern je 1.000 Schüler (224 Nichtversetzte gesamt im Schuljahr 14/15)
- Fürth mit 37 Sitzenbleibern (395 Nichtversetzte)
- Hof mit 37 Sitzenbleibern (189 Nichtversetzte)
- Weiden/Oberpfalz mit 35 Sitzenbleibern (206 Nichtversetzte)
- Hanau mit 35 Sitzenbleibern (409 Nichtversetzte)
- Bamberg mit 35 Sitzenbleibern (297 Nichtversetzte)
- Nürnberg mit 35 Sitzenbleibern (1321 Nichtversetzte)
- Bayreuth mit 34 Sitzenbleibern (299 Nichtversetzte)
- Schweinfurth mit 33 Sitzenbleibern (238 Nichtversetzte)
- Rosenheim mit 33 Sitzenbleibern (253 Nichtversetzte)
- Salzgitter mit 33 Sitzenbleibern (322 Nichtversetzte)
- Schwerin mit 32 Sitzenbleibern (269 Nichtversetzte)
- Gießen mit 32 Sitzenbleibern (357 Nichtversetzte)
- Neubrandenburg mit 32 Sitzenbleibern (200 Nichtversetzte)
- Kempten mit 30 Sitzenbleibern (218 Nichtversetzte)
Die Top-15 der Städte mit den wenigsten Sitzenbleibern
- Aalen mit 9 Sitzenbleibern (62 Nichtversetzte)
- Flensburg mit 9 Sitzenbleibern (100 Nichtversetzte)
- Konstanz mit 10 Sitzenbleibern (84 Nichtversetzte)
- Jena mit 11 Sitzenbleibern (108 Nichtversetzte)
- Paderborn mit 12 Sitzenbleibern (215 Nichtversetzte)
- Suhl mit 12 Sitzenbleibern (26 Nichtversetzte)
- Lübeck mit 13 Sitzenbleibern (246 Nichtversetzte)
- Oldenburg mit 13 Sitzenbleibern (220 Nichtversetzte)
- Freiburg/ Breisgau mit 13 Sitzenbleibern (275 Nichtversetzte)
- Münster mit 13 Sitzenbleibern (387 Nichtversetzte)
- Berlin mit 13 Sitzenbleibern (4.182 Nichtversetzte)
- Kiel mit 13 Sitzenbleibern (292 Nichtversetzte)
- Hamburg mit 13 Sitzenbleibern (2.286 Nichtversetzte)
- Dresden mit 14 Sitzenbleibern (592 Nichtversetzte)
- Gera mit 14 Sitzenbleibern (91 Nichtversetzte)
Bayern dominiert klar die Top 15 der Sitzenbleiber-Hochburgen. Das Sitzenbleiben ist demnach auch durch die Bildungspolitik des entsprechenden Bundeslandes und durch die Gestaltung des Schulsystems bestimmt. Die Werte in Berlin und Hamburg sind laut den Autoren der Studie als besonders zu bewerten, weil in Berlin eine sehr lockere Versetzungspolitik herrsche. So ist das Sitzenbleiben nur noch an Gymnasien möglich; alle anderen Schulformen haben es abgeschafft. Auch in Hamburg gelten hierbei besondere Regelungen.
Realschüler bleiben am häufigsten sitzen
Zwar machen die verschiedenen Schulformen in den einzelnen Bundesländern und deren Verteilung einen Vergleich etwas kompliziert und die Studienautoren haben deshalb alle Schularten, die nicht in die Kategorien Grund-, Haupt-, Real- und Gesamtschule sowie Gymnasium passen, in eine Kategorie gesteckt.
Doch trotzdem kommen sie zu einem klaren Ergebnis, das besagt: Besonders viele Sitzenbleiber gibt es an den Realschulen. Im Schnitt werden 49 von 1.000 Schülern in dieser Schulkategorie am Schuljahresende nicht versetzt. Damit liegt die Realschule mehr als 150 Prozent über dem Studien-Schnitt.
Vergleich der Bundesländer: Welches Bildungssystem ist am leistungsfähigsten?
Dass das Sitzenbleiben einen direkten Rückschluss auf die Qualität des Bildungssystems zulässt, kann man laut Wido Geis vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) zwar nicht so einfach sagen. Mehrere Faktoren bestimmen hier mit. Doch zumindest bildet es auch ein Kriterium unter vielen des jährlichen Bildungsmonitors des IW Köln im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Der Bildungsmonitor bewertet die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems der einzelnen Bundesländer anhand von 93 verschiedenen Indikatoren.
Dieses Ranking entscheidet in diesem Jahr Sachsen für sich, gefolgt von Thüringen und Bayern.
- Sachsen
- Thüringen
- Bayern
- Baden-Württemberg
- Hamburg
- Saarland
- Sachsen-Anhalt
- Rheinland-Pfalz
- Niedersachsen
- Hessen
- Mecklenburg-Vorpommern
- Bremen
- Schleswig-Holstein
- Nordrhein-Westfalen
- Brandenburg
- Berlin
Auch in diesem Ranking wurde nach der Anzahl der Sitzenbleiber gefragt und auch hier liegen die Länder Hamburg und Berlin mit niedrigen Werten an den ersten Stellen und Bayern hat die höchsten Sitzenbleiber-Zahlen. Wido Geis erklärt das so und nimmt Bezug auf die Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme: Die Sitzenbleiber-Quote werde von drei Faktoren maßgeblich beeinflusst. Das sind: das Anspruchsniveau des Klassenziels, die Passgenauigkeit der Verteilung der Kinder auf die verschiedenen Schulformen und die Förderung von Schülern mit vorübergehenden Leistungsdefiziten.
Hoher Anspruch – viele Möglichkeiten zu scheitern
"Je höher das für die Versetzung geforderte Leistungsniveau ist, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass einzelne Schüler das Klassenziel nicht erreichen", sagt der Wirtschaftsforscher. Dabei spiele auch eine Rolle inwieweit auch bei größeren Leistungsdefiziten im Zweifel auch einmal "ein Auge zugedrückt" wird. "In Bayern sind die Anspruchsniveaus der Klassenziele in der Regel deutlich höher und Leistungen werden konsequenter eingefordert, was die im Bundesvergleich hohe Sitzenbleiber-Quote erklären dürfte", sagt Geis.
Mit der angesprochenen Passgenauigkeit meint er, ob Kinder die Schulform besuchen, die ihren Leistungen am ehesten entspricht oder ob sie eventuell überfordert sind. "Besuchen viele Kinder vor dem Hintergrund ihrer kognitiven Fähigkeiten für sie an sich nicht geeignete Schulformen, insbesondere Gymnasien, führt dies dazu, dass entweder zu einer hohen Zahl an Sitzenbleiber oder zu einem Absinken des Anspruchsniveau der Klassenziele und Bildungsabschlüsse an den betreffenden Schulformen", erklärt Geis.
Aber auch die Schulformen an sich bestimmen mit über die Sitzenbleiber-Zahlen: Je besser es gelinge Schüler mit vorübergehenden Leistungsdefiziten wieder "mitzunehmen", je seltener erreichen diese das Klassenziel nicht. "Dies ist in Ganztagsschulen deutlich leichter umzusetzen als in Halbtagsschulen" so Wido Geis. Dabei würden Studien zeigen, dass Klassenwiederholungen häufig nicht zu Leistungssteigerungen führen.
Wenig Sitzenbleiber: Gezielte Förderung wichtig
Auch wenn Bayern immer wieder als Vorbild für ein leistungsorientiertes Schulsystem genannt wird, deutet die hohe Sitzenbleiber-Quote auf Probleme hin. "Wenn Schüler eine Klasse wiederholen müssen, verlängert das ihre Schullaufbahn, führt zu zusätzlichen Kosten, ist belastend für die betreffenden Kinder und Jugendlichen und führt selten zur gewünschten Leistungssteigerung", sagt der Experte. Doch gleichzeitig lasse sich aus einer niedrigen Anzahl an Sitzenbleibern nicht schließen, dass im Bildungssystem alles in Ordnung ist. Vielmehr könne diese auch durch ein starkes Absenken der Leistungsanforderungen erkauft sein. Mit der Folge: Die jungen Menschen bekommen nach ihrem Schulabschluss Probleme, die Bildungsgänge (z.B. betriebliche Ausbildungen, Hochschulstudiengänge) zu absolvieren, für die der Schulabschluss eigentlich qualifizieren sollte.
Als Fazit gibt Wido Geis zu bedenken, dass eine gezielte Förderung von Schülern mit vorübergehenden Leistungsdefiziten in Kombination mit einer passgenauen Zuteilung zu den verschiedenen Schulformen notwendig sei, damit viele Schüler das Klassenziel erreichen. jtw