Nach den Wahlen müssen Parlament und Kommission schnell handlungsfähig werden. Die Aufgaben vor denen die EU steht, sind gewaltig. Vor allem muss der Mehrwert des Staatenbündnisses für Handwerksunternehmen wieder stärker erkennbar werden.
Frank Hüpers

Manfred Weber und Frans Timmermans haben sich bis zum Schluss einen leidenschaftlichen Wettstreit geliefert: Über Monate tourten der Niederbayer und EVP-Spitzenkandidat und der Niederländer, der für die S&D antritt, über den Kontinent und warben um die Stimmen der rund 400 Millionen Wahlberechtigten. Ob einer der beiden überzeugten Europäer am Ende Kommissionspräsident wird, steht noch nicht fest. Die Aufgaben, vor denen der Nachfolger von Jean-Claude Juncker steht, sind allerdings gewaltig.
US-Präsident Donald Trump etwa reibt sich permanent an dem europäischen Staatenbündnis. Regelmäßig droht er, europäische Autos mit Strafzöllen zu belegen. Hier braucht Brüssel einen smarten Gegenspieler, der dem starken Mann in Washington selbstbewusst die Stirn bietet. Ebenso gilt es, den richtigen Umgang mit dem wirtschaftlich und technologisch aufstrebenden China zu finden und russischer Einflussnahme das Stopp-Schild zu zeigen. Dafür braucht der neue EU-Kommissionspräsident neben einem starken Rückgrat auch einen breiten Rückhalt in Europa. Und genau das könnte zum Problem werden: In einem Moment, in dem der Kontinent Geschlossenheit zeigen müsste, ist er gespaltener denn je. Sowohl EVP als auch S&D haben bei den Wahlen Verluste hinnehmen müssen. Hinzu kommt: Im neuen Europaparlament wird auch eine nicht geringe Zahl an Nationalisten und Populisten sitzen, die die europäische Idee im Kern ablehnen. Gewählt von Unzufriedenen in Gelben Westen, Kritikern der Flüchtlingspolitik und Brexit-Befürwortern werden sie auf Konfrontation setzen, anstatt im Sinne Europas Einigkeit zu demonstrieren.
Dabei drängt die Zeit: Parlament und Kommission müssen rasch handlungsfähig werden. Gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik muss Europa schnell handeln. In einer Zeit, in der die USA, China und Russland ihre geopolitischen Interessen knallhart durchsetzen, kann sich Europa kein Zaudern leisten.
Gleichzeitig muss Brüssel mehr Pragmatismus an den Tag legen. Zwar ist die EU seit Jahrzehnten die Basis für Frieden, grenzüberschreitenden Austausch und wirtschaftlichen Wohlstand, wovon auch die vielen kleinen und mittelständischen Betriebe des Handwerks profitieren. Doch gerade auch Gesetze aus Brüssel stellen handwerkliche Betriebe immer wieder vor große Herausforderungen. Um für die europäische Idee zu werben, muss der Mehrwert der EU für Handwerksunternehmen wieder stärker erkennbar werden. Neben mehr Subsidiarität braucht das Handwerk eine starke Politik für kleine und mittlere Unternehmen, die fest nach dem Prinzip "Think Small First" agiert. Außerdem muss Bürokratie abgebaut, die regionale Wirtschaft gestärkt, berufliche Bildung gefördert, der digitale Wandel vorangetrieben und eine bezahlbare Energieversorgung gesichert werden. Viel Arbeit für den neuen Kommissionspräsidenten, der die EU reformieren und gleichzeitig den Spagat schaffen muss zwischen Klimaschutz, sozialer Gerechtigkeit und Wettbewerbsfähigkeit.
Natürlich brauchen wir Strategien gegen den Klimawandel, um die Zukunft unseres Planeten zu sichern. Doch Mobilität ist auch eine der Grundvoraussetzungen für das Wirtschaften von Handwerksunternehmen. Maßnahmen zur Luftreinhaltung dürfen sich daher nicht einseitig auf den Straßenverkehr fokussieren.
Wenn der Europäische Rat einen Kandidaten als Kommissionspräsidenten vorschlägt, könnten Weber und Timmermans am Ende beide in die Röhre schauen. Schließlich geistert schon seit geraumer Zeit der Name Michel Barnier durch Brüssel. Der Franzose und Brexit-Chefunterhändler könnte ein Kompromisskandidat zwischen Konservativen, Sozialdemokraten und Liberale sein. Oder Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron gelingt es, eine Mehrheit für Margrethe Vestager zu zimmern. Die Dänin wäre die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission.