Modistin Laura Zieger und die bunten Hüte

Die Welt scheint sich immer schneller zu drehen und so wirkt es manchmal, als wäre nicht viel Platz für individuell gefertigte Produkte – so wie Hüte aus Handarbeit. Doch die Modistin Laura Zieger mit ihrem Label Hutgemacht freut sich über zunehmende Aufmerksamkeit. Ein Besuch in ihrer Werkstatt zeigt, wie sich Modernität und Ursprünglichkeit vereinen können.

Modistin Laura Zieger
Mit ganzem Körpereinsatz formt Laura Zieger einen Filzhut. - © Sandra Kunkel

Über einen halbfertigen Strohhut gebeugt steht die 33-Jährige bunt gekleidete Modistin an einer großen Arbeitsplatte aus Holz. Die helle Halle mit großen Fenstern erinnert kaum noch daran, dass hier einmal eine Autowerkstatt war. Laura Zieger öffnet ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit, die stark nach Lösungsmittel riecht. Mit einem Pinsel nimmt sie Klebstoff auf und streicht über das Stroh, das als Rohling noch rau und formbar ist. "Appretieren nennt man das", sagt Zieger. Insgesamt macht sie das drei bis vier Mal, bevor sie den Hut mit einem Bügeleisen bearbeitet, um das Stroh zu glätten: Es dampft als sie mit dem kleinen, silbernen Eisen flink darüber gleitet. Der Strohhut gewinnt zunehmend an Form und Festigkeit, die Modistin fasst ihn prüfend an. Schon nach einigen Pinsel- und Bügelstrichen ist das Material perfekt. Zieger arbeitet immer an mehreren Hüten gleichzeitig, die zwischendurch trocknen müssen, so wie dieser Hut jetzt.

Eine von fünf Auszubildenden

Die bunten Farben Perus haben Zieger bei einer Reise nach dem Schulabschluss inspiriert und die Idee geformt, Hüte zu machen. Damit entschied sie sich damals für eine Nische: Zu ihrer Berufsschule fuhr sie von ihrem Ausbildungsbetrieb aus durch halb Deutschland, um als eine von fünf Schülern in ihrer Klasse zur Modistin ausgebildet zu werden. "Ich sehe es als besondere Chance in eine Nische zu gehen, weil das Aufmerksamkeit erregt: Junge Menschen in einem alten Handwerk". Inzwischen freut sie sich darüber, dass es mehr Berufsschulen für Modisten gibt, sie selbst zunehmend mediale Aufmerksamkeit bekommt und die Kunden ganz von allein kommen – auch ohne Geschäft oder Werbung.

Inspirationen aus Peru, London und Skandinavien

Die moderne Werkstatt, bestehend aus der Halle und persönlichen Arbeitsbereichen im Hintergrund, teilt sich die junge Handwerkerin mit fünf anderen Kreativen. Neben der Arbeitsplatte sind ausladende, feine Strohhüte aufgereiht, die sie für eine Ausstellung vorbereitet hat. Doch am liebsten macht sie Herrenhüte, die auch Damen tragen können. Inspirieren lässt sie sich von der Farbvielfalt Perus, den Verrücktheiten der Londoner Hutmode oder cleanen skandinavischen Designs. Zieger ist froh, dass sie ihren eigenen Stil gefunden hat, den die Leute mögen. Die Kunden sind bunt gemischt, von jung bis alt, aber meistens über 30.

Spontanität und voller Körpereinsatz

Alles scheint spontan und im Fluss zu sein. Ihr fällt ein, dass eine Kundin einen Filzhut bestellt hat: "Den mache ich jetzt". Dazu geht sie nach hinten in ihren eigenen Arbeitsbereich, in dem sich die bunten Filz- und Strohhüte, die noch in Arbeit sind, stapeln. Hier steht auch ihre Nähmaschine und ihr Werkzeug. Gearbeitet wird mit zwei Geräten: einem Hutweiter, der sich erhitzt, um den Filz zu formen und einem Dampfgerät für die abschließende Feinarbeit. Sie lässt Wasser auf den heißen Hutweiter tropfen – es zischt und dampft. Sie legt ein nasses Tuch auf den heißen Hutweiter, stülpt einen türkisen Filzrohling darüber und lässt die Hitze und den Dampf einwirken. Mit ganzem Körpereinsatz lehnt sie sich dagegen und zieht an dem nassen, heißen Filz. Wie Knetgummi lässt er sich formen. Der Raum wird immer heißer und ist voller Dampf. Dreimal wiederholt die Modistin den Prozess, bevor sie den Filz vom Hutweiter zieht und über einen Holzkopf stülpt.

"Ich habe hier ein Handwerk, in dem ich mich verlieren kann"

Alle Werkzeuge in der Werkstatt sind alt. Zieger hat sie aus alten Hutläden, die mittlerweile geschlossen sind. Den Hutweiter hat sie aus einer ehemaligen Hutfabrik im Osten Deutschlands, den Filz, den sie gerade verwendet, auch. Das alte kleine Bügeleisen hält wahrscheinlich für immer, lacht sie. "Mich beruhigt das. Es passiert so viel in der Welt und es ist schön, etwas Greifbares zu haben, das bleibt." In ihrer Werkstatt fühlt sie sich selbst behütet. "Ich habe hier ein Handwerk, in dem ich mich verlieren kann."

Dann wird der Filz gebürstet, mit kleinen Pins festgesteckt und etwas glatt gebügelt, damit er schön glänzt und der Hut keine Falten bekommt. Zuletzt setzt sie das Dampfgerät ein: Es blubbert laut und Dampf steigt auf. Sie bürstet den Filz und gibt ihm den Feinschliff, bevor der Hut trocknen muss. Sie läuft in ihren roten Lackschuhen in die große Halle und holt einen fertigen Hut, der aussieht wie der türkise Filzhut an dem sie gerade gearbeitet hat. Allerdings ist dieser schon fertig. Sie sagt: "Den Rand des Filzhutes habe ich gebügelt, das ist das Besondere an dem Handwerk, man kann so viel mit den Händen formen." Anschließend hat sie ein helleres Band an den Rand genäht und den Filzhut mit einem Hutband verziert. Insgesamt braucht Zieger pro Hut drei bis fünf Stunden.

Nische statt Massenware

Die Modistin streicht über den fertigen Hut. Alle ihre Hüte sind Handarbeit und für die junge Modistin kleine Schätze – die natürlich auch ihren Preis haben: Um die 200 Euro pro Hut. Neben Stroh- und Filzhüten hat sie auch eine Kollektion aus Stoff, die etwas jugendlicher wirkt. Aber generell orientiert sich die Modistin eher weniger daran, was gerade modern ist. Denn Bucket-Hats, die angesagten Fischerhüte, gibt es schon für 20 Euro von der Stange, da lohnt es sich nicht auf den Trend aufzuspringen. Zieger bietet lieber Hüte an, die ihren eigenen Stil widerspiegeln und freut sich, dass der ankommt.

Auch heute kommt eine Kundin vorbei: "Für welchen Zweck brauchen Sie den Hut?", fragt Zieger in der privaten Atmosphäre der Werkstatt. Ihre Augen glitzern als sie die Kundin neugierig mustert. "Für den Alltag", gibt die Kundin zurück. Sie stehen im Eingangsbereich, in der die Hüte neben der Arbeitsplatte aufgereiht sind. Und schon steht die Kundin vor einem Spiegel, mit einem Strohhut auf dem Kopf, mit blauen Details am Hutband – das gleiche Blau wie in ihren Augen. Die Modistin ist in ihrem Element. Wenn Kunden sich direkt mit ihren Hüten identifizieren, freut sie sich ganz besonders. Als die Kundin die Werkstatt verlässt, fällt ihr Blick zurück durch das Fenster im Hinterhof dann auf viele bunte Hüte und auf Zieger, die fröhlich winkt.

Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Reportage-Projekts des Master-Studiengangs Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt entstanden. Kooperationspartner war die Deutsche Handwerks Zeitung.