In der Restaurierungswerkstatt von Barbara Naumburg in Frankfurt am Main erhalten historische Möbel eine Verjüngungskur, ohne ihre Patina zu verlieren.
Ulrich Steudel

Eine Werkstatt, vollgestellt mit Geschichte. Schränke, Kommoden, Truhen, Tische und Stühle, an denen der Zahn der Zeit genagt hat. Bei Barbara Naumburg am Frankfurter Westbahnhof werden sie wieder "aufgemöbelt". Dabei achten die Restauratorinnen streng darauf, dass das Alter der Antiquitäten sichtbar bleibt, Gebrauchsspuren nicht verwischen. "Wir nähern uns dem ursprünglichen Zustand des Originals an, konservieren und restaurieren mit dem Ziel, die Geschichte eines Möbels unverfälscht zu erhalten", erklärt die Tischlermeisterin ihren Anspruch.
Für hochwertige Möbelrestaurierung, wie sie in der Werkstatt von Barbara Naumburg gepflegt wird, bedarf es nicht nur eines tiefen Wissens über historische Materialien und Arbeitsweisen. Ohne ein ausgeprägtes Fingerspitzengefühl und eine Portion Geduld wären die filigranen Eingriffe, die behutsamen Ausbesserungen nicht vorstellbar. Kein Wunder, dass zum Team ausschließlich Frauen gehören – neben der Chefin drei Tischlerinnen und eine Auszubildende. "Das war aber keineswegs Strategie, sondern hat sich einfach so ergeben", betont Naumburg, die auch schon Männer ausgebildet und beschäftigt hat.
Ein Hauch von Vergangenheit
In diesem Jahr feiert die "Restaurierungswerkstatt für Möbel und Holzobjekte" ihr 25-jähriges Bestehen. Obwohl personell wie räumlich gewachsen, empfängt den Gast in der Werkstatt aber noch immer ein Hauch von Vergangenheit. Da hält eine Schar von Schraubzwingen einen gealterten Schrank zusammen, erinnert ein akribisch geordnetes Sammelsurium aus alten Schlüsseln und Beschlägen, handgeschmiedeten Nägeln, Polituren und Wachsen an alte Zeiten. In Schubladen finden sich längst in Vergessenheit geratene Materialien von Pergament bis Perlmutt. Oder Hobel, nicht größer als eine Daumenkuppe.
Der Reiz der Vergangenheit ist hier Gegenwart. Wo betagte Möbel eine Verjüngungskur bekommen, arbeiten die Restauratoren nach dem Vorbild ihrer Vorfahren. Da wird Sägefurnier in Wasser schmiegsam gekocht, um es anschließend über die Wulst einer Säule zu wölben. Erhitzte Sandsäcke sorgen beim Anpressen dafür, dass der Hautleim, der auch heute noch aus Schlachtabfällen gewonnen wird, nicht zu schnell aushärtet, damit sich das Furnier exakt positionieren lässt. Viele Arbeiten an verschiedenen hat Barbara Naumburg auf ihrer Firmenwebsite dokumentiert.
Alte Möbel sollen funktionieren
Möbel, die die Werkstatt von Barbara Naumburg verlassen, sind mit all ihren Mechaniken wieder vollständig nutzbar, obwohl ihre Patina von einem langen Leben erzählt. "Es ist eine Mär, dass alte Möbel nicht funktionieren", sagt die Tischlermeisterin. Schubladen oder Türen müssen nicht klemmen. Damit sich Schäden nicht wiederholen, berät sie ihre Kunden, wie sie mit ihren Sammler- oder Erbstücken umgehen sollten.
Alte Möbel sollten zum Beispiel nicht direktem Sonnenlicht ausgesetzt werden und in Räumen mit gleichbleibender, relativer Luftfeuchtigkeit stehen, idealerweise zwischen 50 und 60 Prozent, berichtet die Restauratorin aus ihrem Fundus an Erfahrungen. Ein Schatz, der über Jahrzehnte gewachsen ist und nicht nur fachlich Aspekte abdeckt.
Als Barbara Naumburg nach dem Abitur Ende der 70er Jahre eine Ausbildung im Tischlerhandwerk anstrebte, waren Männer in dem Gewerk noch weitgehend unter sich. Trotz bester Noten stieß die junge Barbara bei 33 Betrieben auf Ablehnung. Schließlich fand sie eine Lehrstelle bei der Bauschreinerei Paul Müller & Söhne in Kelkheim, bekannt als "Stadt der Möbel". Sowohl in der Berufsschule als auch im Betrieb war Barbara Naumburg die einzige Frau – kein leichter Einstieg in einen Beruf, der vom anderen Geschlecht dominiert wird.
Lehrjahre keine Herrenjahre
"Die Ausbildung in dieser Männerwelt hat mich schnell erwachsen gemacht. Heute bin ich stolz darauf, mich damals durchgebissen zu haben", blickt die Betriebsinhaberin auf ihre Lehrjahre zurück, die für sie im wahrsten Sinne des Wortes keine Herrenjahre waren. Ihr besonderes Interesse galt schon früh der Restaurierung. Deshalb begann sie in Mainz ein Studium der Kunstgeschichte, für das sie sich nebenher als Mitarbeiterin in der Werkstatt "Brook’s english antiques" in Kronberg etwas dazu verdiente.
Die Arbeit als Restauratorin hat die junge Studentin mit Tischler-Gesellenbrief so in ihren Bann gezogen, dass sie schließlich das Studium abbrach, um ganz in die Welt der historischen Möbel einzutauchen. Sie belegte Kurse im Polieren von Schelllack, Stuhlrohrflechten oder Drechseln. Und stand schließlich mit 28 Jahren schon selbst als Referentin und Kursleiterin im Fortbildungszentrum Propstei Johannesberg in Fulda vor Tischlern, die sich zum Restaurator weiterbildeten. "Da wurde ich auch als Frau ernst genommen, egal wie alt die Schüler waren", erinnert sich Naumburg, die später außerdem viele Jahre am Fortbildungszentrum für Handwerk und Denkmalpflege in Görlitz unterrichtete.
Mutiges Meisterstück
Als sie Anfang der 90er Jahre die Meisterschule der Handwerkskammer in Frankfurt besuchte, war sie erneut die einzige Frau unter Männern, inzwischen aber mit mehr Selbstbewusstsein ausgestattet als zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn. Ihr Meisterstück – eine Provokation: Das Dessousschränkchen aus Olivenholz sollte durchaus als Zeichen der Emanzipation erkannt werden. Der Schritt in die Selbstständigkeit 1994 war die logische Folge.
Über die Jahre hat sich Barbara Naumburg im Großraum Frankfurt Rhein-Main einen ausgezeichneten Ruf als Expertin für historische Möbel erarbeitet. Ihrer Expertise und ihrem handwerklichen Geschick vertrauen vermögende Sammler ebenso wie Museen. Einer der Höhepunkte der vergangenen 25 Jahre waren die Arbeiten an einem Harlekin-Tisch von 1760 und einer Poudreuse von 1769, die im Metropolitan Museum of Art in New York ausgestellt werden sollten. "Ich habe damals nicht gut geschlafen. Schreib- wie Schminktisch stammten aus der Werkstatt der Kunsttischler Abraham und David Roentgen, deren Möbel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den Fürstenhäusern Europas sehr gefragt waren und heute für extrem hohe Summen gehandelt werden", erklärt die Tischlermeisterin.
Besonders stolz ist Barbara Naumburg auf die Restaurierung eines Barockschranks, der um das Jahr 1730 für die Familie Goethe entstand. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Frankfurter Pilasterschrank, wie er zwischen 1686 und 1788 nach den damaligen Zunftregeln von jedem Meisterschüler in Frankfurt am Main gebaut werden musste.
Dendrochronologie datiert Alter des Holzes
Noch älter erwies sich ein Fassadenschrank, dessen sehr guter Zustand das wahre Alter zunächst nicht erahnen ließ. Weil aber Naumburg in einem Schloss eine Gravur mit der Jahreszahl 1678 fand, ließ die Expertin ein dendrochronologisches Gutachten anfertigen. Und die Analyse der Jahresringe betätigte: Das Holz der Tanne für den Schrank war nach 1668 gefällt worden. "Wir arbeiten in der Restaurierung zwar wie unsere Vorfahren, aber wenn es nötig ist, nutzen wir auch modernste wissenschaftliche Methoden", schlägt Barbara Naumburg eine Brücke in die Gegenwart.