Betriebe zerreiben sich zwischen vollen Auftragsbüchern und fehlenden Fachkräften: Vor allem Meister zu finden, stellt sich für viele als unlösbare Aufgabe dar. Das belegen Analysen des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. In Süddeutschland stemmen sich vier Betriebe gegen diesen Engpass. Sie setzen auf Onlinepräsenz, Bewerberbonus und die eigenen Leute.

Rauhmöbel, Fuchstal-Asch
Bodenständig geht es bei Johann Rauh zu. Um als Arbeitgeber attraktiv dazustehen, lässt der Schreinermeister freitags seinen Betrieb seit Januar geschlossen. Nach gut vier Monaten sagt der Chef von Rauhmöbel: "Die Vier-Tage-Woche hat sich bewährt". Dabei ist die Idee nicht neu. Schon vor Jahren starten die Beschäftigten und der Inhaber einen Versuch. Alle 14 Tage sollte damals der Betrieb freitags schließen. "Doch das hat nicht geklappt", berichtet der 59-Jährige, der die Firma vor mehr als 30 Jahren gegründet hat. Im zweiten Versuch gelingt das Arbeitszeitmodell. Statt 40 Stunden in der Woche arbeiten die sechs Gesellen bzw. Lehrlinge aus dem oberbayerischen Fuchstal-Asch (Landkreis Landsberg) weniger. Montags bis donnerstags in Summe 38 Stunden. Bei gleichem Lohn.
Rauh macht das Projekt anfangs, weil seine Leute ihn darum bitten. Nachdem sich die Umstellung bewährt, will der Schreiner damit werben. "Wir wollen unseren Instagram-Kanal professionalisieren", so der Betriebsinhaber, dessen 24-jähriger Sohn Jakob aktuell die Meisterschule in Garmisch besucht. Gleichzeitig sind die Auftragsbücher bis Jahresende und darüber hinaus gut gefüllt. Ein Dilemma. Denn Ersatz – oder gar ein Meister – ist am Markt kaum zu finden.
Rauh hilft sich durch Arbeitsteilung. So überträgt der Chef seinen Gesellen Meistertätigkeiten wie Arbeitsvorbereitung oder Kalkulation. "Bei uns sitzen Leute auch mal im Büro", so der Schreiner. Gleiches gilt für das pädagogische Anleiten der zwei Azubis. Auch diese Aspekte der Meistertätigkeit delegiert Rauh. Neue Mitarbeiter findet er vor allem durch seine eigenen Leute: "Unser neuster kommt über die Empfehlung eines Kollegen". Weil der Schreiner eine hohe Fertigungstiefe anstrebt – und beispielsweis statt nur Furnier, ganze Bäume kauft, um daraus Möbel zu fertigen – können Gesellen ihre fachliche Expertise im Betrieb vertiefen und ausweiten. Das spricht sich herum und lockt Fachkräfte an, hofft der Inhaber. Idealerweise auch Meister.
Dachdeckerei J.A. Burghart, München
Die Pressemeldung klingt wagemutig: Die Münchner Dachdeckerei J.A. Burghart sucht Handwerker auf dem Zeltdach des Olympiastadions. Wer sich für die Aktion in luftiger Höhe begeistern kann und bis Ende Mai eine Bewerbung abgibt, wird zum Casting eingeladen. Gesucht werden Spengler, Dachdeckerinnen und LKW-Fahrer. Die Aktion lässt aufhorchen. Ob sie gewünschte Fachkräfte anlockt oder eine Luftnummer wird, bleibt abzuwarten.
Sanitätshaus Aspacher & Klotzbücher GmbH & Co. KG, Rudersberg
Auf die Strahlkraft eigener Brillanz setzen Christoph (54), Thomas (50) und Michael (43) Klotzbücher aus Rudersberg, 40 Kilometer östlich von Stuttgart. Die drei Brüder übernehmen vor 15 Jahren den elterlichen Betrieb mit damals zwei Mitarbeitern. Heute beschäftigt das Sanitätshaus an zwei Standorten 40 Menschen – darunter vier Meister, je zwei Orthopädieschuhmacher- und -mechaniker. Das Besondere: Die Brüder Christoph und Michael besuchen jeweils Meisterschulen in Bayern. Und beide werden als Jahrgangsbeste ausgezeichnet. Schuhmacher Christoph wird zudem Landessieger, sein jüngerer Bruder schafft den Bundessieg als Orthopädiemechaniker. "Das spricht sich herum", weiß der Mittlere, Thomas, der als Quereinsteiger den Betrieb mit leitet.
Deshalb nimmt das Haus auch an Branchenwettbewerben teil. Dreimal erringen die Schwaben einen ersten Platz. Die lokale Presse und Fachzeitschriften berichten darüber. Dementsprechend herrscht bei der Aspacher & Klotzbücher GmbH & Co. KG kaum Bewerbermangel. "Die Schwierigkeit ist, aus guten Gesellen gute Meister zu machen – die dann im Betrieb bleiben", findet Elektrotechniker Thomas Klotzbücher, der vormals bei Bosch als Führungskraft in der Entwicklung arbeitete.
Dass dieser Anspruch gelingt, zeigt das aktuelle Meisterteam. Alle vier Kollegen waren anfangs Azubis und wurden von Klotzbüchers auf eine von vier Meisterschulen in Deutschland geschickt. Weil die Ausbildung mit Unterkunft und Material schnell 50.000 Euro verschlingt, unterstützt das Sanitätshaus die Materialkosten, die bei rund 20 Prozent liegen. Letztlich hält Klotzbücher diesen Dreiklang aus Ausbildungsqualität, Pressearbeit und seit neustem, der Werbung auf Facebook und Instagram, für erfolgsversprechend, um Meisterlücken zu schließen.

MetallArt Treppen, Salach
MetallArt Geschäftsführer Andreas Wahsner wiederum weiß: "Die effektivste Maßnahme Leute zu finden, ist unser Projekt 'Mitarbeiter werben Mitarbeiter'". Der Premium-Treppenbauer kann einen ganzen Strauß an Marketingmaßnahmen auflisten, um Fachkräfte anzulocken. Wie Klotzbücher sammelt MetallArt Awards: Im vorigen November wird das Unternehmen aus Salach mit dem Baubranchen-Award "Architects‘ Darling" in Gold ausgezeichnet. Im selben Monat folgt die Ehrung beim Deutschen Metallbau-Preis. Die Messe Stuttgart findet, MetallArt ist ein preiswürdiger "Hidden Champion" und auch das Siegel "Arbeitgeber der Zukunft" haftet den Metallbauern aus dem Kreis Göppingen, östlich von Stuttgart, an.
So viel Ehre sorgt für Aufmerksamkeit. Inzwischen bewerben sich wieder Schlosser und Konstrukteure, wenn die Schwaben Stellenanzeigen posten. Das war lange nicht so. Sogar Meister wie Christoph Gärtner sind darunter. Dem imponiert die Firmenpräsenz in den sozialen Medien. Der Heidelberger denkt: "Wenn die mal einen Bauleiter suchen, bewerbe ich mich". Das Gesuch kommt und inzwischen ist Gärtner Führungskraft bei MetallArt; er verantwortet als Oberbauleiter das Montagegeschehen des 100 Mitarbeiter großen Unternehmens. Damit Fachkräfte wie Gärtner angezogen werden, investiert der Metallbauer in Marketing und legt den Online-Firmenauftritt in professionelle Hände. Experten wissen: Bis zu 60.000 Euro pro Jahr investieren vergleichbare Betriebe in die virtuelle Öffentlichkeitsarbeit. Allein bei Instagram folgen der Firma mehr als 3.600 Fans. "Wir haben das gemacht, weil durch Corona wichtige Baumessen ausgefallen sind", sagt der 58-jährige Wahsner, der selbst Betonbauer gelernt hat und seit 2014 im Unternehmen als Vertriebsleiter tätig ist.
Was fürs Image gut ist und Aufträge ins Haus spült, lockt Fachkräfte an – so der Gedanke des Invests. Doch die eigentliche Mitarbeiter-Gewinnungs-Maschine sind die eigenen Leute. Über die Kampagne 'Mitarbeiter werben Mitarbeiter' kann jeder Kollege einen Bonus von 1.500 Euro einstreichen, wenn er oder sie eine neue Fachkraft anwirbt. Und diese die Probezeit übersteht. 2022 stellt Wahsner den Bonusscheck vier Mal aus. Die Hälfte aller Neueinstellungen geht also auf das Kollegenengagement zurück. Derzeit beschäftigt MetallArt 65 gewerbliche Mitarbeiter. Neben Schlossern und Metallbauern mit der Fachrichtung Konstruktion auch Maler und Lackierer sowie Lkw-Fahrer. Weitere Kollegen sind dringend gesucht. Helfen soll dabei eine hohe Ausbildungsquote von 8,5 Prozent. Insgesamt beschäftigt der Betrieb aktuell zehn Azubis.
Weil der Markt leergefegt ist, setzt Wahsner den Hebel möglichst früh an, um die angehenden Fachkräfte zu halten. Seit kurzem gibt es daher eine Lehrwerkstatt, Azubis bekommen früh Projekte und damit Verantwortung übertragen. Zurzeit entwickeln sie einen hochwertigen E-Bike-Fahrradständer. Die mehr als fünfstellige Investition trägt MetallArt. Anschlussverträge nach der Lehre sind selbstverständlich. Genauso wie das Angebot an motivierte Gesellen, die Meisterschule zu absolvieren. Derzeit beschäftigt das Unternehmen fünf Meister. "Die meisten kommen aus den eigenen Reihen", sagt Wahsner, der 2021 in die Geschäftsführung der ehemaligen Schmiedewerkstatt berufen wird. Mancher gehe nach der Schule noch ein paar Jahre auf Wanderschaft, um Erfahrungen zu sammeln. Doch fast alle finden den Weg zurück nach Salach.